08.15 Uhr Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen und bemerke beim Blick aus dem Fenster, dass es wie aus Kübeln regnet. Trotz allem schwinge ich mich aus dem Bett und läute den zweiten Tag in Kanada mit dem Frühsport ein. Ausserdem verfasse ich auf der Schwarzbeere (unlöblich: Blackberry) eine elektronische Depesche und lasse Frau Pontecorvo wissen, dass ich mich in Toronto pudelwohl fühle.
Meine praktische Schwarzbeere
08.45 Uhr Nachdem Hund Dixon nach unten gelaufen ist, verabschiede ich mich in die Nasszelle. Ich brause mich lauwarm ab und spiele mit dem Gedanken, trotz der schlechten Witterung an den Ontario See zu fahren.
09.30 Uhr Kurz nach dem Neunuhrläuten eile ich ins Parterre und freue mich, nicht nur Georg und Maria, sondern auch Edelbert, Grosscousin Robert Pfaffenberg samt Ehefrau Jessica sowie Haushälterin Frau Grace am Frühstückstisch anzutreffen. Wie es sich gehört, begrüsse ich die lieben Leute herzlich und nehme dann selbst die wichtigste Mahlzeit des Tages ein. Währenddessen frage ich meine Verwandten bezüglich ihrer heutigen Aktivitäten aus und erfahre, dass Robert und Jessica die “Hockey Hall of Fame” (löblich: Eishockey Halle des Ruhmes) besuchen wollen. Ich gebe mich skeptisch und informiere, dass ich es vorziehen werde, gemeinsam mit Edelbert und Hund Dixon einen Spaziergang am Ontario See zu unternehmen. Mein Bruder nickt eifrig und zögert nicht, mir die Autoschlüssel für seinen PS-strotzenden JEEP GRAND CHEROKEE zu überlassen – wie schön.
10.30 Uhr Nachdem wir angeregt geplaudert haben, erhebe ich mich von der Tafel und wünsche allen einen schönen Tag. Danach scheuche ich den Vierbeiner an die frische Luft und schicke mich in Edelberts Begleitung an, nach Südosten davonzufahren.
11.00 Uhr Als ich der Yonge Street folge, schlägt der Professor seinen Reiseführer auf und informiert, dass unweit der bekannten “Outer Harbour Marina” eine künstliche Landzunge gelegen ist, die “Leslie Street Spit” (löblich: Leslie Strassen Spiess) genannt wird. Edelbert kommt aus dem Plappern gar nicht mehr heraus und verdeutlicht, dass man dort den 500 Hektar grossen “Tommy Thompson Park” findet, der zu den grössten urbanen Wildreservaten der Welt zählt – da kommt Freude auf.
11.30 Uhr Nach 27 Kilometern finden wir uns im Stadtzentrum wieder. Ich betätige den Blinker und fasse den Entschluss, auf den Gardiner Expressway zu wechseln. Unterdessen dreht Edelbert am Frequenzrad des Radios und behauptet, dass wir nach dem CN Turm die Schnellstrasse verlassen müssen.
Der Tommy Thompson Park in Toronto
12.00 Uhr Endlich sind wir am Ziel. Ich parke den schwarzen Geländewagen auf einem ausgewiesenen Besucherparkplatz und lerne beim Blick auf eine Hinweistafel, dass Hunde auf dem Parkgelände unbedingt an die Leine gehören. HEUREKA – diesen Unsinn muss man gehört haben.
12.30 Uhr Während der Regen nachlässt, vertreten wir uns die Beine und kommen in den Genuss, unzählige Möwen zu sehen, die auf der Landzunge nach Futter Ausschau halten. Darüber hinaus passieren wir Informationsschilder und bringen heraus, das auf dieser Insel auch Rosenmöwen eine Heimat gefunden haben. Mein Begleiter ist bestens informiert und erzählt, dass die besagte Gattung eigentlich nur in der weiten sibirischen Tundra und/oder in Grönland lebt – das soll mir auch Recht sein.
13.45 Uhr Nach einem sechzigminütigen Marsch stehen wir plötzlich an der südlichen Spitze der Landzunge und können in weiter Ferne die Kleinstadt “Niagara on the Lake” sehen – wie aufregend.
14.30 Uhr Zu guter Letzt knipsen wir Photos und entschliessen uns, kehrt zu machen. Mit einem lustigen Lied auf den Lippen wandern wir zum Auto zurück und treffen bald auf einen grimmig dreinschauenden Wildhüter. Der Uniformträger zückt einen Notizblock und macht es sich zur Aufgabe, einen Strafzettel auszustellen. Als ich genauer nachfrage, deutet der Depp in Richtung meines Haustieres und meint, dass man Hunde an der Leine führen muss. Obgleich ich vorgebe, am “grauen Star” zu leiden und auf meinen Blindenhund nicht verzichten zu können, bleibt der Knecht uneinsichtig und bittet mich, 80 kanadische Dollars zu bezahlen – das ist ja allerhand.
Hund Dixon bekommt einen Strafzettel
15.15 Uhr Nun wird es aber langsam Zeit, nach Hause zu fahren. Da sich mein Pulsschlag noch nicht beruhigt hat, reiche ich die Autoschlüssel an Edelbert weiter und mache es mir nörgelnd auf dem Beifahrersitz bequem. Mein Bekannter setzt zu waghalsigen Überholmanövern an und sagt, dass sein Magen eigenartige Knurrlaute von sich gibt. Ich schlage in die gleiche Kerbe und ermutige den schlauen Mann, eine einladende Gaststätte im Zentrum anzusteuern – immerhin darf das kulinarische Wohl nicht zu kurz kommen.
16.00 Uhr Letztendlich kehren wir in ein gutbesuchtes “Tim Horton” Schnellessgasthasthaus ein und ordern brühfrischen Bohnentrunk sowie vitaminreiche “Ham & Swiss Sandwiches” (löblich: belegte Schinken und Schweiz Brote) – schmeckt gar nicht schlecht.
16.30 Uhr Im Anschluss treten wir die Heimfahrt an und frönen während der kurzweiligen Reise einer Kompaktscheibe mit den grössten Erfolgen der “Carpenters” – was kann es schöneres geben.
17.15 Uhr Zuhause angekommen, werden wir von Maria herzlich begrüsst. Meine Schwägerin tippt auf ihre smaragdverzierte Armbanduhr und erinnert, dass wir um halb Sieben zu Abend essen werden. Als ich genauer nachfrage, versorgt mich die Gute mit Infos und verkündet, dass sie um 20 Uhr bei einer Freundin zum Kartenspielen eingeladen ist. Ich zucke mit den Schultern und ziehe es vor, nach oben zu gehen und mich von den Strapazen des Tages zu erholen – immerhin bin ich nicht mehr der Jüngste.
18.30 Uhr Zur vereinbarten Zeit werde ich im holzvertäfelten Esszimmer vorstellig und werde Zeuge, wie Haushälterin Grace deftige Kohlrouladen mit Kartoffeln auftischt. Ich setze mich neben Robert und lasse während des Abendessens unseren Ausflug zum “Tommy Thompson Park” Revue passieren. Mein Grosscousin staunt nicht schlecht und antwortet, dass er währenddessen spannende Stunden in der “Hockey Hall of Fame” erlebt hat.
19.30 Uhr Nachdem Maria das Weite gesucht hat, lassen wir den Abend im geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmer ausklingen. Georg köpft eine Flasche Schaumwein aus den Hause Veuve Clicquot und kündigt grossspurig an, dass wir morgen den “Distillery District” (löblich: Brennerei Bezirk) im Stadtteil West Don Lands besuchen werden. Robert nippt als bekennender Antialkoholiker zufrieden an seiner Zitronenlimonade und setzt uns darüber in Kenntnis, dass er seit 30 Jahren die Finger von der Flasche lässt – das soll mir Recht sein.
20.30 Uhr Ein schöner Abend neigt sich seinem Ende zu. Ich gähne ausgiebig und wünsche meinen Verwandten eine angenehme Nacht. Anschliessend lasse ich Dixon noch einmal in den Garten hinaus und lege mich dann völlig erschöpft ins Bett. Gute Nacht.