07.30 Uhr Ein neuer Tag im Rentnerparadies beginnt und ich fühle mich blendend. Bei strahlendem Sonnenschein führe ich die Morgengymnastik durch und freue mich, weil die Anzeige des Aussenthermometers bereits jetzt die 70°F (21°C) Grenze überschritten hat.
08.15 Uhr Im Anschluss verabschiede ich mich in die Nasszelle und wundere mich, weil aus dem Wasserhahn nur eine rostbraune Brühe tropft. Ich kratze mich nachdenklich an der Stirn und entschliesse mich, nach nebenan zu laufen und Frau Pontecorvo über den Makel in Kenntnis zu setzen. Meine Nachbarin bittet mich in die gute Stube herein und sagt, dass während der Vormittagsstunden Wartungsarbeiten am Wasserzulauf durchgeführt werden. Als ich nachfrage, präsentiert die Gute ein Informationsschreiben und behauptet, dass alle betroffenen Haushalte über die Instandsetzungsarbeiten in Kenntnis gesetzt wurden. Ich seufze laut und mutmasse, dass ich den Brief womöglich ungelesen in den Mülleimer gesteckt habe.
09.00 Uhr Da es der kleinen Frau auch nicht möglich ist, frischen Bohnentrunk aufzubrühen, ziehe ich es vor, die wichtigste Mahlzeit des Tages in Julies Restaurant einzunehmen. Ruckzuck schlüpfe ich in bequeme Freizeitkleidung und kruse mit Hund Dixon zum Restaurant meines Vertrauens.
Clingmans Dome / Appalachian Trail
09.30 Uhr Die Wirtin begrüsst mich herzlich und meint, dass sie mich schon längere Zeit nicht mehr gesehen hat. Ich nicke eifrig und erzähle, dass ich die letzten Wochen auf dem Appalachian Trail verbracht habe. Frau Julie staunt Bauklötze und löchert mich mit Fragen. Obgleich ich der Dame keine Rechenschaft schuldig bin, gebe ich gerne Auskunft und unterbreite, dass ich mit Prof. Kuhn den Clingmans Dome bestiegen habe.
10.30 Uhr Nachdem ich mir den Mund fusselig geredet und der Wirtin ein stattliches Trinkgeld beschert habe, kehre ich zum Auto zurück. Zufrieden lasse ich den Wählhebel der Automatikschaltung in der “D” Stellung einrasten und gleite zu stimmungsvollen Radioklängen in Richtung Innenstadt davon. Unterdessen tippe ich Edelberts Nummer ins NOKIA Handtelefon und ärgere mich, den schlauen Mann nicht in seiner Stadtwohnung anzutreffen.
11.00 Uhr Trotz aller Widrigkeiten lasse ich mir die gute Laune nicht verderben und parke das KFZ kurzerhand an der 5th Avenue. Danach nehme ich Dixon an die Leine und spaziere eisschleckend durch das Zentrum. Unter anderem nehme ich die Schaufenster der Schuhgeschäfte in Augenschein und registriere, dass Flip Flops gar nicht mehr angesagt sind.
11.45 Uhr Da ich stets mit der Mode gehe, laufe ich zielstrebig in “Bob Bakers” Schuhladen und lasse mich von einem Fachmann beraten. Ein Schnösel mit Dreitagebart nimmt sich meiner Probleme an und sagt, dass derzeit sogenannte “Nylon Tie’s” (löblich: Nylon Bandschuhe) reissenden Absatz finden. Der Knecht überreicht mir ein Paar und animiert mich, die Schuhe anzuprobieren.
12.30 Uhr Kurz nach der Mittagszeit verlasse ich das Geschäft tütenbepackt und erkläre Dixon, dass die neuen Schuhe 90 Dollars gekostet haben. Ich schubse einen trödelnden Touristen zur Seite und ziehe es vor, ins “Verginas Restaurant” einzukehren, um einen Seafood Salad (löblich: Meeresfrüchte Salat) sowie ein Diablo Sandwich (löblich: Teufelsbrot) zu fressen. Ausserdem lösche ich meinen Durst mit Dr. Pepper Limonade und versuche erneut, Edelbert zu erreichen – leider ohne Erfolg.
13.30 Uhr Nun wird es aber langsam Zeit, nach Hause zu fahren. Ich begleiche die Rechnung mit meiner praktischen Kreditkarte und rase dann zügig in Richtung Willoughby Drive weiter.
14.15 Uhr Daheim angekommen, schellt mein Handtelefon und ich kann mit Edelbert sprechen. Der Professor plappert ohne Unterlass und berichtet, dass er bei Familie Satesh zum Mittagessen eingeladen war. Bei dieser Gelegenheit höre ich, dass der gute Mann den Nachmittag am Golfplatz verbringen wird, um einige Bälle zu schlagen – wie unlöblich.
15.00 Uhr Nachdem ich Dixons Fell gebürstet habe, bette ich mich in der guten Stube zur Ruhe. Schon bald döse ich ein und träume vom letztjährigen Oktoberfestbesuch – das war phantastisch.
16.00 Uhr Um nicht noch mehr Zeit zu vergeuden, raffe ich mich auf und nehme am Schreibtisch Platz. Pflichtbewusst schalte ich den Heimrechner ein und gebe mich den Hilferufen besorgter Heimseitenbesucher hin. Frau Evi. W. aus Burghausen berichtet schier Unglaubliches und schreibt, dass sich ihr unterbelichteter Sohn Peter (16) unsterblich in eine 25jährige Wurstverkäuferin verliebt hat. Ich fackle nicht lange und rate der Dame, vehement gegen diese Beziehung vorzugehen – wo kämen wir denn da hin.
17.00 Uhr Nachdem ich die neusten Einträge im Gästebuch überflogen habe, gehe ich von der Leine und bereite ein nahrhaftes Abendessen vor. Weil mir der Gusto nach etwas Saurem steht, schneide ich Capocollo in hauchdünne Scheiben und zaubere einen italienischen Wurstsalat mit Olivenöl und Essig. Dazu gibt es im Ofen aufgebackenes Knoblauchbrot sowie als Nachspeise etwas Schokoladeneis mit M&M’s und Sahne.
18.00 Uhr Während die Geschirrspülmaschine läuft und Dixon im Garten spielt, mache ich es mir im Wohnzimmer bequem. Ich schalte die Glotze ein und fröne den FOX Abendnachrichten. Dummerweise werde ich zeitnah durch Frau Pontecorvo gestört. Meine Nachbarin präsentiert eine Flasche Schaumwein und lotet aus, ob sie mir beim Fernsehschauen Gesellschaft leisten darf. Ich willige ein und wähle das Qualitätsprogramm von AMC aus.
19.00 Uhr Zur besten Sendezeit schenke ich mir etwas Sprudelsekt nach und folge gespannt der Reality Soap (löblich: Realitätsseife) “Small Town Security”, die von einem privaten Sicherheitsdienst in der Stadt Ringgold in Georgia erzählt – da kommt Spannung auf.
21.00 Uhr Weil mir langsam die Augen zufallen, bringe ich Frau Pontecorvo zur Türe und bitte sie, die leere Sektflasche in den Garten von Familie Booth zu werfen. Anschliessend wünsche ich der Alten angenehme Träume und gehe ins Bett. Gute Nacht.