19. Juli 2017 – Auf der Flucht

07.00 Uhr Da ich während der Nacht kaum ein Auge schliessen konnte, rolle ich mich bereits um 7 Uhr aus dem Bett und begrüsse die aufgehende Sonne mit dem Frühsport. Nebenher zermartere ich mir den Kopf und kann es immer noch nicht glauben, dass meine Schwester samt ihres verlotterten Sohnes bald in Florida eintreffen wird.
08.00 Uhr Nachdem ich meine Glieder gestählt habe, ziehe ich mich in die Nasszelle zurück und entspanne mich bei einem Wirbelbad. Unterdessen lege ich die Stirn in Falten und überlege, wie ich einem Treffen mit Guido entgehen kann. In meiner Verzweiflung tippe ich Scherriff Bradforts Nummer in die Schwarzbeere (unlöblich: Blackberry) ein und frage nach, ob er mir Polizeischutz gewähren kann. Ich schildere meine Probleme in allen Einzelheiten und vernehme, dass dem Ordnungshüter in diesem Fall leider die Hände gebunden sind – wie unlöblich.


Ich greife besorgt zur Schwarzbeere

09.00 Uhr Als der Stundenzeiger meines Chronographens auf 9 zugeht, beende ich den Badespass und trotte deprimiert in die Küche, um Dixons Napf mit Futter aufzufüllen. Ausserdem kontaktiere ich meinen Bruder und erfahre, dass er den Alltag hinter sich gelassen hat und nun für sechs lange Wochen die Seele am Lake Gilford baumeln lassen wird. Natürlich komme ich ohne Umschweife auf meinen kriminellen Neffen zu sprechen und informiere, dass ich dem Ganoven unter keinen Umständen gegenübertreten werde. Mein Gesprächspartner beruhigt mich sofort und schlägt vor, dass ich mich jederzeit hinters Lenkrad des WINNEBAGO schwingen und nach Gilford Beach reisen könnte – das hört sich verlockend an.
10.00 Uhr Nach dem Frühstück laufe ich in der guten Stube auf und ab und rufe mir Guidos Vergehen der letzten Jahre ins Gedächtnis. Ich streichle Dixon über den Kopf und erinnere ich mich an die ausufernde Silvesterfeier, die der Gammler zum Ende des Jahres 2002 im Waldweg veranstaltet hat. Obendrein verrate ich dem Haustier, dass mich Guido zweimal ausgeraubt und sogar entführt hat – wie schrecklich.


Guido ist ein bösartiger Mensch

11.00 Uhr Verängstigt klatsche ich in die Hände und fasse den Entschluss, meine Zelte in Naples kurzerhand abzubrechen und zu verreisen. Schnaufend hüpfe ich vom Kanapee und mach mich daran, Anziehsachen, den Revolver inklusive Munition, Kulturtasche sowie Bargeld in meinen praktischen Rollkoffer zu verstauen.
12.00 Uhr Zu guter Letzt sortiere ich verderbliche Lebensmittel aus und lasse es mir nicht nehmen, die Waren zum Nachbaranwesen zu bringen. Bei dieser Gelegenheit setze ich Frau Pontecorvo über mein Vorhaben in Kenntnis und gebe bekannt, dass wir uns spätestens in einem Monat wiedersehen werden.
12.30 Uhr Nachdem mir die Dame versichert hat, regelmässig in der kleinen Villa nach dem Rechten zu sehen, rolle ich den Koffer zum Auto. Im Anschluss gleite ich in Richtung Innenstadt davon und freue mich, Edelbert zu überraschen. Um für gute Stimmung zu sorgen, stelle ich den Radio etwas lauter und unterbreite dem Rüden, dass wir auf grosse Reise gehen und bald kanadischen Boden unter unseren Füssen spüren werden – wie aufregend.
13.15 Uhr Kurz nach dem Einuhrläuten erreiche ich mein Ziel und betätige Edelberts Klingel. Der Professor heisst mich herzlich Willkommen und zeigt sich prompt einverstanden, mich auf meiner Reise gen Norden zu begleiten. Bevor ich mich versehe, holt der gute Mann seinen Koffer aus dem begehbaren Schrank und sagt, dass wir in dreissig Minuten losfahren können – das ist die beste Nachricht des ganzen Tages.
14.00 Uhr Beschwingt werfen wir Edelberts Gepäck in den Chevrolet und entschliessen uns, vor der Abfahrt ein Mittagessen in einem der umliegenden Restaurants einzunehmen. Während wir uns saftige Cheeseburger (löblich: Käseburger) schmecken lassen, berichte ich von meinem Telefonat mit Georg und erwähne, dass wir selbstverständlich mit dem Travato verreisen werden.


Wir beissen kraftvoll zu

15.00 Uhr Nachdem ich dem Kellner ein stattliches Trinkgeld beschert habe, scheuchen wir Hund Dixon zum PS-strotzenden SUV und gleiten zu stimmungsvoller Radiomusik stadtauswärts.
15.30 Uhr Wenig später treffen wir im Lowbank Drive ein und bemerken, dass Georg das Wohnmobil am Strassenrand abgestellt und mit einer Plane bedeckt hat. Um einen genauen Überblick zu bekommen, lasse wir den Motor aufheulen und registrieren, dass die Batterieanzeige im roten Bereich steht. Ich kratze mich nachdenklich an der Schläfe und stelle klar, dass wir unsere Abreise auf Morgen verschieben sollten.


Das Ferienhaus meiner Verwandten

16.30 Uhr Nachdem wir uns im Feriendomizil häuslich eingerichtet haben, schliesse ich die Batterie an das Stromnetz an und bringe beim Blick auf die Anzeige heraus, dass der Akkumulator mindestens 12 Stunden geladen werden muss. Prof. Kuhn wendet sich schulterzuckend ab und sagt, dass er nun mit dem Chevrolet zum “Publix” Supermarkt am Pelican Strand fahren und Lebensmittel einkaufen wird – jaja.
17.30 Uhr Während Edelbert von Dannen prescht, fülle ich den Wassertank des Travatos auf und habe das Vergnügen, mit Herrn Wang plaudern zu können. Der Motelbesitzer freut sich sehr und lotet aus, ob wir mit dem WINNEBAGO ins Grüne fahren wollen. Ich stimme zu und berichte, dass ich einem Treffen mit Guido und meiner Schwester aus dem Weg gehen muss. Der nette Mann zeigt Verständnis und lässt es sich nicht nehmen, uns zu einem kleinen Umtrunk in sein Zuhause einzuladen – das hört man gerne.


Wir verreisen mit dem WINNEBAGO TRAVATO

18.30 Uhr Eine Stunde später kommt Edelbert vom Schoppen zurück und rechnet vor, dass er 100 Dollars in Weichgetränke (unlöblich: Softdrinks), Obst und Konservendosen investiert hat. Ich reibe mir die Hände und lasse den Professor wissen, dass wir bei Herrn Wang zum Essen eingeladen sind. Ruckzuck schleppen wir die Einkäufe ins Haus und nehmen uns dann das Recht heraus, mit knurrenden Mägen zum Nachbarhaus zu schlendern.
19.15 Uhr Während wir gemütlich zusammensitzen und Sandwiches verzehren, lasse ich Herrn Wang an meinen Problemen teilhaben und unke, dass Guido nichts Gutes im Schilde führt. Mein Tischnachbar rollt demonstrativ mit den Augen und wirft ein, dass es eine hervorragende Idee war, die Zelte im Willoughby Drive abzubrechen. Edelbert prostet Herrn Wang mit einem süffigen Budweiser zu und sagt, dass uns die morgige Tagesetappe durch den “Picayune Forest” bis nach Fort Lauderdale an Floridas Ostküste führen wird – das wird eine Gaudi.
20.15 Uhr Ein schöner Abend neigt sich langsam aber sicher seinem Ende zu. Um Morgen fit zu sein, bedanken wir uns für Speis und Trank und wünschen Herrn Wang einen angenehmen Abend. Anschliessend kehren wir ins Ferienhaus meiner Familie zurück und legen uns schlafen. Gute Nacht.