07.30 Uhr Der Radiowecker springt an und mache mich über den Wirbelsturm “Sandy” schlau, der gestern Abend das amerikanische Festland erreicht hat. Der Radiosprecher berichtet schier unglaubliches und meldet, dass bisher mindestens 16 Menschen ums Leben gekommen sind. Ferner hat eine Springflut etliche Strassenzüge im grossen Apfel (unlöblich: Big Apple) überflutet und ein Umspannwerk in Manhattan beschädigt. Der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg sagte am Morgen während einer Pressekonferenz, dass derzeit bis zu 4.000.000 Menschen ohne Strom auskommen müssen.
08.00 Uhr Da es in der kleinen Villa ungewöhnlich ruhig ist, hüpfe ich spornstreichs aus dem Bett und eile ins Wohnzimmer. Zu allem Überfluss finde ich unzählige Halloweendekorationsartikel vor und registriere, dass Sandra gestern Abend ein kleines Vermögen in Plastikfledermäuse, Teufelsmasken und anderen Firlefanz investiert hat – wie unlöblich.
08.40 Uhr Weil das Kind noch im Reich der Träume verweilt, verabschiede ich mich in die Nasszelle und lasse die Seele bei einem löblichen Wirbelbad baumeln.
09.30 Uhr Nachdem ich in legere Freizeitkleidung geschlüpft bin, leiste ich der Maid beim wichtigsten Mahl des Tages Gesellschaft und lote aus, ob sie den Verstand verloren hat. Sandra schenkt mir ein Lächeln und erwidert, dass Halloween nur einmal im Jahr gefeiert wird. Bei dieser Gelegenheit kündigt das Kind an, Morgen eine Bowle ansetzen und einen Kuchen backen zu wollen – das kann ja heiter werden.
10.00 Uhr Während Sandra damit beschäftigt ist, die Feldermäuse in die Fenster zu hängen, scheuche ich Dixon zum Chevrolet und schicke mich an, ins Stadtzentrum zu rasen. Ausserdem rufe ich Edelbert an und lasse meinen Bekannten wissen, dass das milde Klima zu einem Spaziergang einlädt. Edelbert freut sich und sagt, dass er augenblicklich in die Gänge kommen und mich vor dem “Bistro 821” treffen wird – wie schön.
10.30 Uhr Am Ziel angekommen, begrüsse ich den schlauen Mann freundlichst und folge ihm in Richtung “Tin City” (löblich: Zinnstadt) Einkaufsparadies. Nebenher klage ich Edelbert mein Leid und lege anschaulich dar, dass mir Sandra den letzten Nerv raubt. Der Professor nickt zustimmend und meint, dass die junge Generation nicht mehr alle Tassen im Schrank hat – wie wahr.
11.15 Uhr Trotz aller Widrigkeiten lasse ich mir die gute Laune nicht verderben und lade meinen Bekannten kurzerhand ins “Pincher’s Crab Shack” (löblich: Pinchers Krabbenbude) Gasthaus ein. Ich zeige mich spendabel und ordere bei einer rassigen Kellnerin einen Krug (unlöblich: Pitcher) Bud Light sowie eine “Famous Chips and Fish Platter” (löblich: berühmte Chips und Fisch Platte) für zwei Personen. Zudem deute ich in Richtung meines Haustieres und beauftrage das aufreizend gekleidete Frauenzimmer, etwas angebratenen Speck zu servieren.
12.00 Uhr Als wir kraftvoll zubeissen, lasse ich den gestrigen Tag Revue passieren und berichte, dass ich von Sandra und Frau Pontecorvo genötigt wurde, Halloweenartikel zu kaufen. Edelbert seufzt laut und vermutet, dass die Menschen in New York das diesjährige Halloweenfest bestimmt ausfallen lassen müssen.
13.30 Uhr Nach dem Mittagessen laufen wir stadteinwärts und verabreden, dass wir uns morgen in meiner Villa treffen sollten. Mein Bekannter winkt ab und unkt, dass die Abendstunden angesichts von marodierenden Kleinkindern kein Vergnügen werden dürften – wie unlöblich.
14.45 Uhr Im Willoughby Drive angekommen, finde ich Sandra und Frau Pontecorvo kaffeetrinkend und donutverzehrend auf der Terrasse vor. Da ich keine Lust habe, über langweilige Frauenthemen zu diskutieren, lotse ich Dixon ins Schlafzimmer und lege eine wohlverdiente Pause ein – das tut gut.
16.00 Uhr Ich werde durch ohrenbetäubendes Klopfen aus einem schönen Traum gerissen und ärgere mich sehr. Zu allem Überfluss stösst Sandra die Türe auf und setzt mich darüber in Kenntnis, dass mein Studienkollege Thomas Kronach angerufen und sein Kommen für Freitag angekündigt hat. Ich rolle entnervt mit den Augen und setze mich wortlos an den Schreibtisch. Während die Maid im Bikini durchs Haus stolziert und die Zimmer mit Plastikdekoration ausstaffiert, widme ich mich der Anschnurseelsorge und bemerke, dass Halloween in Deutschland immer mehr an Bedeutung gewinnt – wo soll das noch hinführen.
17.00 Uhr Nachdem ich die neuesten Einträge im beliebten Gästebuch überflogen habe, gehe ich von der Leine und mache mich in der Küche nützlich. Just als ich Salzwasser aufsetze, meldet sich meine Mieterin zu Wort und unterbreitet, dass sie ausgehen und John Avanzatti im Lichtspielhaus treffen wird. Ich zucke mit den Schultern und zaubere im Handumdrehen eine prima Tomatensauce zu den Langnudeln – wie gut das duftet.
18.30 Uhr Während sich Dixon im Garten vergnügt, räume ich die Geschirrspülmaschine ein und gebe mich den Abendnachrichten auf FOX hin und höre weitere Schreckensmeldungen aus New York. Obgleich der Monstersturm “Sandy” mittlerweile ins Landesinnere abgezogen ist, müssen unzählige New Yorker immer noch ohne Strom auskommen. Zudem hat die amerikanische Flugbehörde angekündigt, dass die Grossflughäfen in der Region bis auf weiteres geschlossen bleiben – wie furchtbar.
19.30 Uhr Im Anschluss wähle ich das Qualitätsprogramm von AMC aus und folge gespannt dem Gruselfilm “Halloween”, der die Lebensgeschichte des Michael Meyers erzählt, der als Sechsjähriger seine Schwester ermordet. 15 Jahre später flieht der Bube aus der Irrenanstalt und setzt sein blutiges Handwerk fort – wie unlöblich.
21.00 Uhr Nach 100minütigem Nervenkitzel schalte ich die Glotze aus und stelle sicher, dass sich kein Massenmörder in der kleinen Villa aufhält. Danach reguliere ich die Klimaanlage und gehe ins Bett. Gute Nacht.
Der Wirbelsturm Sandy wütet im grossen Apfel: