13. Juli 2015 – Endlich in Londonderry

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08.00 Uhr Ich werde durch den Schrei einer Waldeule geweckt und bemerke, dass Edelbert auch schon auf den Beinen ist. Als ich mir den Schlaf aus den Augen reibe, macht mich mein Bekannter auf den Umstand aufmerksam, dass die Wanderer, mit denen wir gestern den “Bromley Shelter” teilen mussten, in der Zwischenzeit weitergezogen sind. Der Professor überreicht mir eine handschriftlich aufgesetzte Notiz und sagt, dass uns die aus New Jersey stammenden Männer viel Glück für unseren letzten Wandertag wünschen – wie schön.

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Im Green Mointain National Forest

08.30 Uhr Nachdem ich mich am Flusslauf gewaschen habe, kehre ich zum Unterstand zurück und nehme mit einem spärlichen Frühstück Vorlieb. Unterdessen breitet mein Bekannter seine Wanderkarten aus und sagt, dass wir nun nach Londonderry laufen und in ein schönes Motel eintschecken werden – das hört man gerne.
09.15 Uhr Wenig später verfrachten wir unsere Habseligkeiten in die Rucksäcke und machen uns auf den Weg nach Osten. Bei schräg einfallendem Sonnenlicht schlagen wir uns durch den Green Mountain Nationalforst und haben das Vergnügen, am Wegesrand hochgewachsenes Farnkraut zu sehen. Mein Begleiter versorgt mich mit Infos und beteuert, dass Farne bereits zur Karbonzeit auf der Erde zu finden waren. Ich mache grosse Augen und lerne, dass weitläufige Farnhaine die Basis für die heutigen Steinkohlevorkommnisse schufen – wie schön.

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Ein lustiger Farn

10.00 Uhr Just als der Stundenzeiger meiner ROLEX auf 10 deutet, treffen wir auf zwei Frauenzimmer, die sich uns als Lilli (21) und Julianne (23) vorstellen. Selbstverständlich tratschen wir angeregt und bringen in Erfahrung, dass die Kleinstadt Londonderry nur noch 6 Meilen entfernt liegt. Die Mädchen kommen aus dem Plappern gar nicht mehr heraus und legen uns nahe, eine Rast im “Swiss Inn Hotel” einzulegen – das hört sich verlockend an.
10.30 Uhr Weil meine Füsse schmerzen, laufen wir schnell weiter und erfreuen uns an der kühlen Brise. Edelbert reibt sich die Hände und kündigt an, dass er sich sehr auf ein Mittagessen freut. Ich schlage in die gleiche Kerbe und entgegne, dass ich zwei Hauptgerichte fressen werde – da kommt Freude auf.
11.30 Uhr Kurz vor der Mittagszeit passieren wir ein Werbeschild und lesen, dass der Skilift des “Bromley Mountain Ski Resorts” während der Sommermonate geschlossen ist. Achselzuckend setzen wir unseren Spaziergang fort und sind erleichtert, nach wenigen Metern die Staatsstrasse 11 zu erreichen. Ich nehme einen Schluck aus der Wasserflasche und erkläre Hund Dixon, dass uns die Zivilisation nach einer Woche endlich wieder hat – wie schön.
12.30 Uhr Bei schweisstreibenden Temperaturen folgen wir der Strasse und mahlen uns aus, wie schön es doch werden wird, den Abend in einem Hotel zu verbringen. Bei dieser Gelegenheit komme ich auf meine Familie in Kanada zu sprechen und lege anschaulich dar, dass es eine Gaudi wäre, morgen nach Albany zurückzukehren und mit einem Mietauto nach Toronto zu krusen. Prof. Kuhn rollt entnervt mit den Augen und willigt nach kurzem Zögern doch ein – wie aufregend.

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Toronto – wir kommen

13.30 Uhr Nach sechzig Minuten lichtet sich der Wald und wir erblicken das Willkommensschild des im Jahre 1961 eröffneten “Swiss Inn”. Mit letzter Kraft schleppen wir uns zum Empfang und geben dem Knecht an der Rezeption zu verstehen, dass wir zwei Zimmer mieten möchten. Der Heini ist begeistert und händigt uns Schlüssel für Räumlichkeiten im Parterre aus.
14.15 Uhr Fix und Foxi schliessen wir die Räumlichkeiten auf und stellen fest, dass die Unterkünfte zwar karg eingerichtet, aber sehr gemütlich sind. Spornstreichs werfe ich meinen Ranzen aufs Bett und nehme mir das Recht heraus, im Badezimmer zu verschwinden. Während es sich Hund Dixon auf dem Kanapee bequem macht, entledige ich mich meiner verstaubten Kleidung und lasse die Seele bei einem Vollbad baumeln – das tut gut.

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Eine eiskalte Cola – das tut gut

15.00 Uhr Im Anschluss stibitze ich mir eine eiskalte Diät Cola aus der Minibar und spüle meinen trocknen Hals mit kräftigen Schlucken durch. Danach falle ich gähnend auf das Bett und döse schnell ein.
16.00 Uhr Leider wird die Ruhe bald durch Edelberts aufgeregtes Klopfen gestört. Der Professor präsentiert sich in legerer Sommerkleidung und fordert mich auf, ihm ins hauseigene “Eagles Nest Tavern” zu folgen. Ich fackle nicht lange und schlüpfe juchzend in eine modische Blautschiens und Hawaiihemd. Anschliessend nehme ich Dixon an die Leine und freue mich auf eine reichhaltige Mahlzeit.
16.15 Uhr Zufrieden betreten wir die Gaststätte und bemerken, dass wir die einzigen Gäste sind. Trotzdem sehen wir und bald mit einer freundlichen Kellnerin konfrontiert und vernehmen, dass der deutschstämmige Scheffkoch auch Gerichte aus dem alten Europa zubereitet. Wir lecken uns die Lippen und ordern vitaminreiche “Jager Schnitzel” (löblich: Jäger Schnitzel) mit Kartoffeln und Salat. Dazu gibt es gesunden Hopfensaft aus der “Northshire Brewery”.
17.00 Uhr Während wir kraftvoll zubeissen, bringt Edelbert den Dienstag ins Spiel und sagt, dass wir morgen mit einem Taxi ins sechzig Meilen entfernte Albany zurückfahren werden. Ferner vereinbaren wir, dass wir Morgen erneut die Hauptstadt des Staates New York besichtigen und Tags darauf ein Auto mieten werden. Ich klatsche aufgeregt in die Hände und freue mich, in nicht einmal 48 Stunden meine Familie wiederzusehen.

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Wir verschaffen Dixon etwas Auslauf

18.00 Uhr Nach drei weiteren Bieren, verlassen wir torkelnd die Gaststätte und schlendern zum Waldrand, um Dixon etwas Auslauf zu ermöglichen. Unterdessen deute ich nach Südosten und erinnere, dass wir in den letzten sieben Tage fast 70 Meilen durch die Green Mountains gelaufen sind. Edelbert seufzt laut und wirft ein, dass wir im kommenden Jahr erneut ein Teilstück des Appalachian Trails ablaufen sollten – das werden wir erst noch sehen.
19.00 Uhr Nachdem der Professor seine Zigarre aufgeraucht hat, stosse ich die Zimmertüre auf und kann es kaum noch erwarten, ins Bett zu gehen. Pfeifend händige ich die Klamotten über einen Stuhl und beschliesse den nervenaufreibenden Tag mit einer kalten Dusche.

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Berny Sanders will Präsident werden

20.00 Uhr Zur besten Sendezeit schalte ich den altertümlichen Röhrenfernseher ein und informiere mich auf einem Nachrichtensender über die politischen Entwicklungen in der Welt. Unter anderem fröne ich einer Zwischenschau (unlöblich: Interview) mit dem aus Vermont stammenden Politikers Bernie Sanders und bringe heraus, dass der 74jährige vor Kurzem seine Präsidentschaftskandidatur für die Demokratische Partei bekannt gegeben hat.
21.00 Uhr Schlussendlich lösche ich das Licht und wünsche Hund Dixon süsse Träume. Danach schliesse ich die Augen und schlummere prompt ein. Gute Nacht.