19. Dezember 2012 – Der Christbaum

pfaffenbergkl

07.30 Uhr Hund Dixon hüpft ausgelassen ins Bett und leckt mir übers Gesicht. Ich wehre mich nach Kräften und fordere den Rüden auf, brav zu sein und sich mit seinen quietschenden Spielsachen zu beschäftigen.
08.15 Uhr Nachdem sich das Haustier beruhigt hat, stehe ich auf und gebe vor, dass wir heute nach Fort Myers krusen und einen Christbaum kaufen werden. Dixon spitzt seine Ohren und zieht es vor, in den Garten zu laufen und Nachbarhund Joey zu besuchen. Unterdessen entspanne ich mich bei einem erfrischenden Wirbelbad und erfahre im Radio, dass wir uns auf schwülwarme Weihnachten freuen können. Der WCKT CAT COUNTRY (löblich: Katze Land) Moderator spielt das puertoricanische Weihnachtslied “Feliz Navidad” und informiert, dass die Temperatur am 25. Dezember sogar über die 75°F (24°C) Marke klettern könnte – wie aufregend.
09.30 Uhr Just als ich mich an den Küchentisch setze, bimmelt das Telefon besonders aggressiv. Zu allem Überfluss meldet sich Edelbert im Rohr und sagt, dass wir in einer Stunde losfahren können. Ich stimme zu und lasse den schlauen Mann wissen, dass ich pünktlich vor seinem Zuhause warten werde.
10.00 Uhr Um nicht noch mehr Zeit zu vertrödeln, esse ich auf und eile dann nach draussen. Als ich auf den Fingern pfeife, kommt Frau Crane daher und sagt, dass Dixon und Joey ins Schwimmbecken von Familie Vhynalek gesprungen sind. Ich tippe verärgert auf meinen goldenen Chronographen und entgegne, dass ich wichtige Termine im Kalender stehen habe. Die ehemalige Olympiateilnehmerin zeigt Verständnis und sichert zu, den Vierbeinern Manieren beizubringen. Ich seufze laut und lasse den Motor meines Chevrolets aufheulen.
10.30 Uhr Nach einer nervenaufreibenden Hochgeschwindigkeitsfahrt erreiche ich den vereinbarten Treffpunkt und betätige beherzt die Hupe. Edelbert lässt nicht lange auf sich warten und macht mich darauf aufmerksam, dass “Uncle Al’s Farm” an der Green Acre Lane in Fort Myers liegt. Ich bringe den Wählhebel der Automatikschaltung in die “D” Stellung und mutmasse, dass uns der Händler ein kleines Vermögen abverlangen wird. Edelbert schlägt in die gleiche Kerbe und meint, dass ein kleines Bäumchen mindestens 250 Dollars kosten wird – wie furchtbar.
11.30 Uhr Trotz des serienmässig eingebauten Navigationssystems haben wir grosse Schwierigkeiten, die Green Acre Lane zu finden. Da wir unsere Zeit nicht gestohlen haben, steuern wir kurzerhand eine CONOCO Tankstelle an und fragen nach dem Weg. Der ölverschmierte Heini deutet gen Süden und beteuert, dass wir kurz nach dem “Fiddlersticks Country Club” links abbiegen müssen – wie unlöblich.
12.30 Uhr Sechzig Minuten später entdecken wir am Strassenrand ein Hinweisschild. Ich trete fluchend auf die Bremse und sehe mich genötigt, einer zwei Meilen langen Schotterstrasse folgen zu müssen.
13.00 Uhr Endlich sind wir am Ziel und registrieren, dass wir uns auf dem Gelände einer Zitrusfrüchtefarm befinden. Ein älterer Herr in einer grünen Latzhose heisst uns herzlich Willkommen und lotet aus, ob wir an einem Weihnachtsbaum interessiert sind. Als wir eifrig nicken, führt uns der Depp in eine klimatisierte Scheune und präsentiert im fernen Kanada gewachsene Tannen. Der übergewichtige Bauer zündet sich eine stinkende Zigarette an und sagt, dass wir uns gerne umschauen können – das lassen wir uns nicht zweimal sagen.
13.45 Uhr Wir kommen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus und hören, dass die preiswertesten Bäume 280 Dollars kosten sollen. Weil mir ein künstlicher Plastikbaum nicht ins Haus kommt, zücke ich meine Geldbörse und nehme mir das Recht heraus, ein Kieferngewächs für 330 Dollars auszuwählen. Prof. Kuhn folgt meinem Beispiel und erkundigt sich, ob wir mit einem Rabatt rechnen können. Unser Gegenüber lacht laut und rechnet vor, dass wir ihm 650 Dollars Schulden – das ist ja allerhand.
14.30 Uhr Nachdem wir die Bäume in den SUV verladen haben, treten wir die Heimfahrt an. Ich bringe Meile für Meile hinter mich und kündige an, im kommenden Jahr den Gürtel enger schnallen zu müssen. Edelbert gibt mir Recht und sagt, dass er sich das teure Leben in Südflorida bald nicht mehr leisten kann.
15.30 Uhr Wieder zurück im Willoughby Drive, hole ich Dixon bei den Nachbarn ab und bereite mir eine kleine Brotzeit vor. HEUREKA – diesem Stress steht nicht einmal der stärkste Rentner stand.
16.15 Uhr Danach hole ich den Karton mit dem Weihnachtsschmuck aus der Garage und mache es mir zur Aufgabe, den Baum mit Strohsternen und Glaskugeln zu schmücken. Nebenher lausche ich der wunderschönen Martina McBride Weihnachtskompaktscheibe “White Christmas” (löblich: Weisse Weihnachten) – das macht Spass.
17.00 Uhr Völlig verschwitzt beende ich mein Werk und komme zu dem Schluss, dass ich selten ein schöneres Bäumchen im Haus stehen hatte. Hund Dixon ist ebenfalls begeistert und apportiert einen Tennisball.
18.00 Uhr Als der Stundenzeiger meiner geschmackvollen Wanduhr auf 6 zeigt, eile ich in die Küche und zaubere im Handumdrehen Langnudeln mit Tomatensauce. Ausserdem schneide ich eine Strauchtomate aus dem Nachbarstaat Georgia in mundgerechte Scheiben und zaubere eine vitaminreiche Beilage – das schmeckt.
18.45 Uhr Zum Abschluss des langen Tages mache ich es mir in der guten Stube bequem und fröne auf HBO dem Weihnachtsklassiker “National Lampoon’s Christmas Vacation” (auf deutsch: Schöne Bescherung). Die Hollywoodproduktion aus dem Jahre 1989 erzählt aus dem Leben von Familie Griswold, die überraschend Besuch von verlausten Verwandten bekommt. Ich amüsiere mich köstlich und lösche meinen Durst mit weiteren Bieren.
21.00 Uhr Als der Abspann über den neumodernen Flachbildschirm flimmert, beende ich den Fernsehabend und gehe zu Bett. Gute Nacht.

National Lampoon’s Christmas Vacation: