19. April 2013 – Appalachian Trail Tag 10 – Durch die Berge bis nach Newport

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07.30 Uhr Ein lauter Schrei lässt mich hochschrecken. Ich ziehe den Reissverschluss meines Schlafsacks nach unten und werde Zeuge, wie sich Edelbert an der Türe des “Cosby Knob Shelters” zu schaffen macht. Da Dixon die Zähne fletscht, stelle ich den Professor zur Rede und erfahre, dass ein Braunbär um die Hütte schleicht. ich springe aufgeregt auf und lasse es mir nicht nehmen, die Pforte einen Spalt zu öffnen und hinaus zu schielen.
08.00 Uhr Nachdem Meister Petz das Weite gesucht hat, nehme ich einen kräftigen Schluck aus der Wasserflasche und lasse Edelbert wissen, dass ich nach diesem Schrecken einen Schnaps vertragen könnte. Der schlaue Mann schlägt in die gleiche Kerbe und sagt, dass er die kommende Nacht nicht in der Wildnis verbringen wird. Ich gebe meinem Gegenüber Recht und lege anschaulich dar, dass wir bis zur Interstate 40 laufen und ein Auto anhalten sollten. Darüber hinaus verweise ich auf die Kleinstadt Newport und mutmasse, dass wir dort ein schönes Motel finden werden.
08.30 Uhr Als endlich Ruhe eingekehrt ist, setzt Edelbert Kaffee auf und ich informiere mich im Internetz über die Geschehnisse in Boston. Wissbegierig segle ich mit dem NOKIA Handtelefon auf CNN.com und lese, dass das FBI mittlerweile Photografien der aus Tschetschenien stammenden Bombenleger veröffentlicht hat. Ausserdem soll es während der Nacht auf dem “Massachusetts Institute of Technology” zu Explosionen und einem Schusswechsel gekommen sein. Die Bundespolizei teilte in diesem Zusammenhang mit, dass ein Terrorist erschossen wurde und sein Kompagnon in die Kleinstadt Watertown geflüchtet ist. Schon seit mehreren Stunden machen es sich die Fahnder zur Aufgabe, Haus für Haus zu durchsuchen und den flüchtigen Dzhokhar Tsarnaev (19) zu stellen – das ist ja allerhand.

09.00 Uhr Nach einem kleinen Frühstück packen wir die Rucksäcke und besteigen den Mount Goyot. Während Dixon schnuppernd vor uns herläuft, erzählt Edelbert, dass der Berg nach dem Schweizer Geologen Arnold Guyot benannt wurde, der im Jahre 1858 eine Expedition durch die Great Smoky Mountains führte – das soll mir auch Recht sein.

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Mount Goyot in Tennessee

09.45 Uhr Ich blicke fasziniert auf die wunderschöne Landschaft und entgegne, dass ich es mir durchaus vorstellen könnte, in diesen Breitengraden heimisch zu werden. Edelbert schüttelt jedoch den Kopf und behauptet, dass in dieser Gegend unentwegt unbescholtene Bürger von Ausserirdischen entführt werden.
10.15 Uhr Just als wir das Gipfelkreuz erreichen, versorgt mich Prof. Kuhn mit Informationen und plappert davon, dass das amerikanische “Mutual UFO Network” (MUFON) vor wenigen Monaten einen aufschlussreichen Bericht über UFO Sichtungen veröffentlicht hat. Ich rolle demonstrativ mit den Augen und höre, dass alleine 36% aller Sichtungen in den Great Smoky Mountains gemacht wurden – wie unlöblich.
10.45 Uhr Während ich einen Apfel esse und mit Edelbert tratsche, rennt plötzlich ein bärtiger Wanderer an uns vorbei. Der Unbekannte lüftet seine Kappe und stellt sich uns als Peter Roland (59) aus Little Rock, Arkansas vor. Als ich Herrn Peter einen Apfel anbiete, lehnt er dankend ab und unterbreitet, dass er unter Zeitdruck steht. Wir fragen genauer nach und bringen heraus, dass der Heini den Trail bis zu seinem Endpunkt am Mount Katahdin im Dauerlauf absolvieren möchte. HEUREKA – diesen Unsinn muss man gehört haben.
11.30 Uhr Kurz vor der Mittagszeit treffen wir auf weitere Wanderer, die eine Decke auf einer Lichtung ausgebreitet haben und Würstchen grillen. Ich reibe mir den Bauch und frage nach, ob ich eventuell etwas abhaben könnte. Die freundlichen Menschen nicken eifrig und servieren sogar eiskaltes Cola. Wir nehmen die Einladung dankbar an und vernehmen, dass Herr und Frau Collins (41, 39) aus Sevierville, TN stammen und eine Tagestour durch die Berge unternehmen. Während wir angeregt plaudern, kommt Herr Collins auf die Terroristen zu sprechen, die beim “Boston Marathon” ein Blutbad angerichtet haben. Mein Gegenüber schimpft wie ein Rohrspatz und sagt, dass die strenggläubigen Muslime vor Jahren legal in die USA eingereist sind – das ist typisch.
12.15 Uhr Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, bedanken wir uns für die Brotzeit und setzen unsere Wanderung fort. Bei angenehmen Temperaturen eilen wir bergab und freuen uns, in wenigen Stunden in der Zivilisation zurück zu sein. Edelbert schmiedet Pläne und kündigt an, früh ins Bett gehen und fernsehschauen zu wollen – wie schön.
13.00 Uhr Kurze Zeit später stehen wir an einem Tümpel und Hund Dixon zögert nicht, ins kühle Nass zu hüpfen. Wir kommen aus dem Lachen gar nicht mehr heraus und animieren den Vierbeiner, eine Ente zu fangen.
14.00 Uhr Als sich Edelbert eine Zigarre ansteckt und Rauchringe in die Luft bläst, entdecke ich plötzlich im Dickicht eine Schlange. Ich mache einen Satz zur Seite und erkläre meinem Bekannten, dass ich fast von einer Klapperschlange gebissen wurde. Der Professor macht grosse Augen meint, dass wir schnell weitergehen sollten.
15.30 Uhr Weil meine Beine schwer werden, halte ich kurz inne und spähe auf das GARMIN Navigationsgerät. Edelbert folgt meinem Beispiel und rechnet vor, dass wir in einer Stunde die Interstate 40 erreichen werden. Um schneller voran zu kommen, schiebe ich mir ein Stück Traubenzucker in den Mund und mobilisiere die letzten Kräfte.

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16.30 Uhr Nach 3 Meilen verlassen wir die Wildnis und treffen auf die starkbefahrene Schnellstrasse. Ruckzuck halten wir ein Forstfahrzeug auf und erkundigen uns bei einem Mitarbeiter des “Smoky Mountain Hiking Club” (löblich: Smoky Mountains Wandervereins), ob er uns nach Newport mitnehmen kann. Der Bartträger zeigt sich prompt einverstanden und kutschiert uns in einem Höllentempo zum örtlichen “Motel 6” am Heritage Boulevard.
17.15 Uhr Hungrig und durstig betreten wir die Herberge und geben einem hochnäsigen Mitarbeiter zu verstehen, dass wir zwei Zimmer für die Nacht benötigen. Bei dieser Gelegenheit fragen wir nach einem Restaurant und lernen, dass in direkter Nachbarschaft ein “Sagebrush Steakhouse” (löblich: Wüstenbeifuss Schnitzelhaus) zu finden ist – das ist phantastisch.
18.00 Uhr Nachdem wir die Räumlichkeiten bezogen und uns frisch gemacht haben, kehren wir mit Hund Dixon im Schlepptau ins Restaurant ein. Eine in die Jahre gekommene Kellnerin namens Kacey (83) heisst uns herzlich Willkommen und händigt uns die Speisekarten aus. Wir fackeln nicht lange und ordern Steakhouse Salads (löblich: Schnitzelhaus Salate), Cowboy Ribeye (löblich: Kuhjungenschnitzel) mit Kartoffelstäben sowie frisch gezapftes Budweiser Bier – das tut gut.
19.15 Uhr Weil Edelberts Augen in einer Tour zufallen, überreiche ich der Kellnerin meine praktische Meisterkarte (unlöblich: Mastercard). Danach eilen wir ins Motel 6 zurück und verabreden, dass wir uns morgen gegen 9 Uhr am Empfang treffen sollten.

20.00 Uhr Zufrieden schlüpfe ich ins Bett und fordere Dixon auf, sich neben mir einzurollen. Anschliessend schalte ich die Glotze ein und mache mich auf FOX über die dramatischen Entwicklungen in Boston schlau. Ich folge diätcolaschlürfend den “Breaking News” (löblich: Brechenden Neuigkeiten) und erhalte die frohe Botschaft, dass der flüchtige Bombenleger endlich gefasst wurde.
22.00 Uhr Dummerweise schlummere ich bald ein und träume von meiner kleinen Villa im Willoughby Drive. Gute Nacht.