08.00 Uhr Ich reibe mir nörgelnd den Schlaf aus den Augen und stelle mit grosser Sorge fest, dass ich alleine im “Kid Gore Shelter” liege. Laut nach Hund Dixon und Edelbert rufend, schäle ich mich aus dem Schlafsack und bemerke, dass meine Begleiter hinter der Hütte ein Feuer entfacht und Kaffee aufgebrüht haben. Prof. Kuhn wünscht mir einen guten Morgen und sagt, dass die freundlichen Leute, die uns gestern zum Grillabend eingeladen haben, mittlerweile das Weite gesucht haben – wie schade.
Das Lagerfeuer lodert
08.30 Uhr Nachdem ich mich gestreckt habe, setze ich mich gähnend ans Feuer und lasse Edelbert wissen, dass uns heute ein heisser Sommertag bevorsteht. Der schlaue Mann nickt eifrig und meint, dass wir heute einige Kilometer am wunderschönen “Somerset Reservoir” spazieren werden. Edelbert reibt sich die Hände und ist sich sicher, dass wir am Westufer des Gewässers bestimmt einheimische Angler treffen werden, die uns mit Lebensmitteln und/oder Getränken aushelfen werden – das ist prima.
09.15 Uhr Wir beenden das Frühstück und machen uns daran, das praktische Netzbuch (unlöblich: Netbook) zuzuklappen und die Rucksäcke zu schultern. Danach verlassen wir den Appalachian Trail und schlendern auf einem Waldweg talwärts. Unterdessen zücke ich die Schwarzbeere (unlöblich: Blackberry) und ärgere mich, weil ich keinen Empfang habe. Mein Begleiter beruhigt mich redlichst und ist sich sicher, dass es mir am “Somerset Reservoir” möglich sein wird, bei meinen Verwandten in Kanada anzurufen.
Ich habe keinen Empfang – wie unlöblich
10.00 Uhr Missmutig folge ich Hund Dixon und Edelbert durch den Green Mountain Nationalforst und staune nicht schlecht, als ich auf einer Lichtung plötzlich einen stattlichen Elch erblicke. Während Hund Dixon in lautes Knurren ausbricht, knipst Edelbert Photos am laufenden Band und informiert, dass es in dieser Gegend sehr viele Elche gibt.
10.30 Uhr Gegen halb Elf stehen wir an einem idyllisch gelegenen See und erfahren, dass der “Somerset Reservoir” ein Eldorado für Kajak- und Kanufahrer ist. Darüber hinaus laufen wir auch am “Leland & Gray Wood Lot” (löblich: Leland und Gray Waldhütte) vorbei und nehmen uns das Recht heraus, eine kurze Rast einzulegen und zwei eiskalte Classic Cokes zu trinken. Bei dieser Gelegenheit kommen wir mit dem Kioskbesitzer ins Gespräch und lernen, dass alljährlich Tausende Sportbegeisterte hierher kommen, um zu Wandern oder Boot zu fahren – das ist ja allerhand.
Wir schlürfen eiskaltes Cola
11.15 Uhr Nach der wohlverdienten Pause füllen wir unsere Trinkflaschen mit Leitungswasser auf und folgen dem Ufer in nördlicher Richtung. Nebenher tippe ich erneut die Handtelefonnummer meines Bruders in die Schwarzbeere und habe nach wenigen Sekunden das Vergnügen, mit Georg sprechen zu können. Natürlich erzähle ich ausgiebig von unseren Erlebnissen und gebe zu Protokoll, dass wir gestern 12 Meilen zurückgelegt haben. Georg ist begeistert und entgegnet, dass er just im Moment auf der Sonnenterrasse seines Ferienhauses am Lake Simcoe sitzt und ein eisgekühltes Langgetränk (unlöblich: Longdrink) geniesst – wie unlöblich.
11.45 Uhr Laut seufzend lasse ich das Telefon in meine Jackentasche wandern und beisse kraftvoll in einen Schokoladenriegel. Edelbert folgt meinem Beispiel und behauptet, dass wir heute etwas kürzer treten und lediglich bis zum drei Meilen entfernten “Story Spring Shelter” laufen werden. Mein Bekannter schenkt mir ein Lächeln und kündigt an, dass er sich am Abend am Grill beweisen und köstliche Hamburger zaubern wird.
12.45 Uhr Kurz nach der Mittagszeit haben wir den äussersten Zipfel des “Somerset Reservoir” erreicht und nutzen die Gelegenheit, um eine weitere Pause zu machen. Wie es sich gehört, kredenze ich Dixon etwas Trockenfutter und nehme selbst mit einer matschigen Banane Vorlieb. Edelbert späht währenddessen auf sein GPS-fähiges Handtelefon und unterbreitet, dass wir unser Nachtlager in zweieinhalb Stunden erreichen werden – wie schön.
Wir schlagen uns durch die Wildnis
13.30 Uhr Während wir uns durch einen fast undurchdringlichen Laubwald schlagen, stimmt Edelbert das schöne Volkslied “Im Frühtau zu Berge” an und animiert mich, bessere Laune an den Tag zu legen. Ich wische mir eine Mücke von der Stirn und antworte, dass ich jetzt viel lieber in Gesellschaft meines Bruders am Lake Simcoe sitzen würde.
14.30 Uhr Nach einer Stunde kehren wir auf den Appalachian Trail zurück und freuen uns, einen Wanderer zu treffen. Wir erheben zum Gruss unsere Wanderstöcke und bringen in Erfahrung, dass Herr Bob (51) den Appalachian Trail schon mehrmals abgewandert hat. Der Heini spendiert uns schmackhafte Kaugummis und rät, wegen der vielen Zecken nicht vom Weg abzukommen.
15.15 Uhr Schnaufend stolpern wir über Stock und Stein und kommen zu dem Ergebnis, dass unser heutiger Tagesmarsch sehr anstrengend ist. Edelbert nippt genüsslich an seiner Wasserflasche und meint, dass der Ausblick auf den Stratton Mountain im Nordosten trotzdem einmalig ist – wie wahr.
Stratton Mountain / Bild: / CC BY-SA 3.0
16.15 Uhr Eine Stunde später treffen wir erschöpft am Ziel ein und sind froh, den “Story Spring Shelter” verlassen vorzufinden. Ich werfe meinen Rucksack zu Boden und unke, dass mich gleich der Schlag treffen wird.
17.00 Uhr Nachdem wir uns ausgeruht haben, sammeln wir Brennholz und entfachen ein knisterndes Feuer. Edelbert kramt die letzte Portion Fleisch sowie etwas Weissbrot aus seinem Ranzen und meint, dass es langsam an der Zeit wäre, die Vorräte aufzufüllen. Ich gebe meinem Bekannten Recht und verrate, dass wir nur noch Kräcker, etwas Obst, Milchpulver sowie Müsli zur Verfügung haben. Schimpfend schlüpfe ich aus den Wanderschuhen und führe mir das köstliche Abendessen zu Gemüte – schmeckt gar nicht schlecht.
18.00 Uhr Just als der Zeiger meiner wertvollen ROLEX auf 6 zugeht, stösst ein weiterer Wanderer zu uns. Herr Louis (39) freut sich, unsere Bekanntschaft zu machen und zögern nicht, uns zwei Dosen “Mountain Dew” zu überreichen. Ich lasse die Zitronenlimonade genüsslich durch meinen trocknen Hals laufen und frage den Heini, wohin ihn seine Wanderung führen wird. Der Bartträger steht mir Rede und Antwort und sagt, dass er als Photograf tätig ist und mit der Aufgabe betraut wurde, Bilder vom Mount Stratton zu schiessen – wie aufregend.
19.00 Uhr Nachdem wir ausgiebig geplaudert haben, folge ich Hund Dixon zu einem Bach und wasche mich das Gesicht. Der Vierbeiner badet seine Pfoten währenddessen im kühlen Nass und schreckt auch nicht davor zurück, einen frechen Biber aus dem Unterholz zu scheuchen – da kommt Freude auf.
20.00 Uhr Nun wird es aber langsam Zeit, unsere Rucksäcke auf das Dach der Holzhütte zu werfen und die Nachtruhe anzutreten. Ich schlüpfe gähnend in den Schlafsack und lausche dem Zirpen der Grillen. Schon bald döse ich ein und träume von einem deftigen Käseburger (unlöblich: Cheeseburger) mit Kartoffelstäben. Gute Nacht.