2. November 2012 – Thomas Kronach ist da

07.15 Uhr Ich werde durch eigenartige Geräusche geweckt. Um dem Krach auf den Grund zu gehen, eile ich in die Küche und stelle Sandra zur Rede. Gähnend tippe ich auf meine goldene ROLEX und erkläre, dass es noch nicht einmal halb 8 geschlagen hat. Das Kind zuckt mit den Schultern und erinnert daran, dass mein ehemaliger Studienkollege in wenigen Stunden ankommen wird. Nebenbei fährt sich die Maid durchs Haar und kündigt an, einen Frisör besuchen zu wollen. Ich überlege kurz und rate, “Ben’s Hair Salon” an der Livingston Road anzusteuern.
08.00 Uhr Nachdem Sandra mit quietschenden Reifen davon gefahren ist, nehme ich ein löbliches Wirbelbad und entspanne mich redlichst – das tut gut.
09.30 Uhr Just als ich das wichtigste Mahl des Tages verzehre, fährt Edelberts schneeweisser JEEP vor. Ich begrüsse meinen Bekannten winkend und informiere, dass Sandra ausgeflogen ist, um sich die Haare aufsteilen zu lassen. Der Professor leistet mir beim Frühstück Gesellschaft und möchte wissen, ob mein Gast “Ben’s Hair Salon” besucht. Ich stimme zu und erwidere, dass der 81jährige Frisör besonders günstige Preise bereithält. Edelbert gibt mir Recht und berichtet, dass sich namhafte Musiker entschlossen haben, am Abend des 2. November ein Benefizkonzert für die Opfer des verheerenden Sturms “Sandy” zu veranstalten. Darüber hinaus lerne ich, dass der Fernsehsender NBC die Schau am Abend ausstrahlen wird.
10.15 Uhr Wenig später stösst Sandra die Haustüre auf und straft mich mit skeptischen Blicken. Als ich genauer nachfrage, schimpft Sandra wie ein Rohrspatz und behauptet, dass ihr Herr Ben ständig in den Ausschnitt geglotzt hat. Ich komme aus dem Lachen gar nicht mehr heraus und animiere das Kind, sich ein kühles Bier zu genehmigen und brav zu sein. Sandra will jedoch nicht hören und flitzt nörgelnd ins Badezimmer.
11.30 Uhr Weil das kulinarische Wohl nicht zu kurz kommen darf, trommle ich mit den Fingern auf die Tischplatte und bringe einen Ausflug zum “Boston Beer Garden” zur Sprache. Edelbert gibt sich spendabel und sagt, dass er uns zu Speis und Trank einladen wird – wie schön.
12.30 Uhr Kurz nach dem Mittagsläuten betreten wir mit Hund Dixon im Schlepptau den Gasthof und nehmen an einem Fenstertisch mit Ausblick Platz. Sandra wischt sich die Schweissperlen von der Stirn und macht es sich zur Aufgabe, eine braun’sche Röhre sowie einen Salat mit Thousand Island Dressing (1.000 Insel Sauce) zu ordern. Ich schlage ebenfalls die Speisekarte auf und bestelle einen deftigen Cheeseburger mit Kartoffelstäben und Krautsalat.
13.15 Uhr Während wir kraftvoll zubeissen, schaut Sandra immer wieder auf ihre Armbanduhr und kann Thomas Kronachs Ankunft kaum noch erwarten. Ich rolle demonstrativ mit den Augen und mutmasse, dass die jungen Leute am Abend ausgehen und die Nacht zum Tag machen werden. Sandra ist begeistert und entgegnet, dass sie Thomas in ein angesagtes Tanzlokal ausführen wird – das ist typisch.
14.00 Uhr Nachdem wir die Rechnung beglichen haben, verlassen wir die Wirtschaft und laufen zur Villa zurück. Auf halber Strecke prescht plötzlich ein grauer Mietwagen an uns vorbei und wir bemerken, dass Thomas Kronach am Steuer sitzt. Der Rechtsanwalt lässt das Signalhorn ertönen und wir nehmen uns das Recht heraus, zuzusteigen und uns zum Willoughby Drive kutschieren zu lassen.
15.00 Uhr Zuhause angekommen, machen wir es uns auf der Terrasse bequem und feiern das Wiedersehen mit kräftigen Schlucken. Während der Schaumwein in Strömen fliesst, kommt Thomas auf wichtige Verpflichtungen zu sprechen und beteuert, dass er morgen einen Anwalt in Tampa treffen muss. Trotz des Termins zwinkert Thomas meiner Mieterin zu und sagt, dass er am Abend ausgehen möchte – wie unlöblich.
16.30 Uhr Als ich belegte Brote serviere, wendet sich Sandra meinem ehemaligen Studienkollegen zu und fordert ihn auf, die letzten Tage im grossen Apfel Revue passieren zu lassen. Der Thomas seufzt laut und berichtet, dass Hurrikan Sandy Schäden in Milliardenhöhe angerichtet, unzählige Menschen in den Tod gerissen und das Leben in der Metropole fast zum erliegen gebracht hat. Trotz allem legt Thomas beste Laune an den Tag und sagt, dass er nun in die Stadt rasen und sich ein Motel für die Nacht suchen muss. Selbstverständlich falle ich dem jungen Mann ins Wort und biete an, dass er die Nacht auf dem Wohnzimmersofa verbringen kann. Thomas winkt aber ab und unterbreitet, dass er sich ins “La Quinta Inn” einmieten wird – das soll mir auch Recht sein.
17.15 Uhr Nach dem Abendessen verabschiedet sich Prof. Kuhn und regt für Morgen ein gemeinsames Frühstück in Julies Restaurant an. Danach begleite ich den schlauen Mann zum Auto und nutze die Nachmittagsstunden, um Anschnur zu gehen und leidgeprüften Heimseitenbesuchern zu helfen.
18.30 Uhr Ein anstrengender Tag neigt sich seinem Ende zu und ich setze mich zu Hund Dixon aufs Kanapee. Während der Rüde mit einem Spielzeug quietscht, folge ich den Nachrichten auf FOX und bringe in Erfahrung, dass in 5 Tagen die Präsidentschaftswahl ansteht – das wird spannend. Im Anschluss wechsle ich auf NBC und schaue mir die Spendengala “Hurricane Sandy: Coming Together” (löblich: Wirbelsturm Sandy: Komme zusammen) an. Unter anderem werde ich Zeuge, wie unlöbliche Musikanten wie Christina Agilera, John Bon Jowie und Bruce Springstein Lieder singen und die Zuschauer aufrufen, Geld für die Opfer des Supersturms zu spenden. Weil ich ein guter Mensch bin, schalte ich das praktische iPad ein und lasse es mir nicht nehmen, 15 Dollars an hilfsbedürftige Menschen zu überweisen.
21.30 Uhr Nach 120 Minuten beende ich den Fernsehabend und tippe kurzerhand Sandras Nummer ins NOKIA Handtelefon. Das Kind meldet sich nach dem zweiten Tuten und ich bringe heraus, dass die jungen Leute romantische Stunden im “Lurcat” Restaurant verbringen. Seufzend beende ich das Ortsgespräch und gehe dann zu Bett. Gute Nacht.

Der Wirbelsturm Sandy wütete an der amerikanischen Ostküste