22. Januar 2018 – Langsam müssen wir Abschied nehmen

08.00 Uhr Die vierte Woche des Eismonats Januar bricht an und ich fühle mich blendend. Weil Morgenstund’ sprichwörtlich Gold im Mund hat, eile ich mit schnellen Schritten auf die Terrasse und stelle wohlwollend fest, dass das Thermometer bereits jetzt die 70°F (21°C) Marke überschritten hat – da kommt besonders grosse Freude auf.
08.30 Uhr Während Hund Dixon am künstlich angelegten Teich spielt, kehre ich in die gute Stube zurück und läute den Morgen mit einem prima Wirbelbad ein. Nebenher telefoniere ich mit meinen Verwandten und vernehme, dass die lieben Leute das Frühstück in Julies Restaurant einnehmen wollen. Ich fackle nicht lange und entgegne, dass ich selbstverständlich mitkommen werde. Ruckzuck beende ich das Telefonat und vergesse nicht, mir die Bartstoppeln abzurasieren – immerhin möchte ich nicht wie ein Obdachloser herumlaufen.


Ich rasiere mich ordentlich

09.30 Uhr Nachdem ich mich in Schale geworfen habe, statte ich dem Nachbarhaus einen Besuch ab und frage Frau Pontecorvo, ob sie mich ins Restaurant meines Vertrauens begleiten möchte. Die Perle sagt prompt zu und folgt mir plappernd zum frischaufpolierten Chevrolet Suburban. Währenddessen erfahre ich, dass die kleine Frau am Nachmittag einen Beauty Salon (löblich: Schönheitsstudio) im Stadtzentrum aufsuchen und viel Geld in einen neuen Haarschnitt investieren wird – wo soll das noch hinführen.
10.00 Uhr Pünktlich zum Zehnuhrläuten erreichen wir unser Ziel und freuen uns, Georg und Maria in bester Laune an unserem angestammten Tisch im hinteren Teil des Gasthauses anzutreffen. Weil mein Magen knurrt, setzen wir uns spornstreichs dazu und ordern bei Bedienung Peggy grosse Frühstücke sowie eine Kanne Kaffee. Unterdessen frage ich Georg bezüglich der anstehenden Heimreise aus und lerne, dass meine Verwandten gegen Mittag dem Sonnenscheinstaat Lebewohl sagen und nach Toronto ausfliegen werden. Ferner berichtet Maria, dass der Winter der kanadischen Provinz Ontario über das Wochenende zirka 30 Zentimeter Neuschnee beschert hat. Ich komme aus dem Lachen gar nicht mehr heraus und nehme mir das Recht heraus, mich über das schmackhafte Käseomelett herzumachen – schmeckt gar nicht schlecht.


In Toronto schneit es

10.45 Uhr Just als ich meine Tasse mit brühfrischen Bohnentrunk auffülle, gesellt sich Wirtin Julie zu uns und lotet aus, wie lange Georg und Maria noch im Sonnenscheinstaat bleiben werden. Mein Bruder gibt sich betrübt und antwortet, dass die Abreise für Übermorgen geplant ist. Darüber hinaus verrät der gute Mann, dass er in seiner Baufirma gebraucht wird und es Maria kaum noch erwarten kann, die Kinder wiederzusehen. Ich seufze laut und werfe ein, dass ich eventuell im März mit Prof. Kuhn nach Kanada ausfliegen werde, um Georgs Geburtstag ausgelassen zu feiern. Mein Bruder ist begeistert und informiert, dass er seinen Ehrentag standesgemäss am Lake Simcoe mit einem grossen Barbecue (löblich: Grillfeier) begehen wird – das hört man gerne.
11.30 Uhr Nachdem uns Frau Julie Käsekuchen spendiert hat, verlassen wir das Restaurant und vertreten uns die Beine. Während Dixon unentwegt schnüffelt, bringe ich heraus, dass meine Liebsten am Abend ein letztes Mal ins Lichtspielhaus gehen und sich eine romantische Komödie ansehen wollen. Natürlich rümpfe ich augenblicklich die Nase und stelle klar, dass ich nicht mitkommen werde – wo kämen wir denn da hin.
12.15 Uhr Wir beenden unseren Spaziergang und schütteln zum Abschied Hände. Ausserdem lade ich die Beiden für Morgen zum Frühstück in mein bescheidenes Zuhause ein. Danach helfe ich als Kavalier der alten Schule Frau Pontecorvo auf den Beifahrersitz und presche winkend von dannen.
13.00 Uhr Endlich bin ich wieder zu Hause und kann mir ein Glas selbstzubereitete Cola hinter die Binde giessen. Weil ich auch ein Tierfreund bin, fülle ich Trockenfutter in Dixons Napf und animiere ihn, auch Wasser zu trinken.
13.30 Uhr Nachdem ich das Haustier versorgt habe, steige ich aus den Kuhjungenstiefel und falle entnervt auf das Kanapee. Bereits nach wenigen Atemzügen schlummere ich ein und träume von meiner unterbelichteten Mieterin.
14.30 Uhr Um nicht den ganzen Nachmittag auf der faulen Haut zu liegen, setze ich mich an den Schreibtisch und gehe an die Leine. Während Dixon mit einem Spielzeug quietscht, rufe ich Anfragen besorgter Heimseitenbesucher ab und helfe, wo ich nur kann. Unter anderem möchte Herr Paul F. aus Freyung wissen, ob Apfel (unlöblich: Apple) Telefone löblich sind. Ich belehre den Heini eines Besseren und stelle in meinem Antwortschreiben klar, dass Handtelefone grundsätzlich abzulehnen sind.


Handtelefone sind unlöblich

15.30 Uhr Zu guter Letzt überprüfe ich den Warenbestand im Andenkenladen und zögere nicht, Hemden mit meinem Konterfei nachzubestellen. Mein indonesischer Grosshändler Bambang bestätigt die Grossbestellung per elektronischer Depesche und verspricht, die Lieferung noch heute auf die Reise zu schicken.
16.15 Uhr Weil Dixon eigenständig Gassi gegangen ist, verzichte ich ausnahmsweise auf einen Spaziergang. Stattdessen hantiere ich in der Küche mit der Bratpfanne und zaubere im Handumdrehen gesunde Fischstäbe mit Kartoffelbrei und Gemüse aus der Dose – wie gut das duftet.
17.15 Uhr Nach dem Abendessen gönne ich mir ein süffiges Budweiser auf der Terrasse und mache es mir zur Aufgabe, den Rasensprenger in Betrieb zu setzen und die hochgewachsene Petersilie zu bewässern.
19.00 Uhr Zur besten Sendezeit wechsle ich auf den Spartenkanal TNT und gebe mich der neuen Serie “The Alienist” hin. Das achtteilige Fernsehspektakel versetzt den Zuschauer ins 19. Jahrhundert und erzählt die Geschichte eines Kriminalpsychologen, der eine grausame Mordserie aufarbeiten muss – da kommt Spannung auf.
21.00 Uhr Als nach der zweiten Episode der Abspann über die Mattscheibe flimmert, betätige ich den AUS (unlöblich: OFF) Knopf auf der Fernbedienung. Zu guter Letzt lotse ich den Vierbeiner noch einmal in den Garten und lösche dann sämtliche Lichter. Gute Nacht.