08.00 Uhr Noch bevor ich mich aus dem Wasserbett rolle, nehme ich das praktische iPad zur Hand und überfliege die Tagebucheinträge meiner unterbelichteten Mieterin. Ich staune Bauklötze und erfahre, dass Sandra am Samstag ein Konzert in einem Münchner Hinterhoflokal besucht hat. Um mir ein genaueres Bild zu machen, segle ich auf die Heimseite des Interpreten und stelle fest, dass Herr Ron Pope nicht nur lange Haare hat, sondern auch einen ekelerregenden Drei-Tage-Bart trägt – wie unlöblich.
08.30 Uhr Während ich die Morgengymnastik im Garten absolviere, komme ich zu dem Schluss, dass mir das Kind am 20. Februar einen Besuch abstatten wird. Laut fluchend schlage ich ein Rad und erkläre Dixon, dass Sandras Aufenthalt bestimmt kein Zuckerschlecken wird.
Bald kommt Sandra
09.00 Uhr Trotz aller Widrigkeiten lasse ich mir die gute Laune nicht verderben und ziehe mich ins Bad zurück. Weil gutes Aussehen heutzutage besonders wichtig ist, lasse ich die Wirbelbadewanne mit Wasser vollaufen und entspanne mich redlichst. Ferner telefoniere ich mit Edelbert und informiere ihn, dass sich mein Bruder womöglich einen PORSCHE zulegen wird. Der Professor kommt aus dem Lachen gar nicht mehr heraus und entgegnet, dass ein solcher Luxusschlitten nicht nur ein kleines Vermögen kostet, sondern auch sehr viel Benzin verbraucht. Mein Gesprächspartner hat nur Hohn und Spott für Georg übrig und schlägt vor, dass wir uns gegen halb 11 im “Cafe Luna” treffen könnten – wie schön.
10.00 Uhr Nach dem Badespass rufe ich im Ferienhaus meiner Familie an und lasse Maria wissen, dass ich die wichtigste Mahlzeit des Tages ausnahmsweise in der Stadt einnehmen werde. Anschliessend scheuche ich den Vierbeiner zum SUV und rase mit quietschenden Pneus von dannen – da kommt Freude auf.
10.30 Uhr Pünktlich auf die Minute betrete ich die Wirtschaft an der 5th Avenue und freue mich, Edelbert auf der schattigen Sonnenterrasse anzutreffen. Mein Bekannter rückt mir einen Stuhl zurecht und sagt, dass er gerade zwei grosse Frühstücke sowie eine Kanne Kaffee geordert hat. Just als ich meine NY Yankees Kappe abnehme, kommen Georg und Maria daher und wünschen uns einen guten Morgen. Wir erwidern den Gruss und animieren die lieben Menschen, sich zu uns zu setzen. Prompt kommt ein gestriegelter Kellner an den Tisch und zückt seinen Schreibblock, um die Bestellung aufzunehmen.
Wir trinken Kaffee / Bild: Nevit Dilmen / CC BY-SA 3.0
11.15 Uhr Als wir kraftvoll zubeissen, komme ich auf unseren Abstecher zum PORSCHE Händler zu sprechen und erkundige mich bei Georg, wann er sein Unterschrift unter den Kaufvertrag setzen wird. Bevor mein Bruder antworten kann, erhebt Maria den Zeigefinger und meint, dass sie mit dem JEEP sehr zufrieden ist und ganz bestimmt kein neues Auto kaufen wird. Georg blickt traurig drein und unterbreitet, dass er von seiner Ehefrau leider eines Besseren belehrt wurde und nun doch keinen Neuwagen kaufen wird – wie schön.
11.45 Uhr Kurz vor dem Mittagsläuten begleichen wir die Zeche in Bar und schlendern entspannt durch den Stadtkern. Bei dieser Gelegenheit tratsche ich angeregt mit Georg und bringe in Erfahrung, dass meine Verwandten am übernächsten Wochenende ihre Zelte in Naples abbrechen werden. Maria reibt sich die Hände und setzt mich darüber in Kenntnis, dass sie es kaum noch erwarten kann, die Kinder in ihre Arme zu schliessen. Bei dieser Gelegenheit ruft mich Georg auf, kurzerhand mitzukommen und einen Kurzurlaub in Toronto einzulegen. Selbstverständlich lehne ich ab und stelle klar, dass ich in vier Wochen Frau Corte im Sonnenscheinstaat erwarte.
12.30 Uhr Nachdem ich meine Begleiter zu lustigem Speiseeis eingeladen habe, statten wir dem “Kristoff Jewelers” Geschäft einen Besuch ab. Wie nicht anders zu erwarten, beäugt meine Schwägerin den feilgebotenen Schmuck ganz genau und nimmt sich sogar das Recht heraus, sündteure Ohrringe anzuprobieren. Ich mache grosse Augen und lese auf dem Etikett, dass die Ohrstecker 14.900 Dollars kosten sollen – das ist ja allerhand.
13.15 Uhr Schlussendlich stehen wir wieder am Auto und Georg erzählt, dass er den Nachmittag nutzen wird, um im Internetz Aktienkäufe zu tätigen. Ich winke demonstrativ ab und wünsche den netten Leuten ruhige Stunden.
14.00 Uhr Zuhause angekommen, steige ich aus den Kuhjungenstiefeln und bette mich in der klimatisierten Stube zur Ruhe. Ich döse bald ein und sehe mich im Traum mit meiner vorlauten Mieterin konfrontiert.
15.00 Uhr Leider wird die himmlische Ruhe alsbald durch einen Anruf gestört. Ich nehme das Telefonat gähnend an und bin überrascht, Sandras Stimme zu hören. Das Kind begrüsst mich herzlich und erkundigt sich, ob es mir aus der alten Heimat etwas mitbringen soll. Ich überlege nicht lange und beauftrage die Maid, etliche Tafeln ROMY Schokolade sowie echten Jakobs Kaffee ins Land zu schmuggeln. Sandra nickt eifrig und meint, dass sie sich nun ins Bett legen und etwas lesen wird – das soll mir auch Recht sein.
Neumoderne Handtelefone sind sehr unlöblich
15.45 Uhr Nach dem Gespräch brühe ich Bohnentrunk auf und nehme am Schreibtisch Platz. Mit flinken Fingern navigiere ich durchs Internetz und studiere Hilferufe besorgter Eltern. Unter anderem rate ich einem alleinerziehenden Vater aus Moers, seinem Sohn (14) kein strahlendes Handtelefon zum Geburtstag zu schenken.
16.45 Uhr Kurz vor dem Fünfuhrläuten gehe ich erschöpft von der Leine und rufe Dixon ins Haus. Danach mache ich mich in der Küche nützlich und brate ein Steak (löblich: Schnitzel) im heissen Fett heraus. Zudem schwenke ich Buttergemüse in der Pfanne und zaubere in Windeseile eine nahrhafte Beilage – wie gut das duftet.
18.00 Uhr Nachdem ich die Geschirrspülmaschine knopfdrückend in Betrieb genommen habe, mache ich es mir im Wohnzimmer gemütlich, um mir die Nachrichten sowie eine Quizschau auf FOX anzuschauen – das macht Spass.
19.00 Uhr Zur beste Fernsehzeit wechsle ich auf den Bezahlsender HBO, wo just im Augenblick der Vorspann zum abendfüllenden Western “The Salvation” (auf deutsch: Spur der Vergeltung) anläuft. Ich genehmige mir ein süffiges Budweiser und tauche in das Leben des aus Dänemark immigrierten Siedlers Jon ein, der sich in Amerika zu Ende des 19. Jahrhunderts eine bescheidene Existenz aufbauen möchte. Als seine Frau hinterrücks ermordet wird, greift der gute Mann zu seinem Winchester Gewehr und schwört blutige Rache – wie aufregend.
21.00 Uhr Nach zweistündiger Spitzenunterhaltung schalte ich die Glotze aus und ziehe mich ins Schlafzimmer zurück. Gute Nacht.