13. Januar 2015 – Was muss ich denn noch alles ertragen

pfaffenbergkl

08.00 Uhr Ich werde durch ohrenbetäubende Hartfelsenmusik geweckt und ärgere mich, weil Sandra den Radio zu laut gestellt hat. Mit erhobenem Zeigefinger eile ich in die gute Stube und fordere meinen Gast auf, etwas Rücksicht zu nehmen. Frl. Corte nippt genüsslich an einer Dr. Pepper Limonadendose und entgegnet, dass sie sowieso gleich ans Meer fahren wird – wie schön.

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Sandra nippt an einer Dr. Pepper Limodose

08.45 Uhr Nach der Morgengymnastik verabschiede ich mich ins Badezimmer und finde einen Berg Kleidung neben der Wirbelbadewanne vor. Ich rolle demonstrativ mit den Augen und kann es kaum noch erwarten, das Kind am kommenden Samstag zu verabschieden. HEUREKA – diesen Stress hält nicht einmal der stärkste Rentner aus.
09.15 Uhr Während ich mich redlichst entspanne, pocht Sandra an die Badezimmertüre und erkundigt sich, wo ich den Autoschlüssel gelassen habe. Ich lege das praktische iPad beiseite und erkläre der Maid, dass ich im friedliebenden Amerika lebe und den Schlüssel stets im Zündschloss stecken lasse. Darüber hinaus bitte ich das Kind, vorsichtig zu fahren und im Auto keine Zigaretten zu qualmen.

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Bitte nicht rauchen

09.45 Uhr Nach dem Badespass laufe ich in die Küche und bin überrascht, Frau Gomez anzutreffen. Meine Zugehfrau füllt den Putzeimer mit Leitungswasser auf und setzt mich darüber in Kenntnis, dass sie bereits heute die kleine Villa auf Vordermann bringen muss. Als ich genauer nachfrage, deutet die kleinwüchsige Mexikanerin in Richtung ihres verrosteten Kleinwagens und plappert davon, dass sie sich morgen einen neuen Wagen kaufen wird. Ich nicke eifrig und rate der Perle, sich einen Chevrolet Suburban zuzulegen. Die Putzfrau winkt jedoch ab und antwortet, dass sie auf den Taler achten muss und einen HONDA CIVIC kaufen will – wie unlöblich.
10.30 Uhr Just als ich mich am Küchentisch niederlasse, stösst Frau Pontecorvo die Haustüre auf. Meine Nachbarin wünscht mir einen guten Morgen und möchte wissen, wo Sandra abgeblieben ist. Ich seufze laut und gebe zu Protokoll, dass mir das Kind den letzten Nerv raubt. Meine Nachbarin streicht mir über den Arm und animiert mich, tief durchzuatmen.
11.00 Uhr Wenig später fährt Edelberts JEEP vor. Während Dixon freudig auf und ab hüpft, öffne ich die Pforte und gebe dem Professor zu verstehen, dass ich grosse Lust hätte, mein Ränzlein zu schnüren und ganz spontan zu verreisen. Mein Bekannter schenkt mir ein Lächeln und präsentiert eine Gebäckschachtel mit “Biscotti Farrugia” Aufdruck. Ich spendiere Prof. Kuhn einen Kaffee und erwähne, dass meine Mieterin ausgeflogen ist, um sich am Strand zu vergnügen. Der schlaue Mann wirft mir skeptische Blicke zu und unkt, dass Sandra womöglich in den Wagen zu Schrott fahren wird. Bevor ich antworten kann, klatscht Frau Pontecorvo in die Hände und sagt, dass sie sich diesen Unsinn nicht länger anhören wird.

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Cannolli – Schmeckt gar nicht schlecht

11.45 Uhr Kurz nachdem meine Nachbarin das Weite gesucht hat, kommt Sandra tütenbepackt nach Hause. Das Mädchen genehmigt sich einen Bohnentrunk und informiert, dass sie sich am Abend mit John Avanzatti und Carol Wang treffen wird. Ich fühle dem Kind ganz genau auf den Zahn und bringe heraus, dass die jungen Leute einem Konzert in Fort Myers beiwohnen möchten – wo soll das noch hinführen.
12.30 Uhr Weil das kulinarische Wohl nicht zu kurz kommen darf, schlendere ich in die Küche und sorge für das Mittagessen. Ich bereite im Handumdrehen italienische Langnudeln vor und nehme mir ausserdem das Recht heraus, die Teigwaren mit feinem Pesto und handgeriebenem Parmesan zu verfeinern. Danach serviere ich die Mahlzeit und verrate Edelbert, dass ich das Nudelwasser mit vitaminreichem Meersalz gewürzt habe.
13.30 Uhr Nach der Brotzeit wünscht uns Edelbert einen schönen Nachmittag. Der Professor lüftet seine Toronto Marlies Kappe und meint, dass er nun in die Stadt krusen und in einschlägigen Buchhandlungen nach spannendem Lesestoff suchen wird – wie langweilig.
14.00 Uhr Nachdem sich auch Frau Gomez verabschiedet hat, bette ich mich auf dem Kanapee zur Ruhe und werde beim Blick aus dem Fenster Zeuge, wie sich Sandra in einem knappen Bikini in der Sonne räkelt. Ich schliesse nörgelnd die Augen und döse bald ein, um von meinem Weihnachtsurlaub am Lake Simcoe zu träumen.
15.00 Uhr Leider wird mein Nickerchen bald durch Sandras Gepolter gestört. Das Mädchen beäugt sich im Spiegel und sagt, dass sie sich einen Sonnenbrand eingefangen hat. Weil ich ein netter Mensch bin, rolle ich mich augenblicklich vom Sofa und reibe Sandras Rücken mit duftendem Mandelöl ein.
15.30 Uhr Im Anschluss lasse ich mich am Schreibtisch nieder und kümmere mich um Anfragen besorgter Heimseitenbesucher. Meine Mieterin lässt währenddessen die Seele vor der Glotze baumeln und rechnet vor, dass ich über 1.800 Fernsehsender verfüge – das soll mir auch Recht sein.

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In Amerika gibt es viele Fernsehprogramme

16.30 Uhr Nach sechzig Minuten beende ich die Beratungsstunde und schlage vor, dass es schlauer wäre, auf das Konzert zu verzichten und zu Hause zu bleiben. Sandra will jedoch nicht hören und läuft ins Bad, um sich aufzubrezeln. Ich zucke mit den Schultern und ziehe es vor, Hund Dixon etwas Auslauf zu verschaffen. Mit einem lustigen Lied auf den Lippen spaziere ich zum La Playa Golfplatz und habe dort sogar das Vergnügen, einen stattlichen Rosapelikan zu sehen – da kommt Freude auf.
17.15 Uhr Als ich die Haustüre aufsperre, sehe ich mich mit Sandra konfrontiert und vernehme, dass sie nun zum “Naples Manor Hotel” fahren wird. Ich stecke dem Mädchen etwas Kleingeld zu und animiere es, sich ein Eis zu kaufen. Anschliessend mache ich mich in der Küche nützlich und belege Weissbrotscheiben mit Capocollo.
18.00 Uhr Nachdem auch der Vierbeiner gefressen hat, reguliere ich die Klimaanlage und lasse den Tag im Wohnzimmer ausklingen. Unter anderem schaue ich mir die Nachrichten auf FOX an und lerne, dass just heute vor 86 Jahren der Westernheld Wyatt Earp in Los Angeles verstorben ist.

19.00 Uhr Zur besten Sendezeit wähle ich das Qualitätsprogramm von HBO aus und fröne dem amerikanischen Drama “Her”. Ich öle meine ausgetrocknete Kehle mit einem süffigen Budweiser und tauche in das Leben eines schüchternen Journalisten ein, der sich unsterblich in die Stimme eines Heimrechnerprogramms verliebt.
21.15 Uhr Als nach 135 Minuten der Abspann über den überdimensionalen Fachbildschirm flimmert, betätige ich den “OFF” (löblich: AUS) Knopf auf der Fernbedienung und lege mich ins Bett. Gute Nacht.