07.30 Uhr Die 7. Woche des Jahres beginnt und aus dem Radio dröhnt ein schönes Lied. Ich strecke mich ausgiebig und eile dann in die Küche, um Maria einen schönen guten Morgen zu wünschen. Meine Schwägerin erwidert den Gruss und meint, dass wir heute nicht nach Orillia krusen werden. Als ich genauer nachfrage, deutet die Gute zum Schlafzimmer und behauptet, dass Georg mit einem Schnupfen im Bett liegt – wie unlöblich.
08.00 Uhr Trotz der schlechten Nachrichten lasse ich mir die gute Laune nicht verderben und gönne mir eine heisse Dusche. HEUREKA – immerhin ist Ordnung und Sauberkeit das halbe Leben.
09.00 Uhr Nachdem ich mich angezogen habe, setze ich mich an den Frühstückstisch und werde Zeuge, wie mein Bruder aus dem Niesen gar nicht mehr herauskommt. Ferner schnäuzt der gute Mann in ein Taschentuch und sagt, dass er morgen wieder gesund sein und ein Mittagessen im “Casino Rama” spendieren wird. Ich nicke eifrig und entgegne, dass ich gleich einen ausgedehnten Spaziergang mit Hund Dixon und Edelbert unternehmen werde. Der Professor freut sich und füllt meine Kaffeetasse mit brauner Brühe auf – wie schön.
10.00 Uhr Nach der wichtigsten Mahlzeit des Tages schlüpfe ich in die Winterjacke und nehme den Rüden an die Leine. Danach vertreten wir uns die Beine und folgen dem Wanderweg in Richtung Süden. Edelbert steckt sich eine stinkende Zigarre an und macht mich auf den Umstand aufmerksam, dass der kanadische Winter ziemlich hart ist. Ich nickt eifrig und erwähne, dass das Aussenthermometer immer noch – 5°C anzeigt.
10.30 Uhr Nach dreissig Minuten passieren wir ein Bootshaus und treffen auf einen älteren Herren, der just im Moment damit beschäftigt ist, einen Eisbohrer aus der Hütte zu schleppen. Wir lüften unsere Pelzhauben und erkundigen uns, ob sich der Heini im Eisfischen versuchen möchte. Der Unbekannte gibt sich uns als Park Ranger (löblich: Parkhüter) zu erkennen und plappert davon, dass er Wasserproben entnehmen und diese ins Labor bringen muss – wie aufregend.
11.15 Uhr Weil ein kühles Lüftchen aus nördlicher Richtung aufkommt, suchen wir Schutz im Wald und treten den Heimweg an. Edelbert redet unterdessen ohne Punkt und Komma auf mich ein und meint, dass uns Maria mit einem prima Mittagessen überraschen wird. Ich reibe mir den Bauch und entgegne, dass meine Schwägerin eine Meisterköchin ist und höchstwahrscheinlich einen vitaminreichen Braten auftischen wird.
12.30 Uhr Kurz nach dem Mittagsläuten sind wir wieder zu Hause und finden das Feriendomizil verlassen vor. Zu allem Überfluss liegt eine handschriftlich aufgesetzte Notiz auf dem Küchentisch und wir erfahren, dass meine Verwandten nach Gilford gefahren sind. Edelbert macht grosse Augen und setzt mich darüber in Kenntnis, dass Georg und Maria Hustensaft kaufen und anschliessend in die Sauna gehen wollen. Ich seufze laut und mache es mir zur Aufgabe, sechs Eier aufzuschlagen und Rühreier zu zaubern – wie gut das duftet.
13.15 Uhr Nach der Brotzeit falle ich erschöpft ins Bett und lasse die Seele baumeln. Bereits nach wenigen Augenblicken döse ich ein und träume von meiner kleinen Villa im fernen Naples.
Meine kleine Villa unter Palmen
14.15 Uhr Just als ich mich im Traum mit Frau Pontecorvo auf der fliegenvergitterten Terrasse sitzen sehe, poltern meine Verwandten zur Türe herein. Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen und höre, dass die zwei einen schönen Vormittag in Gilford verbracht haben. Georg versorgt mich mit Infos und unterbreitet, dass ihm der Saunagang sehr gut getan hat. Zudem präsentiert mein Bruder ein Netz mit Erdäpfeln und sagt, dass wir am Abend Kartoffelsuppe essen werden. Ich winke ab und antworte, dass mir ein saftiges Schnitzel lieber wäre.
15.00 Uhr Während Maria die Knollen schält, lasse ich mich am Kamin nieder und segle mit dem iPad durchs Internetz. Unter anderem studiere ich die Nachrichten auf N-TV.de und lerne, dass heute in Deutschland Rosenmontag gefeiert wird – wie unlöblich.
15.45 Uhr Als ich eine elektronische Depesche meiner Mieterin studiere und erfahre, dass Papst Benedikt VXI. sein Pontifikat zum Monatsende aufgibt, bricht Dixon plötzlich in aggressives Bellen aus. Wir spähen neugierig aus dem Fenster und sehen einen grossen Hirsch, der ungeniert am Ferienhaus vorbeimarschiert – wie aufregend.
Papst Benedikt XVI. kündigt seinen Rücktritt an
16.30 Uhr Nachdem der Wiederkäuer das Weite gesucht hat, schlendere ich mit Hund Dixon im Schlepptau zum Nebenhaus, um Brennholz zu holen. Nebenbei tratsche ich mit Edelbert und lasse ihn wissen, dass seit achthundert Jahren ein Papst nicht durch Tod, sondern durch Rücktritt aus seinem Amt ausscheiden wird. Der Professor blickt traurig drein und antwortet, dass der heilige Vater womöglich krank ist und keine Kraft mehr aufbringt, um den Petrusdienst auszuüben – wie wahr.
17.00 Uhr Im Anschluss verfrachte ich das Holz in den Kamin und freue mich, als uns Maria endlich zum Abendessen ruft. Bei Kerzenschein und romantischer Michael Bolton Musik beissen wir kraftvoll zu und verabreden, dass wir morgen gegen 10 Uhr nach Orillia fahren sollten. Maria ist jedoch gar nicht begeistert und sagt, dass sie mit Dixon am Lake Simcoe bleiben wird. Georg schenkt mir ein Lächeln und kündigt an, dass es ein Vergnügen werden wird, im “Casino Rama” ein kleines Vermögen zu verspielen.
18.00 Uhr Um endlich zur Ruhe zu kommen, machen wir es uns vor dem Fernseher gemütlich. Ich trinke einen Whiskey und drücke mich zufrieden durch die Satellitenprogramme. Nach kurzer Suche bleibe ich auf HBO hängen und fröne dem sehenswerten Spätwestern “Heavens Gate” (auf deutsch: Das Tor zum Himmel).
19.00 Uhr Während Georg gesalzene Pistazien knabbert und Weisswein schlürft, tauche ich in das Leben osteuropäischer Einwanderer ein, die sich um 1890 in Wyoming niederliessen – da kommt Spannung auf.
22.00 Uhr Nach dreistündiger Spitzenunterhaltung flimmert der Abspann über den Bildschirm und ich lasse Dixon noch einmal ins Freie hinaus. Anschliessend wünsche ich den Anwesenden angenehme Träume und gehe zu Bett. Gute Nacht.
Wir lauschen stimmungsvoller Michael Bolton Musik: