08.00 Uhr Ich werde durch ohrenbetäubendes Telefonbimmeln geweckt. Zu meiner Überraschung meldet sich Edelbert und plappert, dass er während der Nacht keine Minute geschlafen hat. Ich frage genauer nach und höre, dass es der schlaue Mann kaum noch erwarten kann, nach Tokio auszufliegen – gleich platzt mir der Kragen.
08.30 Uhr Um weitere Diskussionen zu vermeiden, wirke ich beruhigend auf den Professor ein und gebe zu Protokoll, dass ich heute ganz bestimmt nicht buchen werde. Bevor mein Bekannter antworten kann, beende ich das Gespräch und hüpfe kopfschüttelnd aus dem Bett.
Japan: Ich kann mich nicht entscheiden
08.15 Uhr Nach der Morgengymnastik verabschiede ich mich in die Nasszelle und lasse die Seele bei einem erfrischenden Wirbelbad baumeln. Bei dieser Gelegenheit komme ich ins Grübeln und erkenne, dass es vielleicht doch gescheiter wäre, auf kostspielige Urlaubsreisen zu verzichten – immerhin bin ich auch nicht mehr der Jüngste.
09.15 Uhr Just als ich es mir auf der schattigen Terrasse bequem mache und das Frühstück einnehme, kommt Frau Pontecorvo dazu und lotet aus, ob sie mir Gesellschaft leisten darf. Ich stimme zu und lasse meine Nachbarin wissen, dass ich mich angesichts der horrenden Kosten noch immer nicht entschlossen habe, eine Reise zu buchen. Meine Nachbarin kommt aus dem Schmunzeln gar nicht mehr heraus und legt mir nahe, in Tokio Photos zu knipsen und einen spannenden Lichtbildvortrag in der Gemeindehalle zu halten – das ist gar keine schlechte Idee.
10.00 Uhr Da im Eiskasten gähnende Leere vorherrscht, entschliessen wir uns, zum Einkaufen zu fahren. Ich scheuche Dixon zum Auto und steuere als Erstes das Alkoholgeschäft meines Vertrauens an. Unterdessen lauschen wir der Lou Gramm Kompaktscheibe “Long Hard Look” (löblich: Lange, schwere Suche) und sind einstimmig der Meinung, dass die Kompositionen aus den späten 1980er Jahren prima sind.
10.45 Uhr Am Ziel angekommen, heisst uns Herr Bob herzlich Willkommen. Der Ladenbesitzer lotst uns durch das Geschäft und reibt sich die Hände, als wir mehrere Flaschen Veuve Clicquot Schaumwein, Erdinger Weissbier sowie drei Sechserpacks Budweiser zur Kasse schleppen.
Süffiges Weissbier aus Erding
11.30 Uhr Als nächstes rasen wir zum PUBLIX Supermarkt an der Pine Ridge Road und machen einer unterbelichteten Rentnerin mit blauen Haaren einen Einkaufswagen streitig. Obgleich die dumme Kuh wie am Spiess schreit, lassen wir uns nicht beirren und laufen zur Fleischtheke, um vitaminreiches Capocollo, zwei Pfund T Knochen Schnitzel sowie Hackfleisch zu ordern – schon jetzt läuft mir das Wasser im Munde zusammen.
12.15 Uhr Nachdem sich viele Lebensmittel im Wagen angesammelt haben, schlendern wir zum Ausgang und begleichen die Rechnung mit unseren praktischen Kreditkarten. Danach verfrachten wir die Tüten in den SUV und kehren ins benachbarte “Miller’s Ale House” ein. Ein hochnäsiger Ober führt uns an einen Fenstertisch und berichtet, dass der Scheffkoch Spare Ribs mit Krautsalat empfehlen kann – das hört sich verlockend an.
13.15 Uhr Während wir kraftvoll zubeissen, bringe ich unsere geplante Reise ins Land der aufgehenden Sonne ins Spiel und erzähle, dass ich gestern den deutschen Spielfilm “Kirschblüten – Hanami” gesehen habe. Als ich die Geschichte des Rentners Rudi Angermeier wiedergebe, seufzt meine Tischnachbarin und meint, dass sie den Spielfilm gerne sehen würde. Ich nicke eifrig und spreche für den Abend eine Einladung aus.
14.00 Uhr Redlichst gestärkt kehren wir zum Auto zurück und treten den Heimweg an. Ich setze zu waghalsigen Überholmanövern an und freue mich auf einen ruhigen Nachmittag in der kleinen Villa.
14.30 Uhr Ich lasse die Pforte krachend ins Schloss fallen und räume die Lebensmittel fachmännisch in den Kühlschrank ein. Da ich mich vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten kann, lege ich mich anschliessend aufs Kanapee und döse bald ein – das tut gut.
15.30 Uhr Ich erwache redlichst ausgeruht und nutze die Nachmittagsstunden, um Anschnur zu gehen. Unter anderem arbeite ich Hilferufe besorgter Heimseitenbesucher ab und studiere ausserdem Reiseberichte über Japan.
16.30 Uhr Nachdem ich die neuen Einträge im Gästebuch überflogen habe, leine ich den Vierbeiner an und breche zu einem Spaziergang auf. Dummerweise treffe ich bald auf die dummen Nachbarskinder und erfahre, dass Emily und Francis am Wochenende mit ihren Eltern nach St. Petersburg fahren werden. Da ich mich nicht um alles kümmern kann, überreiche ich den Nervensägen etwas Kleingeld und mache schnell kehrt.
Kleingeld für die Kleinen
17.30 Uhr Zuhause angekommen, schalte ich die Musikanlage ein und bereite zu stimmungsvollen Martina McBride Klängen das Abendessen zu. Ich koche italienische Langnudeln auf und zaubere dazu eine schmackhafte Tomatensauce – wie gut das duftet.
18.15 Uhr Pünktlich auf die Minute begrüsse ich Frau Pontecorvo und biete ihr einen Platz am Terrassentisch an. Darüber hinaus fülle ich die Teller mit dampfenden Teigwaren auf und gebe zu Protokoll, dass wir nach der Jause den Doris Dörrie Film “Kirschblüten – Hanami” auf der Grossbildleinwand sehen werden – das wird ein Spass.
19.00 Uhr Als die Sonne hinter einer hochgewachsenen Palme verschwindet, schalte ich den neumodernen Filmprojektor ein und köpfe eine Flasche Schaumwein. Weil Frau Pontecorvo der deutschen Sprache nicht mächtig ist, sehe ich mich genötigt, das Gesprochene ins Englische zu übersetzen – das ist gar nicht so einfach.
21.00 Uhr Der Abspann flimmert über die Leinwand und Frau Pontecorvo zieht es vor, mir ein Bussi auf die Wange zu hauchen. Ich begleite meine Bekannte zur Türe und wünsche ihr süsse Träume. Danach rufe ich Dixon ins Haus und falle erschöpft ins Bett. Gute Nacht.