6. Juli 2015 – Melville Nauheim Shelter

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08.00 Uhr Der Reisewecker bimmelt und ich hüpfe voller Vorfreude aus dem Hotelbett. Um nicht noch mehr Zeit zu vertrödeln, trete ich ans Fenster und habe das Vergnügen, direkt auf den Campus der “University of Albany” schauen zu können – da kommt Freude auf.
08.45 Uhr Während ich mich kalt abdusche, mache ich mir meine eigenen Gedanken und erzähle dem Vierbeiner, dass unser Aufenthalt in der Hauptstadt des Bundesstaates New York heute endet. Darüber hinaus erwähne ich, dass wir gleich nach dem Frühstück mit einem Taxi ins knapp 40 Meilen entfernte Bennington fahren und auf dem Appalachian Trail wandern werden – das wird eine Gaudi.
09.15 Uhr Nachdem ich mich in Schale geworfen und meinen Ranzen gepackt habe, verlasse ich das luxuriöse Hotelzimmer und poche an Edelberts Türe. Der Professor öffnet prompt und präsentiert sich in einer lindgrünen Wandertracht. Ich komme aus dem Lachen gar nicht mehr heraus und gebe zu Protokoll, dass ich grossen Hunger habe und vor der Abfahrt frühstücken möchte. Der Professor nickt eifrig und folgt mir plappernd in den Frühstücksraum des “Hilton Garden Inn Hotels”.

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Französische Hörnchen schmecken prima

09.45 Uhr Weil das kulinarische Wohl nicht zu kurz kommen darf, laden wir unsere Teller am Büffet auf und erkennen, dass wir während der anstehenden sieben Tage auf Rühreier, Speckstreifen und französische Hörnchen (unlöblich: Croissants) verzichten müssen. Mein Tischnachbar rückt sein khakifarbenes Käppi zurecht und sagt, dass er es kaum noch erwarten kann, auf den Appalachian Trail zurückzukehren – wie wahr.
10.30 Uhr Wir beenden die wichtigste Mahlzeit des Tages und laufen schnurstracks in den angeschlossenen Waschraum, um unsere Feldflaschen mit Leitungswasser aufzufüllen. Ferner binde ich mir noch einmal die Schnürsenkel und stelle klar, dass uns nun niemand mehr aufhalten kann.
11.15 Uhr Zu guter Letzt geben wir die Schlüsselkarten an der Rezeption ab und erkundigen uns beim Hotelknecht nach einem Taxi. Der Heini deutet auf die Drehtüre und beteuert, dass wir vor dem Eingang fündig werden. Wortlos schultern wir unsere Rucksäcke und laufen an die frische Luft, um ins erstbeste Taxi einzusteigen. Der dunkelhäutige Fahrer heisst uns herzlich Willkommen und lotet aus, ob er den Flughafen ansteuern soll. Wir schütteln energisch die Köpfe und entgegnen, dass wir nach Bennington wollen.

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State Capitol, Albany, NY
Bild: CC-BY-SA-3.0/Matt H. Wade at Wikipedia

11.45 Uhr Während der kurzweiligen Autofahrt streichle ich Dixon über den Kopf und tratsche angeregt mit Edelbert. Unter anderem lasse ich unseren Aufenthalt in Albany Revue passieren und merke an, dass das im Jahre 1899 fertiggestellte “New York State Capitol” besonders sehenswert war. Unser Fahrer schlägt in die gleiche Kerbe und meint, dass Albany stets eine Reise wert ist.
12.30 Uhr Als die Sonne ihren Höchststand erreicht hat, passieren wir die Staatsgrenze und lernen anhand eines Strassenschildes, dass unser Ziel nur noch drei Meilen entfernt liegt. Edelbert zückt prompt seine Wanderkarte und unterbreitet, dass wir nun dem Highway 9 nach Osten folgen und nach knapp 5 Meilen auf den Trail treffen werden.
13.00 Uhr Nachdem wir dem Taxifahrer 75 Dollars überreicht haben, schlendern wir entspannt durch Bennington und stellen wohlwollend fest, dass es sich hierbei um eine beschauliche Kleinstadt mit wunderschönen Häusern handelt. Der Professor ist ebenfalls angetan und meint, dass wir vor unserem ersten Tagesmarsch zu Mittag essen sollten. Ruckzuck finden wir uns in einem Italiengasthaus namens “Allegro Ristorante” wieder und kommen in den Genuss einer schmackhaften Salamipizza. Die freundliche Kellnerin serviert unserem vierbeinigen Begleiter ausserdem etwas Wasser und lotet aus, ob wir Wanderer sind. Ich gebe der Maid Recht und antworte, dass wir bis zum kommenden Wochenende bis nach Shrewsbury spazieren werden.

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Mit Hund Dixon auf den Appalachian Trail

14.15 Uhr Redlichst gestärkt verlassen wir das Gasthaus und folgen der Vermont Route 9 gen Osten. Unterdessen fuchtelt Edelbert mit seinem Handtelefon herum und sagt, dass die neu installierte GPS Navigationsweichware sehr hilfreich ist. Ich zucke mit den Schultern und stimme das schöne Lied von der launischen Forelle an.
15.45 Uhr Nach einem eineinhalbstündigen Gewaltmarsch bei sengender Hitze, treffen wir auf eine Gruppe Wanderer, die sich aus dem Dickicht des angrenzenden Waldes schlägt. Als wir mit den bärtigen Männern ins Gespräch kommen, erfahren wir, dass die Leute den Appalachian Trail von Norden nach Süden abwandern. Der Wortführer steckt sich eine Mentholzigarette an und rechnet vor, dass er mit seinen Freunden in den letzten zwei Monaten knapp 700 Meilen gelaufen ist. Ich wische mir die Schweissperlen von der Stirn und entgegne, dass wir bis zum kommenden Wochenende lediglich 80 Meilen zurücklegen wollen. Der Gammler aus Michigan wünsche uns viel Erfolg und rät dazu, wegen der Schwarzbären den ausgeschilderten Weg nicht zu verlassen.

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Wir schlagen uns in den Wald

16.45 Uhr Endlich können wir in den Green Mountain Nationalforst eintauchen und unsere Wanderung im Schatten der hochgewachsenen Bäume fortsetzen. Prof. Kuhn stopft etwas Tabak in seine Pfeife und meint, dass es nichts schöneres geben kann, als durch einen kühlen Wald zu laufen. Ich gebe meinem Bekannten Recht und öle meine ausgetrocknete Kehle mit einem kräftigen Schluck aus der Wasserflasche – das tut gut.

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Lustige Walderdbeeren

17.30 Uhr Wenig später durchbricht Hund Dixon die himmlische Ruhe durch lautes Bellen. Als ich mich umschaue, werde ich plötzlich auf eine junge Wanderin aufmerksam, die Walderdbeeren von einem Strauch pflückt. Wie es sich gehört, begrüssen wir das Mädchen herzlich und bringen in Erfahrung, dass während der Abendstunden mit leichtem Regenfall zu rechnen ist. Ich schlage die Hände über dem Kopf zusammen und erwähne, dass es wohl schlauer wäre, den nächstgelegenen Shelter (löblich: Schutzhütte) anzusteuern. Das junge Ding (29) stellt sich uns als Frau Abigail aus Schenectady, NY vor und sagt, dass es ihr eine Ehre wäre, mit uns die Nacht im zwei Meilen entfernten “Melville Nauheim Shelter” zu verbringen – wie aufregend.

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Am Melville Nauheim Shelter

18.15 Uhr Nach 10 Meilen stehen wir endlich vor einer heruntergekommenen Holzhütte und bemerken, dass sich dort schon zwei weitere Wanderer einquartiert haben. Trotz aller Widrigkeiten lassen wir uns die gute Laune nicht verderben und nehmen erschöpft an einem mit Moos überwachsenen Holztisch platz.
19.00 Uhr Nachdem wir mit den anderen geplaudert und ein Feuer entfacht haben, holen wir das Campinggeschirr hervor und kochen über dem lodernden Feuer vitaminreichen Reis sowie etwas Fleisch. Nebenbei berichtet Frau Abigail, dass wir unseren Proviant während der Nacht nicht im Shelter aufbewahren sollten. Ich schaufle die spärliche Jause hungrig in mich hinein und deute auf eine Holzkiste, die uns als Stauraum gute Dienste leisten wird.
20.00 Uhr Als sich die Nacht über den Green Mountain National Forest legt, breiten wir unsere Schlafsäcke aus und fassen den Entschluss, uns an einem kleinen Bach die Zähne zu putzen. Edelbert schwärmt währenddessen in den höchsten Tönen und freut sich, morgen weitere 10 Meilen zurückzulegen – das kann ja heiter werden.
21.00 Uhr Zu guter Letzt lege ich eine Decke für Hund Dixon bereit und fordere den Rüden mit erhobenen Zeigefinger auf, während der Nacht nicht in den Wald zu laufen. Danach wünsche ich den anderen schöne Träume und döse bei einsetzendem Regen bald ein. Gute Nacht.