08.00 Uhr Der 352. Tag des Jahres beginnt und ich freue mich, weil auch heute die Sonne vom Himmel lacht. Ich läute den Morgen mit dem Frühsport auf der Terrasse ein und werde Zeuge, wie Herr Booth mit der Gartenkralle hantiert. Weil mir ein gutes Nachbarschaftsverhältnis sehr am Herzen liegt, winke ich dem Heini zu und berichte, dass ich übermorgen nach Kanada ausfliegen werde. Der Vietnamveteran freut sich und entgegnet, dass er Weihnachten mit seiner Ehefrau im Sonnenscheinstaat erleben wird – das soll mir Recht sein.
Die Petersilie wuchert
08.45 Uhr Nachdem ich das Petersilienbeet bewässert habe, ziehe ich mich ins Badezimmer zurück, um die Seele bei einem erfrischenden Wirbelbad baumeln zu lassen. Nebenher tippe ich die Telefonnummer meines Bruders in die Schwarzbeere (unlöblich: Blackberry) ein und habe das Vergnügen, nach dem zweiten Tuten mit meiner Schwägerin sprechen zu können. Maria gibt sich gestresst und teilt mir auf Anfrage mit, dass sie viel um die Ohren hat und Plätzchen backen muss. Ich lecke mir die Lippe und rechne vor, dass wir uns in 54 Stunden endlich in die Arme schliessen können – da bleibt kein Auge trocken.
09.45 Uhr Just als ich mich in legere Freizeitkleidung zwänge, fährt Edelberts schneeweisser JEEP vor. Ich begrüsse den Professor herzlich und vernehme, dass mein Bekannter grossen Hunger mitgebracht hat. Wie es sich für einen perfekten Gastgeber gehört, lotse ich den guten Mann in die Küche und mache es mir zur Aufgabe, echten Bohnenkaffee aufzubrühen. Ausserdem decke ich den Tisch mit wertvollen Porzellantellern ein und zaubere im Handumdrehen köstliche Rühreier mit Schinken – wie das duftet.
Wir trinken Kaffee / Bild: Nevit Dilmen / CC BY-SA 3.0
10.30 Uhr Während wir auf der Terrasse sitzen und kraftvoll zubeissen, stattet uns Frau Pontecorvo einen Besuch ab. Die kleine Frau kommt aus dem Plappern gar nicht mehr heraus und erzählt, dass sie gestern in der FORD Werkstatt 870 Dollars löhnen musste. Ich staune nicht schlecht und höre, dass die Mechaniker an ihrem MUSTANG nicht nur die Bremsklötze austauschen, sondern auch eine neue Batterie einsetzen mussten.
11.15 Uhr Kurz nach dem Elfuhrläuten beenden wir das Frühstück und entschliessen uns, mit zwei Autos in die Innenstadt zu krusen. Ich helfe Frau Pontecorvo als Kavalier der alten Schule auf den Beifahrersitz und vergesse auch nicht, Hund Dixon auf die Ladefläche zu hieven. Danach lasse ich den Motor des PS-strotzenden SUV aufheulen und folge Edelberts Geländewagen in Richtung Stadtzentrum.
12.00 Uhr Als die Sonne ihren Höchststand erreicht hat, parke ich das KFZ vor Edelberts Wohnadresse und hüpfe freudig aus dem Auto. Frau Pontecorvo tut es mir gleich und meint, dass es angebracht wäre, im Marilyn’s Schuhgeschäft nach schicken Sandalen Ausschau zu halten. Ich tippe mir an die Schläfe und antworte, dass ich einen Gürtel benötige und mich in der “Joseph Wendt” Boutique nach einem passenden Modell erkundigen werde. Bevor meine Nachbarin Widerworte geben kann, eile ich ins Geschäft und frage einen hochnäsigen Verkäufer, ob preiswerte Gürtel aus echtem Rindsleger vorrätig sind. Der Schnösel schüttelt jedoch den Kopf und antwortet, dass GUCCI Gürtel stets aus Kunstleder gefertigt werden – das ist wieder typisch.
Naples ist ein Schoppingparadies
12.45 Uhr Trotz aller Widrigkeiten lasse ich mir die gute Laune nicht verderben und folge meinen Begleitern ins neueröffnete “Avenue Wine Cafe”, um durstlöschende Mangolimonade sowie Eisbecher mit Sahne zu ordern. Unterdessen plaudere ich mit meinen Freunden und gebe zu Protokoll, dass ich morgen meinen Koffer packen werde. Edelbert nickt eifrig und merkt an, dass es kein leichtes Unterfangen werden wird, die Weihnachtspräsente in einer Reisetasche zu verstauen – das kann man laut sagen.
13.45 Uhr Anschliessend sehen wir uns im “Castaway” Kleidermarkt um und registrieren, dass es auch hier keinen Gürtel für kleines Geld zu kaufen gibt. Ich raufe mir die Haare und ringe mich dazu durch, mein Glück in Toronto zu versuchen – mir bleibt wirklich gar nichts erspart.
14.30 Uhr Nachdem wir uns von Edelbert verabschiedet haben, laufen wir zum Auto zurück und treten die Heimfahrt an. Währenddessen erfreuen wir uns am Qualitätsradioprogramm von WCKT CAT COUNTRY (löblich: Katze Land) und haben sogar das Vergnügen, ein Dolly Parton Weihnachtslied zu hören – was kann es schöneres geben.
15.15 Uhr Zurück im Willoughby Drive, schlüpfe ich aus den Stiefeln und mache es mir auf dem Kanapee bequem. Nach wenigen Augenblicken döse ich ein und träume von meiner spannenden Reise nach Nashville im Jahr 2005.
16.15 Uhr Nach der Pause nehme ich am Schreibtisch Platz und rufe Depeschen besorgter Heimseitenbesucher ab. Natürlich nehme ich alle Nachrichten sehr ernst und rate verzweifelten Eltern, mit frechen Jugendlichen nicht zu zimperlich umzuspringen – immerhin darf man sich nicht alles gefallen lassen.
17.00 Uhr Nach der Anschnurarbeit richte ich mir eine kalte Platte mit hauchdünn aufgeschnittenem Capocollo, Cheddar Käse und Gewürzgurken auf dem Glas an. Um zur Ruhe zu kommen, nehme ich das Nachtmahl an der frischen Luft ein und spähe zufrieden in Richtung des Teichs – diese Idylle muss man erlebt haben.
18.00 Uhr Redlichst gestärkt erledige ich die Hausarbeit und lasse Dixon wissen, dass wir den morgigen Tag etwas ruhiger angehen lasen werden. Der Vierbeiner bestätigt meine Aussage mit lautem Bellen und zögert nicht, sich mit einem quietschendem Hundespielzeug zu beschäftigen. Ich genehmige mir eine Hopfenkaltschale und setze mich dann ins Wohnzimmer, um mich im Fernsehen über Barack Obamas heutige Presseansprache zu informieren. Ich mache grosse Augen und lerne, dass der Präsident die diplomatischen Beziehungen zu Kuba aufleben lassen möchte – das ist ja allerhand.
19.00 Uhr Anschliessend wechsle ich auf den Bezahlsender AMC und fröne den letzten drei Episoden der spannenden Endzeitserie “The Walking Dead” (löblich: Der wandelnde Tod). Ausserdem lasse ich mir köstliche Lebkuchen munden und spüle meine trockene Kehle mit einer weiteren Hopfenkaltschale durch – das tut gut.
21.00 Uhr Ein spannender Fernsehabend geht zu Ende und ich reguliere die Klimaanlage. Im Anschluss streiche ich Dixon über den Kopf und falle erschöpft ins Bett. Gute Nacht.