08.00 Uhr Ich erwache ausgeruht und friere wie ein Schneider. Zudem fällt mir auf, dass das Fenster vereist ist und mir der Blick nach draussen verwehrt bleibt. Nörgelnd werfe ich die Bettdecke beiseite und komme zu dem Schluss, dass es keine gute Idee war, das Jahresende im verschneiten Kanada zu verbringen.
08.45 Uhr Nachdem ich mich heiss abgeduscht habe, schlüpfe ich in Winterkleidung und vergesse auch nicht, die Mondstiefel anzuziehen. Danach schleppe ich mich ins Parterre und stelle fest, dass sich meine Verwandten mittlerweile in der weihnachtlich geschmückten Küche eingefunden haben. Ich begrüsse meinen Bruder sowie Schwägerin Maria herzlich und gebe zu Protokoll, dass das Wetter nicht nach meinem Geschmack ist. Georg klopft sich auf die Schenkel und entgegnet, dass Hund Dixon angesichts des Schneefalls ganz aus dem Häuschen war und mit Edelbert zu einem Spaziergang aufgebrochen ist. Ich zucke mit den Schultern und lasse mich am Tisch nieder, um genüsslich am Kaffeebecher zu nippen. Darüber hinaus serviert Haushälterin Grace ein landestypisches Frühstück aus Spiegeleiern und Backwaren.
09.30 Uhr Kurz nach dem Neunuhrläuten kommt der Professor von seinem Ausflug zurück. Der gute Mann klopft sich den Schnee von den Schuhen und plappert davon, dass er zur “Centerpoint Mall” spaziert ist, um Krapfen einzukaufen. Ausserdem erfahre ich, dass Dixon unentwegt geschnüffelt und sogar Schnee gefressen hat – wie unlöblich.
Dixons Pfotenabdruck im Schnee
10.15 Uhr Während wir gemütlich beisammensitzen und kraftvoll in die Rosinenkrapfen beissen, berichtet Maria, dass dieses Schmalzgebäck auch “Beaver Tails” (löblich: Biberschwänze) genannt wird. Ich nicke eifrig und antworte, dass die Süssspeise ganz vorzüglich mundet. Bei dieser Gelegenheit kommt Georg auf unsere heutigen Aktivitäten zu sprechen und erinnert, dass wir gegen 13 Uhr im “Eaton Centre” mit James, Amanda und David verabredet sind.
10.45 Uhr Nach dem Essen bedanke ich mich bei Frau Grace für die feine Brotzeit und vernehme, dass die Perle nun den Abwasch erledigen und sich dann in den Weihnachtsurlaub verabschieden wird. Georg klopft der netten Negerin auf die Schulter und wünscht ihr ein besinnliches Fest im Kreise ihrer Liebsten – wie schön.
11.00 Uhr Anschliessend schlüpfen wir in unsere Mäntel und eilen ins Freie. Georg lässt den JEEP Autoschlüssel am Zeigefinger kreisen und unterbreitet, dass der Mercedes wegen der schlechten Witterung in der Garage bleiben muss. Stattdessen helfen wir dem Vierbeiner auf die Ladefläche des GRAND CHEROKEE und schicken uns an, stadteinwärts zu krusen. Während ich mir den Rücksitz mit dem Professor teile, schlittert Georg auf der vereisten Yonge Street gen Süden und erzählt, dass sich die Stadtoberen aus Umweltschutzgründen entschlossen haben, die Strassen nicht mehr mit Salz zu streuen. Ich mache grosse Augen und lerne, dass seit Kurzem nur noch rutschhemmender Splitt oder Asche zum Einsatz kommen – das soll mir auch Recht sein.
11.45 Uhr Nach einer kurzweiligen Reise finden wir uns in einem Parkhaus an der Dundas Strasse wieder und zögern nicht, das Auto im zweiten Obergeschoss abzustellen. Im Anschluss nehmen wir den Vierbeiner an die Leine und schlendern in das grösste Kaufhaus der Stadt. Edelbert knipst ein Photo vom stattlichen Christbaum in der Haupthalle und meint, dass dieser Baum gut und gerne 25 Meter hoch ist. Georg weiss es jedoch besser und vertellt, dass die Tanne 108 Feet (33 Meter) misst – das ist ja allerhand.
12.15 Uhr Beeindruckt flanieren wir durch das noble Einkaufszentrum und nehmen die Auslagen in den Schaufenstern in Augenschein. Ich rümpfe die Nase und lasse meinen Bruder wissen, dass ich zum Fest lediglich Kleinigkeiten verschenken werde. Georg strahlt jedoch über das ganze Gesicht und verrät, dass er seiner Ehefrau einen sündteuren Weissgoldring unter den Christbaum legen wird – das ist typisch.
13.00 Uhr Wenig später lotst uns Maria ins “Trattoria Mercatto” Italiengasthaus und wir haben das Vergnügen, die Kinder begrüssen zu können. Wie es sich gehört, kneife ich David in die Backe und stelle klar, dass er in seinem Anzug besonders schnieke aussieht. Der 11jährige freut sich und sagt, dass am Abend in seiner Schule eine Weihnachtsfeier stattfindet – das ist phantastisch.
13.30 Uhr Um nicht vom Fleisch zu fallen, winken wir einen Kellner an den Tisch und ordern das “Lunch Menu” (löblich: Mittagsmenü) für sieben Personen. Der Knecht versorgt uns zuvorkommend mit durstlöschendem Eistee und fährt als Vorspeise heisse Gemüsesuppe auf – wie gut das duftet.
14.00 Uhr Während wir uns über das Hauptgericht hermachen und uns gebratene Lammschnitzel schmecken lassen, bringt James den Mittwoch ins Spiel und schlägt vor, dass wir mit dem WINNEBAGO Wohnmobil nach Gilford Beach fahren könnten – das soll mir Recht sein.
14.30 Uhr Nachdem wir das Mittagessen mit einem Pudding abgeschlossen haben, präsentiert Georg seine American Express Card (löblich: Amerikanische Schnellkarte) und steckt dem Ober ein stattliches Trinkgeld zu. Schlussendlich verlassen wir redlichst gestärkt die Wirtschaft und vertreten uns im grössten Kaufhaus der Gemeinde die Beine. Natürlich führt uns David in einen Heimrechnerladen und setzt uns darüber in Kenntnis, dass er sich von Santa Claus ein nagelneues Netzbuch (unlöblich: Netbook) gewünscht hat – wie unlöblich.
Ich sage nein zu Bezahlkarten
15.30 Uhr Da die jungen Leute um 17 Uhr in Davids Schule sein müssen, schütteln wir Hände und vereinbaren, dass wir uns morgen wiedersehen werden. Winkend kehren wir zum GRAND CHEROKEE zurück und treten zu stimmungsvoller Paul McCartney Musik die Heimreise an – da kommt besonders grosse Freude auf.
16.00 Uhr Während wir uns in Schrittgeschwindigkeit durch das Zentrum quälen, blicke ich fasziniert zum CN Turm (unlöblich: CN Tower) und bringe in Erfahrung, dass auf dem benachbarten “Nathan Phillips Square” zum Jahreswechsel eine grosse Silvesterfeier steigen wird.
Der CN Turm
17.00 Uhr Nach einer geschlagenen Stunde treffen wir endlich zu Hause ein. Als ich ins Haus gehen möchte, erhebt Maria den Zeigefinger und meint, dass wir erst in einer Stunde zu Abend essen werden. Ich lege meinen Zeigefinger an die Unterlippe und ringe mich dazu durch, bis dahin mit Dixon Gassi zu gehen. Edelbert schliesst sich dem Spaziergang kurzerhand an und sagt, dass er es kaum noch erwarten kann, aus den nassen Schuhen zu steigen und einen Whiskey in der holzvertäfelten Wohnstube zu trinken.
18.00 Uhr Als der Stundenzeiger meiner ROLEX auf 6 zugeht, stossen wir die Haustüre auf und freuen uns auf einen ruhigen Abend. Maria ruft uns spornstreichs zu Tisch und verwöhnt mit einem zünftigen Grillbraten und selbstzubereiteten Spätzle – schmeckt gar nicht schlecht.
19.00 Uhr Ein langer Tag neigt sich nun seinem Ende zu. Um endlich zur Ruhe zu kommen, machen wir es uns im Wohnzimmer bequem und schauen Fernsehen. Während wir den Nachrichten auf CBC folgen und Glühwein trinken, strecke Dixon vor dem knisternden Kamin die Beine aus und schnurrt wie ein Kätzchen – wie lustig.
Schmeckt nicht schlecht
20.00 Uhr Zur besten Sendezeit flimmert die amerikanische Komödie “Sisters” (löblich: Schwestern) über die Mattscheibe. Wir lehnen uns plätzchenknabbernd zurück und werden Zeugen, wie zwei Schwestern im Zuhause ihrer Eltern ein rauschendes Fest veranstalten – da kommt Freude auf.
22.00 Uhr Als der Abspann läuft, klatsche ich in die Hände und fordere Dixon auf, mir ins Gästezimmer zu folgen. Der Rüde gähnt ausgiebig und freut sich, die kalte Nacht an meiner Seite verbringen zu dürfen. Letztendlich lösche ich das Licht und döse prompt ein. Gute Nacht.