07.45 Uhr Weil ich am Freitag nach Atlantic City ausfliege, stehe ich heute etwas früher auf. Laut pfeifend hole ich meine Reisetasche aus dem begehbaren Schrank und mache es mir zur Aufgabe, Lackschuhe, den frisch aufgebügelten Smoking, Tschienshose, Hemden, Unterwäsche sowie Socken hineinzulegen. Ausserdem mache ich Hund Dixon auf die Tatsache aufmerksam, dass er mich nicht in die Spielerstadt am Atlantik begleiten kann. Stattdessen deute ich nach nebenan und stelle klar, dass er bis zum Sonntag bei Familie Crane bleiben muss. Der lustige Rüde ist ganz ausser sich und rennt kläffend zur Terrassentüre.
Polierte Lackschuhe
08.30 Uhr Nachdem ich den Vierbeiner hinausgelassen und die Morgengymnastik absolviert habe, lasse ich die Wirbelbadewanne mit Wasser volllaufen. Während des Waschvorgangs telefoniere ich mit Georg und erfahre, dass mich meine Verwandten zum Frühstück erwarten. Mein Bruder plappert ohne Unterlass und kündigt an, dass seine Ehefrau Pfannkuchen mit kanadischem Ahornsirup auf den Tisch bringen wird – wie aufregend.
09.30 Uhr Sechzig Minuten später sitze ich im Chevrolet Suburban und kruse mit dem Haustier zum Ferienhaus. Unterdessen drehe ich beherzt am Frequenzknopf des Radios und habe das Vergnügen, auf WCKT CAT COUNTRY (löblich: Katze Land) ein prima Lied der Carpenters zu hören. Darüber hinaus lerne ich, dass Richard Carpenter in 7 Tagen seinen 69. Geburtstag feiern wird – das ist phantastisch.
10.00 Uhr Als der Stundenzeiger meiner wertvollen ROLEX auf 10 zugeht, komme ich mit quietschenden Bremsen vor dem Zuhause meines Bruders zum Stehen. Mit knurrendem Magen betätige ich die Klingel und erkläre meiner Schwägerin, dass ich grossen Hunger mitgebracht habe. Die kleine Frau lotst mich spornstreichs in die gute Stube und tischt neben vitaminreichen Pfannkuchen ausserdem eine stattliche Portion Rühreier auf.
Morgen bin ich in Altantic City, NJ
10.30 Uhr Als wir kraftvoll zubeissen, möchte Georg plötzlich wissen, wie viel Geld ich nach Atlantic City mitnehmen werde. Ich zucke mit den Schultern und weise auf den Umstand hin, dass ich nichts ausgeben, sondern ein kleines Vermögen gewinnen werde. Mein Bruder lacht frech und glaubt, dass ich auf jeden Fall als Verlierer das “Borgata Casino” verlassen werde – papperlapapp.
11.00 Uhr Nach der Jause machen wir es uns am Schwimmbecken (unlöblich: Pool) bequem. Ich lehne mich entspannt zurück und lasse meine Gastgeber wissen, dass ich den anstehenden Kurzurlaub in vollen Zügen geniessen werde. Bei dieser Gelegenheit verweise ich auch auf das für den Samstag geplante Frankie Valli Konzert und gebe zu Protokoll, dass es immer wieder eine Freude ist, den 81jährigen Sänger auf der Bühne zu erleben. Georg schlägt in die gleiche Kerbe und meint, dass ich im Casino mein Glück beim “Black Jack “versuchen sollte.
11.30 Uhr Im weiteren Gesprächsverlauf macht mich Georg mit den Spielregeln vertraut und verdeutlicht, dass man beim “Black Jack” direkt gegen das Haus spielt und so nahe wie möglich an einen Kartenwert von 21 kommen muss. Mein Bruder ist bestens informiert und rechnet vor, dass alle Karten von 2 bis 10 den besagten Wert besitzen. Ausserdem lerne ich, dass ein Bube, ein König sowie eine Dame mit 10 sowie das Ass mit 11 gewertet werden.
12.15 Uhr Kurz nach der Mittagszeit präsentiert Georg einen Stapel Spielkarten und zögert nicht, mir zwei Karten auszugeben. Ich decke das Blatt augenblicklich auf und habe ein Herz 10 sowie eine Pik 3 vor mir liegen. Im Anschluss nimmt mein Bruder zwei Karten und freut sich über zwei Damen. Ich lege meine Stirn in Falten und entschliesse mich kurzerhand, eine weitere Karte zu ziehen und die Partie mit einer Karo 8 für mich zu entscheiden – da kommt besonders grosse Freude auf.
21 – Hurra, ich habe gewonnen
13.00 Uhr Nach weiteren verlorenen Spielen fährt sich mein Bruder entnervt durchs Haar und behauptet, dass ich echt Talent besitze. Ich nicke eifrig und kann es gar nicht mehr erwarten, morgen den Kartenausgeber des “Borgata Hotels” herauszufordern – das wird aufregend.
14.00 Uhr Nachdem wir Kaffee getrunken habe, wünsche ich meinen Verwandten einen schönen Tag und ziehe es vor, den Heimweg anzutreten. Ich scheuche Hund Dixon zum Auto und erinnere Georg, dass er Frau Pontecorvo, Edelbert und mich morgen gegen 7 Uhr zum Flughafen kutschieren muss. Mein Bruder reibt sich die Hände und sichert zu, zuerst den Professor in der Stadt abzuholen und dann in den Willoughby Drive zu kommen – wie schön.
15.00 Uhr Daheim angekommen, schlüpfe ich aus den Kuhjungenstiefeln und vergesse auch nicht, Dixons Napf mit Trockenfutter aufzufüllen. Anschliessend lasse ich mich schnaufend auf dem Kanapee nieder und döse schnell ein.
16.00 Uhr Ich öffne die Augen und registriere, dass sich dunkle Gewitterwolken vor die Sonne geschoben haben. Da es bald regnen wird, rufe ich Dixon ins Haus und nehme am Heimrechner platz. Pflichtbewusst studiere ich Anfragen besorgter Heimseitenbesucher und stosse dabei auf die Depesche eines 79jährigen Rentners aus Bad Homburg. Herr K. beklagt sich über die vielen Flüchtlinge, die derzeit nach Europa einfallen und meint, dass es schlauer wäre, Deutschland den Rücken zu kehren. Ich setze sogleich ein Antwortschreiben auf und rate Herr K., meinem Beispiel zu folgen und in die USA zu emigrieren.
Ich lausche Katze Land
17.00 Uhr Weil mein Magen laut knurrt, beende ich die Anschnurseelsorge und mache mich in der Küche nützlich. Zu stimmungsvollen WCKT CAT COUNTRY Klängen richte ich eine Wurstplatte mit luftgetrockneter Salami, Gewürzgurken und vitaminreichem Capocollo an – das gibt ein Festessen.
18.00 Uhr Zum Abschluss des nervenaufreibenden Tages lege ich in der Wohnstube die Beine hoch und telefoniere mit Edelbert. Ich lasse meine Tagesaktivitäten Revue passieren und erinnere daran, dass er morgen früh von Georg abgeholt wird. Der Professor ist begeistert und freut sich auf die anstehende Reise in den Norden.
19.00 Uhr Zur besten Sendezeit schalte ich auf ABC um und lasse beim abendfüllenden Spielfilm “Con Air” die Seele baumeln. Der Streifen aus dem Jahre 1997 handelt von einem hochrangigen Soldaten, der nach sieben langen Jahren endlich aus der Haft entlassen wird – wie aufregend.
21.00 Uhr Nach zweistündiger Spitzenunterhaltung beende ich den Fernsehabend und lösche sämtliche Lichter. Danach streichle ich Dixon über den Kopf und lege mich schlafen. Gute Nacht.