08.00 Uhr Die 31. Woche des Jahres beginnt und ich bin traurig, weil sich gestern meine Verwandten verabschiedet haben. Ich seufze laut und greife zum Telefon, um bei meinem Bruder im fernen Toronto anzurufen. Georg meldet sich prompt und erzählt, dass der Direktflug aus Miami sehr angenehm war. Ferner erfahre ich, dass mein Grossneffe während der Reise durchgeschlafen und sogar auf das Abendessen verzichtet hat – wie schön.
08.30 Uhr Nachdem mir der gute Mann einen schönen Tag gewünscht hat, beende ich das Telefonat und nehme den futuristischen DeLonghi Vollautomaten in Betrieb. Da Dixon aus dem Fiepen gar nicht mehr herauskommt, fülle ich seinen Napf mit Wasser auf und stelle klar, dass wir erst in einer Stunde frühstücken werden.
Ich rasiere mich redlichst
09.00 Uhr Endlich kann ich die Seele bei einem Wirbelbad baumeln lassen und mir die Bartstoppeln abrasieren. Nebenher mache ich mir meine eigenen Gedanken und komme zu dem Schluss, dass ich in 28 Tagen nach Minneapolis ausfliegen werde. Ich ziehe die Augenbrauen hoch und bin mir sicher, dass mich angesichts der subtropischen Temperaturen bis dahin der Schlag treffen wird – wie furchtbar.
10.00 Uhr Als der Stundenzeiger meiner ROLEX auf 10 zugeht, steige ich aus der Wanne und komme trotz laufender Klimaanlage ins Schwitzen. Trotz aller Widrigkeiten lasse ich mir die gute Laune nicht verderben und nehme in Gesellschaft meines Haustieres die wichtigste Mahlzeit des Tages ein. Natürlich gebe ich dem Rüden etwas Rührei ab und vergesse auch nicht, ihm ausserdem eine kleine Portion Trockenfutter zu servieren.
10.30 Uhr Wenig später klingelt Edelbert an der Pforte und präsentiert eine nagelneue Kompaktscheibe. Der schlaue Mann plappert ohne Unterlass und setzt mich darüber in Kenntnis, dass er sich gerade das neue Studioalbum des aus Pennsylvania stammenden Organisten Cameron Carpenter gekauft hat. Bevor ich mich versehe, macht sich der Professor an der Musikanlage zu schaffen und beschallt die kleine Villa mit ekelhafter Orgelmusik. Mein Bekannter ist hellauf begeistert und unterbreitet, dass der 35jährige auf seinem Werk “All You Need is Bach” (löblich: Alles was du brauchst ist Bach) die bekanntesten Orgelstücke aus Johann Sebastian Bachs Schaffen veröffentlicht hat.
Cameron Carpenter – All You Need Is Bach
11.00 Uhr Um nicht am Gehirnbrand zu erkranken, betätige ich den OFF (löblich: AUS) Knopf auf der Fernbedienung und lasse Edelbert wissen, dass diese Polka ganz und gar nicht nach meinem Geschmack ist. Darüber hinaus komme ich auf das heisse Wetter zu sprechen und erzähle, dass meine Verwandten heute zum Lake Simcoe krusen werden, um den August in der kanadischen Abgeschiedenheit zu verbringen.
12.00 Uhr Pünktlich zur Mittagszeit stattet uns Frau Pontecorvo einen Besuch ab. Die Dame von nebenan schnauft wie ein Walross und berichtet, dass sie einen Frisörtermin im Stadtzentrum wahrnehmen musste und nun eine Erfrischung vertragen könnte. Ich nicke eifrig und versorge die Gäste mit eisgekühltem Budweiser. Natürlich nehme ich ebenfalls einen kräftigen Schluck aus der Pulle und informiere, dass man bei Temperaturen jenseits der 90°F (32°C) sehr viel trinken sollte. Edelbert schlägt in die gleiche Kerbe und prostet mir freundlich zu – wie schön.
Bei dieser Hitze muss man viel trinken
13.00 Uhr Nachdem sich meine Freunde verabschiedet haben, lasse ich lauwarmes Wasser in das Jacuzzi (löblich: Aussenbadewanne) laufen und genehmige mir ein Bad unter freiem Himmel. Bei dieser Gelegenheit blättere ich in der Zeitung und lese, dass uns die brütende Hitze auch in den nächsten Tagen in Schach halten wird. Ich staune nicht schlecht und bemerke beim Blick auf die Wetterkarte, dass nicht nur in Florida, sondern auch an der Ostküste, dem amerikanischen Herzland (unlöblich: Heartland) sowie im goldenen Westen Rekordtemperaturen vorherrschen.
14.00 Uhr Nach der Abkühlung kehre ich ins Haus zurück und finde Dixon hechelnd vor der Klimaanlage vor. Ich streichle dem Rüden über den Kopf und gebe zu Protokoll, dass unser Nachmittagsspaziergang heute ausfallen wird. Der Vierbeiner atmet tief durch und legt seinen Kopf auf die Pfoten, um etwas zu schlafen. Währenddessen stelle ich die Klimaanlage eine Stufe höher und lösche meinen Durst mit süffigem Diät Cola.
14.45 Uhr Da ich nichts zu tun habe, greife ich erneut zum Telefon und kontaktiere diesmal meine unterbelichtete Mieterin. Sandra gähnt in einer Tour und macht mich auf den Umstand aufmerksam, dass es in Deutschland bereits halb 9 geschlagen hat. Natürlich klage ich dem Kind mein Leid und lege anschaulich dar, dass es mir heute nicht vergönnt ist, aus dem Haus zu gehen. Sandra plappert in einer Tour und animiert mich, nach Alaska umzuziehen.
15.15 Uhr Missmutig setze ich mich an den Heimrechner und versuche, Anfragen besorgter Erziehungsberechtigter abzuarbeiten. Doch wegen der Hitze fällt es mir sehr schwer, klare Gedanken zu fassen – wie furchtbar.
Handtelefone sind unlöblich
16.15 Uhr Nachdem ich einer alleinerziehenden Mutter aus dem oberfränkischen Ansbach geraten habe, ihrem verlotterten Sohn das Handtelefon abzunehmen, beende ich die Arbeit und gönne mir das zweite Bier des Tages. Zudem lasse ich Dixon in den Garten hinaus und werde Zeuge, wie er ausgelassen in den Teich hüpft und sich redlichst abkühlt – da kommt besonders grosse Freude auf.
17.00 Uhr Um nicht Hunger leiden zu müssen, begebe ich mich in die Küche und mache mich nützlich. Ferner fröne ich dem Qualitätsprogramm von WCKT CAT COUNTRY (löblich: Katze Land) und vernehme, dass es im Collier County wegen der Hitze zu Stromausfällen kommen kann. Ich rolle demonstrativ mit den Augen und entschliesse mich, den Ofen aus zu lassen und herzhafte Wurstbrote vorzubereiten.
18.00 Uhr Nachdem ich mich gestärkt und zwei Gläser Rotwein getrunken habe, beginnt der wohlverdiente Feierabend. Ich setze mich zu Dixon aufs Kanapee und folge interessiert den FOX Abendnachrichten.
19.00 Uhr Zur sogenannten Hauptfernsehzeit wechsle ich auf den Bezahlsender HBO und gebe mich dem preisgekrönten Gruselfilm “The Witch” (löblich: Die Hexe) hin. Die Hollywoodproduktion aus dem Jahre 2015 handelt von einer puritanischen Familie, die um das Jahr 1630 auf der Mayflower nach Amerika immigriert. In der “Neuen Welt” angekommen, siedelt sich die Familie am Rande eines düsteren Waldes an und erlebt unheimliche Dinge – da kommt Spannung auf.
21.00 Uhr Nach zweistündigem Nervenkitzen schalte ich die Glotze mit zitternder Hand aus und verschliesse die Haustüre besonders sicher. Danach verabschiede ich mich ins Schlafzimmer und ziehe mir die Bettdecke über den Kopf. Gute Nacht.