2. Januar 2015 – Wyandot Ouentironk

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08.00 Uhr Der kleine David zerrt an der Bettdecke und plappert davon, dass gerade ein Elch um das Ferienhaus geschlichen ist. Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen und hüpfe prompt aus dem Bett, um mir selbst ein Bild zu machen. Beeindruckt schaue ich aus dem Fenster und werde Zeuge, wie eine grosse Elchkuh im Wald verschwindet – das ist ja allerhand.
08.30 Uhr Im Anschluss laufe ich badebemäntelt in die gute Stube und lasse Georg wissen, dass der Elch womöglich Verstärkung holen und das Ferienhaus angreifen wird. Mein Bruder klopft sich lachend auf die Schenkel und entgegnet, dass Elche friedliche Tiere sind. Ich gebe mich skeptisch und verschwinde spornstreichs im Bad.


Ich traue Elche nicht über den Weg

09.30 Uhr Nach einer Stunde beende ich das Badevergnügen und leiste meinen Verwandten bei der wichtigsten Mahlzeit des Tages Gesellschaft. Während ich lustige Pfannkuchen mit Ahornsirup verzehre, tratsche ich angeregt mit den Anwesenden und erfahre, dass wir morgen meinen Geburtstag am Lake Simcoe feiern und erst Tags darauf nach Toronto zurückfahren werden. Ich reibe mir die Hände und lote aus, ob ich mit Geschenken rechnen kann. Georg schüttelt den Kopf und meint, dass ich an Weihnachten genügend Präsente erhalten habe – wie schade.
10.30 Uhr Wir beenden das Frühstück und entschliessen uns, einen Spaziergang zu unternehmen. Während die Frauen zu Hause bleiben, schlüpfe ich in die gefütterte Winterjacke und folge James, Georg, Edelbert und David an die frische Luft. Wir folgen bei eisigen Temperaturen einem Trampelpfad und haben das Vergnügen, nicht nur Schwäne, sondern auch schnatternde Stockenten zu sehen, die am Ufer nach Essbarem Ausschau halten. Der Professor knipst Photos am laufendem Band und informiert, dass der Lake Simcoe von den ersten Siedlern im 17. Jahrhundert “Wyandot Ouentironk” genannt wurde. Der schlaue Mann ist bestens unterrichtet und setzt uns darüber in Kenntnis, dass dieser Begriff von den indianischen Ureinwohnern stammt und “schönes Gewässer” bedeutet – das soll mir auch Recht sein.

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Lake Simcoe

11.15 Uhr Nach einem beschwerlichen Marsch passieren wir plötzlich eine Blockhütte und Georg weiss zu berichten, dass dieses Anwesen im letzten Sommer von einem aus Toronto stammenden Geschäftsmann gebaut wurde. Mein Bruder deutet auf das Haus und fährt fort, dass Herr Emlick (56) ein hochrangiger Menetscher bei “Barrick Gold” ist. Als ich genauer nachfrage, rückt der gute Mann mit der ganzen Wahrheit heraus und verrät, dass besagtes Unternehmen einer der weltgrössten Goldproduzenten ist – wie aufregend.
12.00 Uhr Während David (9) Tannenzapfen auf das Eis schleudert, wende ich mich James zu und bringe in Erfahrung, dass er ab Montag wieder im Studio arbeiten und am neuen Northstar Album feilen wird. Ich lobe den jungen Mann über den Schellenkönig und bin mir sicher, dass die Scheibe in der Hitparade landen wird. Mein Neffe nimmt mir prompt den Wind aus den Segeln und meint, dass er froh sein kann, wenn 10.000 Exemplare veräussert werden.
12.45 Uhr Wir finden das Ferienhaus verlassen vor und lesen auf einer handschriftlich verfassten Notiz, dass Maria und Amanda nach Gilford gefahren sind. Laut seufzend bedienen wir uns selbst aus dem Kühlschrank und stärken uns mit vitaminreichen Wurstbroten. Dazu gibt es süffiges Labatt Blau Bier – das tut gut.

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Wurstbrote – schmeckt gar nicht schlecht

13.30 Uhr Nach der Brotzeit scheuche ich Dixon ins Gästezimmer und nehme mir das Recht heraus, eine kleine Pause einzulegen. Bereits nach wenigen Sekunden döse ich ein und träume von meiner kleinen Villa in Florida.
14.30 Uhr Leider werde ich bald aus dem schönen Traum gerissen. Mein Grossneffe springt ausgelassen ins Bett und verkündet, dass soeben seine Mutter zurückgekommen ist und Zimtschnecken mitgebracht hat. Ich komme sofort in die Gänge und mache es mir am Esstisch bequem. Meine Schwägerin überreicht mir süsses Backwerk und unterbreitet, dass sogenannte “Cinnamon Rolls” in Kanada sehr beliebt sind – das soll mir auch Recht sein.
15.00 Uhr Wenig später fängt es zu schneien an und wir kommen zu dem Schluss, dass es nicht angebracht ist, erneut einen Spaziergang zu unternehmen. Stattdessen breitet Amanda ein Monopolyspielbrett auf dem Tisch aus und fordert mich auf, eine Partie zu wagen. Ich rolle demonstrativ mit den Augen und ziehe es vor, das Bill Bryson Buch “Summer 1927” aufzuschlagen und mich über Calvin Coolidges Präsidentschaft schlau zu machen.


Bill Bryson – Sommer 1927

16.00 Uhr Als der Stundenzeiger meiner wertvollen Armbanduhr auf 4 deutet, verabschieden sich Edelbert und Georg in die Sauna. Unterdessen lege ich das Buch beiseite und versuche mein Glück beim Monopolyspielen. Leider stelle ich fest, dass David mit allen Wassern gewaschen ist und nicht davor zurückschreckt, ein Hotel auf dem Boardwalk zu bauen – das ist ja allerhand.
16.45 Uhr Nachdem ich einen Grossteil meiner Geldscheine verloren habe, werfe ich die Spielfiguren um und erkundige mich, wann wir mit dem Abendessen rechnen können. Maria fackelt nicht lange und entgegnet, dass sie sich jetzt in der Küche nützlich machen und Saiblinge herausbraten wird – das ist phantastisch.
17.30 Uhr Endlich ruft uns die gute Frau zu Tisch und serviert Butterkartoffeln mit gebratenem Fischfilet. Ich beisse kraftvoll zu und vernehme, dass wir uns den heutigen Abend mit einem Spielfilm vertreiben werden. Weil ich keine Lust habe, einen Kinderfilm zu sehen, verweise ich auf die reichhaltige DVD Sammlung und schlage vor, dass wir uns dem Alfred Hitchcock Krimi “Topas” hingeben könnten.
18.30 Uhr Bevor der Fernsehabend beginnt, helfe ich den lieben Menschen beim Abwasch. Danach verschaffe ich dem Vierbeiner etwas Auslauf und stelle mit grosser Sorge fest, dass seit dem Nachmittag 15 Zentimeter Neuschnee gefallen ist – wie unlöblich.

19.00 Uhr Trotz aller Widrigkeiten lasse ich mir die gute Laune nicht verderben und mache es mir mit einem Glas Glühwein vor der Leinwand bequem. Georg verfrachtet die Filmscheibe in den Projektor und belehrt, dass “Topas” aus dem Jahre 1969 stammt und Hitchcocks drittletzte Regiearbeit war. Ich lehne mich zufrieden zurück und tauche in eine verzwickte Spionagegeschichte ein, die kurz vor der Kubakrise spielt – da kommt Spannung auf.
21.00 Uhr Nach zweistündiger Spitzenunterhaltung flimmert der Abspann über die Leinwand. Ich strecke mich ausgiebig und gebe zu Protokoll, dass ich nun zu Bett gehen werde. Edelbert folgt meinem Beispiel und kann es kaum noch erwarten, morgen ein Stück Geburtstagstorte zum Frühstück zu essen – wie schön.
21.30 Uhr Nachdem ich noch etwas gelesen habe, lösche ich das Licht und schlafe bald ein. Gute Nacht.