07.15 Uhr Ich werde durch ohrenbetäubendes Telefonläuten aus einem schönen Traum gerissen. Missmutig halte ich mir den Sprechapparat ans Ohr und bin überrascht, Hildegard an der Strippe zu haben. Meine Schwester bricht in Tränen aus und möchte wissen, ob ich die Weihnachtszeit in der alten Heimat verbringen werde. Natürlich schüttle ich den Kopf und entgegne, dass ich erst im Frühjahr nach Bayern ausfliegen werde. Hildegard seufzt laut und unkt, dass sie im März womöglich schon gestorben ist. Ich wirke beruhigend auf meine Verwandte ein und gebe vor, mich sehr auf den heiligen Abend unter Palmen zu freuen.
08.00 Uhr Nachdem ich das Telefonat beendet habe, eile ich ins Badezimmer und lasse die Seele bei einem Wirbelbad baumeln. Nebenher segle ich mit dem iPad durchs Internetz und suche auf renommierten Rezeptheimseiten nach Weihnachtsbackideen. Schon bald werde ich fündig und erkläre meinem braven Haustier, dass wir heute einen vitaminreichen Christstollen zaubern werden.
09.30 Uhr Während ich das Frühstück geniesse, rufe ich kurzerhand bei Edelbert an und stelle klar, dass ich zeitnah zum Supermarkt meines Vertrauens krusen werde, um Hefe, Zitronat und Rosinen einzukaufen. Darüber hinaus komme ich auf mein Vorhaben zu sprechen und unterbreite, dass ich mich heute in der Küche nützlich machen werde. Edelbert gähnt ausgiebig und sagt, dass er keine Lust hat, mich am Herd zu unterstützen. Bevor ich Einspruch einlegen kann, wünscht mir der Professor alles Gute und beendet das Gespräch – das ist wieder typisch.
10.30 Uhr Trotz aller Widrigkeiten lasse ich mit die gute Laune nicht verderben und kruse mit Hund Dixon zum PUBLIX Supermarkt. Am Ziel angekommen, schlendere ich pfeifend durch die Gänge und lade neben den benötigten Produkten auch zwei Pfund Butter, eine Tüte Mandeln sowie eine Packung Weizenmehl in den Einkaufswagen. Danach werde ich an der Kasse vorstellig und verrate der Marktmitarbeiterin, dass ich ein waschechter bayerischer Meisterkoch bin und einen Stollen zubereiten werde. Die übergewichtige Dame macht grosse Augen und entgegnet, dass sie diese Spezialität nicht kennt – das soll mir auch Recht sein.
11.30 Uhr Kurz vor der Mittagszeit bin ich wieder zu Hause und versorge Dixon mit ROYAL CANIN Trockenfutter. Anschliessend beisse ich kraftvoll in ein Wurstbrot und mache es mir zur Aufgabe, eine Backform mit Butter auszustreichen und die Mandelsplitter in der Pfanne goldgelb zu rösten – da kommt Freude auf.
12.15 Uhr Als nächsten Schritt vermische ich die Hefe mit Milch und vergesse auch nicht, die Pampe mit Zitronat und Salz zu würzen. Nebenbei trinke ich süffiges Diät Coca Cola und lausche dem Radioprogramm von WCKT CAT COUNTRY (löblich: Katze Land).
13.00 Uhr Nachdem sich der Teig auf der Küchenplatte ausgeruht hat, knete ich die Masse und gebe die Mandeln dazu – wie gut das duftet. Just in diesem Moment pocht Frau Pontecorvo an die Terrassentüre und lotet aus, ob es in meinem Zuhause gebrannt hat. Ich winke demonstrativ ab und informiere, dass lediglich die Mandeln etwas dunkel geworden sind. Die Perle beäugt mich skeptisch und mutmasst, dass es schlauer wäre, einen Kuchen im Supermarkt zu kaufen. Ich zeige der Frau den Vogel und berichtige, dass es sich hierbei um einen Stollen handelt.
14.15 Uhr Während sich das Weihnachtsbrot im gleissenden Ofenlicht sonnt, lade ich meinen Gast zum Kaffeekränzchen ein. Ausserdem erzähle ich, dass der Stollen nach dem Backen für mindestens zwei Wochen im Schrank lagern muss. Frau Pontecorvo nippt genüsslich am Kaffeehaferl und erwidert, dass sie es kaum noch erwarten kann, ein Stück zu probieren.
15.30 Uhr Nach einer Stunde kann ich den Stollen aus dem Ofen holen und ihn zum auskühlen ans geöffnete Fenster stellen. Mit stolzgeschwellter Brust lege ich ein Küchenhandtuch darüber und gebe Frau Pontecorvo zu verstehen, dass Georg, Maria und die Kinder aus dem Zungeschnalzen gar nicht mehr herauskommen werden.
16.15 Uhr Nachdem sich meine Nachbarin verabschiedet hat, sorge ich in die Küche für Sauberkeit und Hygiene. Anschliessend setze ich mich an den Heimrechner und kümmere mich um die wichtige Anschnurseelsorge. Auch heute helfe ich verzweifelten Familien und rate Frau Sybille K. aus München, sich einen Tschob zu suchen. Immerhin kann es nicht sein, dass sich eine 37jährige jahrelang auf Kosten des Staates einen faulen Lenz macht.
17.00 Uhr Zu guter Letzt lösche ich beleidigende Einträge aus dem beliebten Gästebuch und schalte das Arbeitsgerät ab. Weil mein Magen knurrt, richte ich mir eine Käseplatte an und giesse mir ein süffiges Budweiser ein. Hund Dixon ist hellauf begeistert und leistet mir beim Abendessen auf der Terrasse Gesellschaft. Ich streichle dem Racker zufrieden über den Kopf und lasse ihn sogar vom Brot abbeissen.
18.00 Uhr Völlig erschöpft schlage ich den Stollen in Alufolie ein und verfrachte ihn in den Küchenschrank. Im Anschluss mache ich es mir in der guten Stube bequem und fröne den FOX Abendnachrichten. Unter anderem lerne ich, dass angesehene Forscher davon ausgehen, dass es bis zum Jahre 2018 drei Milliarden Smartphones (löblich: Schlautelefone) auf diesem Planeten geben wird – das ist ja kaum zu glauben.
19.00 Uhr Zur besten Sendezeit wähle ich das Qualitätsprogramm von HBO aus und gebe mich der Eigenproduktion “John Adams” hin, die vom Leben des zweiten Präsidenten der Vereinigten Staaten erzählt – wie aufregend.
21.00 Uhr Als der Abspann über den neumodernen Flachbildschirm flimmert, schalte ich ab und gehe ins Bett. Gute Nacht.
Ich backe einen prima Stollen:
Bild: Lothar Wilhelm / originally posted to Flickr as PICT3432