08.15 Uhr Ich hüpfe kurz nach 8 aus dem Bett und öffne das Fenster. Weil ich längst nicht zum alten Eisen zähle, sauge ich die kühle Luft tief in meine Lungen ein und absolviere die Morgengymnastik. Nebenbei spähe ich in Richtung des “Sather Tower” und bemerke, dass das Bauwerk an den venetianischen Markusturm erinnert.
09.00 Uhr Nachdem ich mich eiskalt abgeduscht habe, statte ich Edelbert im Nebenzimmer einen Besuch ab und schlage vor, dass wir zum McLaughlin Staatspark fahren könnten. Mein Bekannter winkt jedoch ab und beteuert, dass er zum Frühstück bei einem befreundeten Professor eingeladen ist. Zudem vernehme ich, dass Edelbert anschliessend an einer philosophischen Lesung im Pimentel Hörsaal teilnehmen wird – wie langweilig.
09.30 Uhr Weil ich keine Lust habe, mit tattrigen Wissenschaftlern den Vormittag zu verbringen, setze ich mir meine NY YANKEES Kappe auf und lasse den Professor wissen, dass ich auf eigene Faust den Campus erkunden werde.
10.00 Uhr Als erstes folge ich der Hearst Avenue gen Westen und stehe bald vor einem unschönen Parkhaus. Ich wende mich kopfschüttelnd nach links und habe das Vergnügen, auf Schusters Rappen den “Observatory Hill” (löblich: Beobachtungshügel) zu erklimmen, auf dem wissbegierige Studenten im 19. Jahrhundert Sterne und Planeten beobachtet haben. Darüber hinaus lichte ich das angrenzende Gebäude mit meiner Photokamera ab und bringe während eines Gesprächs mit einem rothaarigen Studenten (23) heraus, dass die unter Denkmalschutz stehende “Haviland Hall” als Bibliothek genutzt wird – das hört man gerne.
Ich erkunde den Campus auf eigene Faust
11.00 Uhr Nachdem ich die “Memorial Glade” Grünfläche überquert und mir ein Eis gekauft habe, erreiche ich den “Sather Tower” und blicke fasziniert zum Glockenturm. Weil Besucher die Möglichkeit haben, den knapp 100 Meter hohen Turm zu besuchen, fackle ich nicht lange und fahre im Aufzug nach oben. Währenddessen lese ich auf einer Tafel, dass im obersten Stockwerk 61 Glocken angebracht sind, die drei Mal täglich läuten – das ist prima.
11.30 Uhr Oben angekommen, schaue ich beeindruckt nach Westen und kann in weiter Ferne nicht nur die San Francisco Bay, sondern auch die Golden Gate Brücke erkennen. Ich knipse ein Photo und lasse die anderen Besucher wissen, dass Berkeley stets eine Reise wert ist. Mein Nebenmann schlägt in die gleiche Kerbe und berichtet, dass sein Sohn an dieser renommierten Lehranstalt Optometrie studiert – das ist mir Wurst.
Der Sather Turm
12.15 Uhr Pünktlich zur Mittagszeit stehe ich wieder auf der Strasse und nehme mir das Recht heraus, in “Babettes Coffee Bar” unweit der South Hall einzukehren. Da mein Magen knurrt, werde ich spornstreichs an der Essensausgabe vorstellig und order neben einem Kaffee auch drei reichbelegte Sandwiches.
12.45 Uhr Als ich kraftvoll zubeisse und einem Pärchen beim Schmusen zusehe, bimmelt plötzlich die Schwarzbeere (unlöblich: Blackberry). Zu meiner Freude meldet sich Georg im Rohr und setzt mich darüber in Kenntnis, dass sich Hund Dixon eine Zecke eingefangen hat. Ich beruhige meinen Bruder redlichst und bitte ihn, den Parasiten vorsichtig mit einer Pinzette zu entfernen. Der gute Mann atmet tief durch und wirft ein, dass er zeitnah mit dem Rüden an den Strand krusen wird, um Möwen zu jagen – das ist phantastisch.
13.30 Uhr Ich beende die Brotzeit und registriere, dass es viel zu warm ist, um weiter den Campus zu erkunden. Stattdessen kehre ich fingerschnippend zur Wohnanlage zurück und fasse den Entschluss, kurzerhand in den Chevrolet Tahoe zu hüpfen und vom Universitätsgelände zu rasen. Während im Radio das schöne Lied “Hurdy Gurdy Man” des schottischen Sängers Donovan läuft, gleite ich in nördliche Richtung davon und spiele mit der Idee, auf den Spuren des Zodiac Serienmörders zu wandern – da kommt Spannung auf.
Der Zodiac ermordete viele Menschen
14.00 Uhr Ruckzuck fahre ich rechts ran und bringe im Internetz heraus, dass der Meuchelmörder am 20. Dezember 1968 erstmals auf einem zirka 20 Meilen entfernten Parkplatz in Erscheinung trat. Ich speichere die Koordinaten auf dem Navigationsgerät ab und lerne, dass ich in dreissig Minuten vor Ort sein werde.
14.45 Uhr In einer nervenaufreibenden Hochgeschwindigkeitsfahrt presche ich an der Grosstadt Richmond vorbei und habe ausserdem die Ehre, den reissenden Carqinez Fluss zu überqueren. Wenig später fordert mich das Navigationsgerät auf, bei der nächsten Möglichkeit rechts abzubiegen. Ich komme den Aufruf anstandslos nach und lese auf Wikipedia, dass an dieser Stelle vor 49 Jahren die damals 16jährige Betty Lou Jensen und ihr 17jähriger Freund David Faraday von einem Unbekannten niedergeschossen wurden – das ist ja allerhand.
Robert Graysmith schreibt in seinem Roman “Zodiac” folgendes:
Er richtete seine Waffe auf das rechte hintere Fenster und feuerte eine Kugel ab, die das Glas zersplittern ließ. Dann trat er an die linke Seite des Wagens und schoss auf den Radkasten links hinten. Er wollte damit wohl die beiden jungen Leute dazu bewegen, das Auto durch die Beifahrertür zu verlassen … Betty Lou war bereits aus dem Wagen geflüchtet, als David auf den Beifahrersitz rutschte und ihr folgen wollte. In diesem Augenblick steckte der Mann die Pistole in das offene Fenster, setzte sie dem Jungen hinter dem linken Ohr an den Kopf und drückte ab … Betty Lou schrie auf und lief nach Norden. Der stämmige Mann folgte ihr augenblicklich mit der Pistole in der Hand. Als er keine drei Meter hinter ihr war, feuerte er fünf Kugeln auf Betty Lou ab.
15.30 Uhr Weil der nächste Tatort in unmittelbarer Nähe liegt, ringe ich mich dazu durch, auch den “Blue Rocks Springs Park” am Columbus Parkway anzusteuern. Just als ich den Tahoe auf dreissig Meilen beschleunige, surrt das Telefon und ich sehe mich genötigt, mit Prof. Kuhn sprechen zu müssen. Edelbert legt beste Laune an den Tag und berichtet, dass er an einer lehrreichen Vorlesung teilgenommen hat und nun Essen möchte. Ich winde mich geschickt aus der Verantwortung und gebe vor, nicht auf dem Campus zu sein. Um weiteren Diskussionen aus dem Weg zu gehen, beende ich das Gespräch und fahre alsbald auf einen Rastplatz auf.
16.15 Uhr Auch diesmal schwinge ich mich aus dem Auto und mache mich auf Wikipedia über den dritten Mord des sogenannten Tierkreiszeichenmörders schlau. Nach dem Doppelmord an der Lake Herman Road schlug der Serienmörder am Unabhängigkeitstag des Jahres 1969 erneut zu und streckte die 22jährige Kellnerin Darlene Ferrin mit fünf Revolverschüssen nieder. Zudem verletzte er auch noch ihren Geliebten Mike Mageau (19) mit vier Schüssen aus kürzester Entfernung schwer – wie schrecklich.
Täterbeschreibung vom 4. Juli 1969:
Der Mann hatte ein breites Gesicht und trug keine Brille. Er schien sechsundzwanzig bis dreissig Jahre alt zu sein und hatte kurzes gewelltes hellbraunes Haar. Mike Mageau beschrieb den Mann als stämmig, korpulent, jedoch nicht fett. Er hatte einen leichten Bauchansatz und trug das Haar zu einer Tolle hochgekämmt.
17.00 Uhr Als der Stundenzeiger meiner ROLEX auf 5 zugeht, sitze ich wieder im Auto und kruse zügig nach Berkeley zurück. Nebenbei mache ich mir meine eigene Gedanken und stelle mir die Frage, warum die ermittelnden Polizeibeamten den Mörder trotz etlicher Bekennerschreiben und Telefonaten nie fassen konnte – wie eigenartig.
18.00 Uhr Endlich komme ich mit quietschenden Bremsen vor dem Wohngebäude der “Alpha Gamma Omega” Studentenverbindung zum halten. Wie es sich gehört, ziehe ich kraftvoll an der Handbremse und schicke mich an, in den vierten Stock hoch zu laufen und Edelbert zum Essen einzuladen. Mein Bekannter strahlt über das ganze Gesicht und folgt mir plappernd in die benachbarte Pizzeria.
18.30 Uhr Während des Nachtmahls lasse ich meine Tageserlebnisse Revue passiere und erzähle, dass ich zwei Zodiac Tatorte im Norden besucht habe. Ich reibe mir die Hände und gebe zu Protokoll, dass wir morgen unbedingt zum Lake Berryessa krusen sollten. Edelbert legt den Zeigefinger ans Kinn und erinnert, dass sich dort der Zodiac Killer in einem Mantel mit Henkerskapuze präsentiert und zwei Menschen niedergemetzelt hat – wie wahr.
19.30 Uhr Nachdem wir das Abendessen mit Schaumkaffees und Käsekuchen abgerundet haben, kehren wir ins Wohnhaus zurück und lassen den Abend bei süffiger 7-Up Limonade in der Leseecke ausklingen. Unter anderem kommen wir mit Studenten von der Ostküste ins Gespräch und hören, dass am Samstag der “Armed Forces Day” mit einer grossen Parade auf dem Universitätsgelände gefeiert werden wird – das soll uns auch Recht sein.
Ich spähe aus dem Fenster
20.30 Uhr Schlussendlich ziehe ich mich gähnend auf mein Zimmer zurück und lasse den langen Tag bei einer kalten Dusche ausklingen. Danach blicke ich noch einmal aus dem Fenster und ziehe es vor, bald ins Bett zu gehen. Gute Nacht.