08.00 Uhr Der fünfte Tag am Lake Simcoe bricht an und ich erkenne beim Blick zum See, dass Hund Dixon auch schon auf den Beinen ist und ausgelassen am Ufer spielt. Weil ich nicht zum alten Eisen zähle, hüpfe ich spornstreichs aus dem Gästebett und nehme mir das Recht heraus, gähnend in der Nasszelle zu verschwinden.
08.45 Uhr Nach der Morgenwäsche schlüpfe ich in wärmende Kleidung und geselle mich trotz der Eiseskälte zu Georg und Edelbert. Während die Herren dicke Zigarren rauchen, spähe ich zum anderen Ufer und mutmasse, dass uns der Winter noch längere Zeit erhalten bleiben wird. Mein Bruder fabriziert lustige Rauchringe und entgegnet, dass der Wetterdienst für das Wochenende mildere Temperaturen vorhersagt. Ich atme tief durch und denke daran, wie schön es doch wäre, im Sonnenscheinstaat zu sein und einen ausgedehnten Strandspaziergang zu unternehmen – leider kann man im Leben nicht alles haben.
Eis und Schnee am Lake Simcoe
09.30 Uhr Fröstelnd eilen wir ins Haupthaus und werden von Maria mit einem opulenten Frühstück begrüsst. Darüber hinaus füllt die Perle gesundes Trockenfutter in den Napf des Haustieres und unkt, dass der Vierbeiner zu viele Kilos auf den Rippen hat. Ich winke demonstrativ ab und antworte, dass mein tierischer Begleiter seit vielen Jahren sein Idealgewicht hält und sich bester Gesundheit erfreut. Anschliessend mache ich mich über die Jause her und lote aus, ob wir einen Spaziergang unternehmen wollen. Leider windet sich meine Schwägerin aus der Verantwortung und unterbreitet, dass sie die Vormittagsstunden ausnutzen wird, um Wäsche zu waschen – jaja.
10.15 Uhr Kurz nach dem Zehnuhrläuten setze ich mir meine Wollmütze auf und animiere Georg und Edelbert, sich der Wanderung entlang des Sees anzuschliessen. Die Männer nicken eifrig und zögern nicht, ihre dicken Winterjacken anzuziehen und Dixon an die frische Luft zu scheuchen.
Es ist bitterkalt
10.45 Uhr Während der Rüde durch den Schnee flitzt, folgen wir einem Trampelpfad zum Wald und werden plötzlich auf Spuren aufmerksam, die von einem anderen Hund stammen könnten. Mein Bruder legt den Zeigefinger an die Unterlippe und berichtet, dass in dieser Gegend immer wieder sogenannte Coydogs gesichtet werden. Ich mache grosse Augen und bringe heraus, dass die hier einst heimischen Chippewas Indianer gewöhnliche Haushunde mit Coyoten kreuzten, um eine besonders widerstandsfähige Rasse zu bekommen. Edelbert schnäuzt kräftig in ein Taschentuch und meint, dass es wohl klüger wäre, Dixon an die Leine zu nehmen – wie wahr.
Dixons Pfotenabdruck im Schnee
11.30 Uhr Nachdem wir uns durch das Waldstück gekämpft haben, erreichen wir eine Lichtung und haben einen wunderschönen Ausblick auf die Cook’s Bay. Ferner nähern wir uns auch einer Blockhütte, die von einer frankokanadischen Familie als Sommersitz genutzt wird. Mein Bruder ist bestens informiert und beteuert, dass die McMullonds die Bruchbude während der letzten Monate aufwendig renoviert und sogar mit Solarpaneelen ausgestattet haben. Ich staune Bauklötze und vernehme, dass die Heinis nun in der Lage sind, während der warmen Jahreszeit Strom und sogar Warmwasser zu erzeugen – das ist ja allerhand.
12.30 Uhr Zur Mittagszeit stehen wir endlich wieder vor dem Ferienhaus. Wie es sich gehört, klopfen wir uns den Schnee von den Schuhen und genehmigen uns in der warmen Stube brühfrischen Bohnenkaffee. Maria fährt ausserdem vitaminreiche Wurstbrote auf und plappert, dass während unser Abwesenheit der örtlicher Gemischtwarenhändler Brennholz angeliefert hat – das soll mir auch Recht sein.
13.15 Uhr Nach der opulenten Brotzeit lasse ich mich erschöpft auf dem Kanapee nieder und schliesse die Augen. Alsbald döse ich ein und träume von Frau Pontecorvo, die sich just im Moment die Sonne im Rentnerparadies auf den Kopf scheinen lässt – wie ungerecht.
14.15 Uhr Kurze Zeit später wird die Ruhe durch das Röhren eines Dieselmotors unterbrochen. Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen und werde Zeuge, wie Georg die Pforte öffnet und einen bärtigen Heini namens Frank begrüsst. Ich spitze die Ohren und erfahre, dass Herr Frank ein waschechter Wildhüter ist und unweit des Feriendomizils zwei Lebendfallen aufgestellt hat. Ausserdem höre ich, dass es bis Morgen nicht anzuraten ist, Hund Dixon frei herumlaufen zu lassen – was müssen wir denn noch alles ertragen.
Maria verwöhnt und mit Kaffee und Kuchen
15.00 Uhr Nachdem sich Herr Frank winkend verabschiedet hat, ruft uns meine Schwägerin an den Kaffeetisch und serviert selbstzubereiteten Gugelhupf mit Schlagobers. Natürlich verfrachte ich ein stattliches Stück auf meinen Teller und erfahre, dass wir noch bis zum kommenden Samstag in der Wildnis bleiben werden. Ferner erzählt Georg, dass wir Sonntags einen gepflegten Einkaufsbummel in Toronto unternehmen und am Abend ins Theater gehen werden. Obgleich ich Einspruch einlege, lässt mein Bruder nicht locker und berichtet, dass er bereits sündteure Eintrittskarten für das preisgekrönte Bühnenstück “Cabaret” besorgt hat – wie schrecklich.
Ich vermisse mein Zuhause in Florida
16.00 Uhr Da es für das Abendessen noch zu früh ist, nehme ich den Vierbeiner an die Leine und vertrete mir die Beine. Nebenher rufe ich in Naples an und setze Frau Pontecorvo über meine Erlebnisse in Ontario in Kenntnis. Ich lasse die letzten Tage Revue passieren und merke an, dass ich das schöne Wetter in Florida sehr vermisse.
17.00 Uhr Ein nervenaufreibender Tag neigt sich langsam seinem Ende zu und Maria verwöhnt uns mit panierten Saiblinge und Knoblauchbrot auf. Wir geniessen das Abendessen in vollen Zügen und verabreden, dass wir in den nächsten Tagen das angelieferte Holz in der Scheune verstauen sollten – das hat gerade noch gefehlt.
18.30 Uhr Nach der reichhaltigen Mahlzeit lassen wir den Abend vor der Glotze ausklingen und lauschen dem Knistern des Kaminfeuers. Nebenbei trinken wir süffiges Labatt Bier und machen uns bei den Nachrichten über die Geschehnisse in der Welt schlau.
19.00 Uhr Zur besten Sendezeit bedienen wir uns aus Georgs reichbestückter Filmsammlung und geben uns dem Lichtspielhauserfolg “It” (auf deutsch: Es) hin. Die Romanadaption des Gruselautors Stephen King erzählt von unterbelichteten Jugendlichen, die es mit einem mordenden Clown zu tun bekommen – wie unheimlich.
21.15 Uhr Nach 135 nervenaufreibenden Minuten flimmert endlich der Abspann über die Mattscheibe. Ich wische mir schnaufend den Angstschweiss von der Stirn und verabschiede mich mit Hund Dixon im Schlepptau ins Nebengebäude. Zu guter Letzt lösche ich das Licht und lege mich schlafen. Gute Nacht.