10. April 2013 – Appalachian Trail Tag 1: Die Farrells und der Fontana Damm

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07.30 Uhr Ich werde durch lautes Vogelgekreische geweckt. Missmutig reibe ich mir den Schlaf aus den Augen und werde beim Blick aus dem Fenster Zeuge, wie zwei Weisskopfseeadler über ein Murmeltier herfallen. Weil Dixon mit den Zähnen fletscht, öffne ich die Türe und animiere den Rüden, für Ruhe auf dem Motelparkplatz zu sorgen.
08.00 Uhr Während der Vierbeiner in lautes Bellen ausbricht, statte ich Edelbert im Nachbarzimmer einen Besuch ab und bin überrascht, meinen Bekannten in voller Wandermontur anzutreffen. Der Professor studiert eine Strassenkarte und sagt, dass wir noch vor dem Frühstück das Auto auf dem örtlichen Parkplatz abstellen werden. Ich atme tief durch und verweise auf die kühlen Temperaturen. Prof. Kuhn zuckt gelangweilt mit den Achseln und sagt, dass wir am frühen Abend am Fontana Lake unsere Zelte aufbauen werden – das kann ja heiter werden.
09.00 Uhr Nach einer heissen Dusche schlüpfe ich in bequeme Kleidung und vergesse auch nicht, die sündteuren Wanderschuhe aus dem Hause “New Balance” anzuziehen. Danach werfe ich mir einen lindgrünen Regenponcho über und schleppe den Rucksack zum Auto. Edelbert lässt nicht lange auf sich warten und fordert mich auf, den bewachten Parkplatz am Ortseingang ansteuern.
09.30 Uhr Wenig später fahren wir auf den “Robbinsville Parking Site” (löblich: Robbinsville Parkplatz) auf und sehen uns mit einem rauchenden Bauernbuben konfrontiert. Der Gammler streckt die Hand aus und erkundigt sich, wie lange wir einen Stellplatz benötigen. Edelbert antwortet, dass wir die Great Smoky Mountains durchwandern wollen und in zwei Wochen zurück sein werden. Der Parkwächter nickt eifrig und bittet uns, 70 Dollars zu bezahlen – wie unlöblich.
10.00 Uhr Just als wir die Rucksäcke schultern, werden wir auf ein junges Ehepaar aufmerksam, das ihren grünen SUZUKI Crossover neben meinem Chevrolet parkt. Da die netten Leute einen Hund namens Jerry mitführen, kommen wir ins Gespräch und erfahren, dass Frau Jill (27) und Herr Peter (28) Farrell den 2.000 Meter hohen Clingmans Dome besteigen wollen. Edelbert staunt Bauklötze und schlägt vor, dass wir gemeinsam durch die Wildnis marschieren könnten – das ist eine hervorragende Idee.
10.30 Uhr Während wir ein Frühstück im “Carolina Kirchen Restaurant” verzehren, tratschen wir angeregt mit den aus Atlanta, GA stammenden Menschen. Herr Peter gibt sich uns als versierter Bergwanderer zu erkennen und behauptet, dass er einmal jährlich die Great Smoky Mountains besucht, um erquickende Tage in der Wildnis zu erleben. Darüber hinaus kommen wir auf unsere Ausrüstung zu sprechen und verraten, dass wir je vier Liter Mineralwasser, 10 Pfund Lebensmittel, einen GARMIN GPS Wandernavigator, Schlafsäcke sowie ein Zweimannzelt mitführen. Meine Tischnachbarin ist begeistert und meint, dass wir uns in den Wäldern gut zurecht finden werden.
11.15 Uhr Kurz vor der Mittagszeit verlassen wir die Wirtschaft und folgen in Begleitung der Farrells einer befestigten Strasse. Unterdessen geniesse ich den Ausblick auf die Great Smoky Mountains und höre, dass wir in sechs Stunden unser Lager am 12 Meilen entfernten “Fontana Damm” aufschlagen werden – wie aufregend.
13.00 Uhr Nach 90 Minuten verlassen wir die Teerstrasse und stossen auf ein Hinweisschild, auf dem die Entfernung zur nächsten Wanderhütte verzeichnet ist. Herr Farrell versorgt uns mit Fakten und unterbreitet, dass es auf dem Appalachian Trail unzählige Shelter gibt, die man als Unterschlupf nutzen kann – das ist phantastisch.

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15.00 Uhr Schnaufend passieren wir die sogenannte “Cable Gap Shelter” (löblich: Kabelloch Hütte) und sind überrascht, einen Mitarbeiter des “Smoky Mountain Hiking Clubs” (löblich: Rauchige Berge Wandervereins) zu treffen. Der Heini schwingt seinen Hammer und macht es sich zur Aufgabe, die Dachschindeln anzunageln. Wir lüften unsere Kappen und wünschen dem fleissigen Handwerker einen guten Tag. Anschliessend laufen wir über Stock und Stein und können im Dickicht sogar einige Füchse erspähen – da kommt Freude auf.
16.00 Uhr Als mein Magen zu knurren anfängt, hole ich einen Willy Wonka Laffy Taffy aus dem Rucksack und beisse kraftvoll zu. Nebenher halte ich mit Frau Jill Kleingespräche (unlöblich: Smalltalk) und erzähle, dass es seit meiner Jugend ein Lebenstraum ist, auf den Pfaden des Appalachian Trails zu wandern. Die brünette Dame lobt mich redlichst und ist sich sicher, dass ich diesen Ausflug lange in Erinnerung behalten werde.
17.00 Uhr Gegen 17 Uhr wird der Baumbestand immer dichter. Ausserdem fällt es uns wegen der hereinbrechenden Dunkelheit immer schwerer, die Beschriftungen auf den Wanderschildern zu entziffern. Herr Peter nimmt Hund Jerry an die Leine und kündigt an, dass wir in dreissig Minuten unser Ziel erreichen werden – das will ich hoffen.

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17.30 Uhr Kurze Zeit später stehen wir auf einer befestigten Landstrasse und sehen den Fontana Damm, der den Little Tennessee River aufstaut, um die Wasserkraft in Elektrizität umwandelt. Ich schnäuze beeindruckt in ein Taschentuch und kann es gar nicht mehr erwarten, mich am Lagerfeuer zu wärmen.
18.00 Uhr Weil der “Fontana Shelter” von einer Wandergruppe aus Kentucky bevölkert wird, schlagen wir unser Nachtlager am Flussufer auf. Herr Peter entfacht ein Feuer und zaubert vier Portionen Bohnen mit Speck. Zeitgleich spielen die Hunde im Flussbett und schrecken auch nicht davor zurück, kreischende Enten zu verjagen – wie lustig.
18.30 Uhr Während das Bachwasser plätschert, schlüpfe ich in den Schlafsack und lasse mir das Essen schmecken. Frau Jill serviert heissen Tee und erläutert, dass wir unsere Verpflegung unbedingt mit Seilen an einen Baum hängen sollten. Ich stimme zu und erwähne, dass der Geruch der Lebensmittel gefährliche Wildtiere wie z. B. Bären anlocken könnte.
19.30 Uhr Redlichst gestärkt ziehe ich mich ins Zelt zurück und fordere Dixon auf, in meinen Schlafsack zu kriechen. Obgleich mein NOKIA Handtelefon nur noch einen Balken anzeigt, rufe ich bei Frau Pontecorvo an und lasse sie wissen, dass wir die erste Etappe unserer vierzehntägigen Appalachian Trail Wanderung unbeschadet überstanden haben. Meine Nachbarin ist hocherfreut und bittet mich, sie regelmässig über unsere Abenteuer auf dem Laufenden zu halten.
20.00 Uhr Nachdem ich Edelbert und den Farrells eine gute Nacht gewünscht habe, schliesse ich die Augen und lausche dem Knistern des Lagerfeuers. Gute Nacht.