18. April 2013 – Appalachian Trail Tag 9 – Unkrautzigaretten und der Cosby Knob Shelter

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07.30 Uhr Ich werde durch aufgeregtes Vogelgezwitscher geweckt. Fröstelnd wische ich mir den Schlaf aus den Augen und bemerke, dass Dixon schon wieder ausgebüchst ist. Edelbert beruhigt mich redlichst und erklärt, dass der Rüde zum Bach gelaufen ist, um mit Frau Addison zu spielen. Darüber hinaus erzählt der Professor, dass sich das Wanderpärchen aus North Carolina vor wenigen Minuten verabschiedet hat – das ist mir Wurst.

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08.00 Uhr Nachdem ich mich am Fluss erfrischt habe, leiste ich meinen Wanderkollegen am Lagerfeuer Gesellschaft. Frau Sophia (26) kredenzt wässrigen Kaffee und sagt, dass sie nun mit ihrer Freundin weiterziehen und bis zum Abend den Mount Guyot im Norden erreichen möchte. Ich wünsche den Frauenzimmern viel Vergnügen und stelle klar, dass wir es heute etwas ruhiger angehen lassen werden.
09.00 Uhr Als Ruhe und Frieden im “Tricorner Knob Shelter” eingekehrt ist, befülle ich den Rucksack und frage Edelbert bezüglich unserer Tagestour aus. Der schlaue Mann breitet eine Wanderkarte aus und meint, dass wir zur Mittagszeit auf dem Gipfel des Charlies Bunion Bergs stehen werden. Ausserdem vernehme ich, dass am Abend eine Einkehr in den “Cosby Knob Shelter” ansteht. Edelbert reibt sich die Hände und unterbreitet, dass die Hütte über sogar einen gemauerten Kamin und einen separaten Abort verfügt – wie schön.
10.00 Uhr Um nicht noch mehr Zeit zu vertrödeln, greifen wir zu den Wanderstöcken und erklimmen den auf 1.638 Höhenmeter liegenden Gipfel des Charlies Bunion Mountain. Obgleich der Trail steil aufsteigt, fällt es uns angesichts angenehmer Temperaturen nicht schwer, die vier Meilen im Handumdrehen abzuwandern. Nebenher tratsche ich mit Edelbert und bringe heraus, dass die Bundespolizei nach dem tödlichen Terroranschlag von Boston eine heisse Spur verfolgt. Der Professor hält mir sein internetzfähiges Handtelefon unter die Nase und fährt fort, dass Mitarbeiter des FBI auf Überwachungsvideos zwei Männer entdeckt haben, die womöglich mit der Tat in Verbindung stehen.
10.45 Uhr Während ich mir eigene Gedanken mache, geniesse ich den Ausblick ins Tal und glaube, in weiter Ferne sogar die beiden Damen zu sehen, die uns gestern begleitet haben. Edelbert hat nur Hohn und Spott übrig und ist sich sicher, dass es Addison und Sophia niemals bis nach Maine schaffen werden – wie wahr.
11.45 Uhr Nach 90 Minuten stehen wir am Gipfelkreuz und schnallen die Rucksäcke ab. Während ich kraftvoll in einen Apfel beisse, zitiert Edelbert aus seinem Appalachian Trail Reiseführer und macht mich auf den Umstand aufmerksam, dass dieser Berg vor 400 Millionen Jahren durch die Verschiebung der nordamerikanischen und der afrikanischen Kontinentalplatte entstanden ist – das soll mir Recht sein.
12.30 Uhr Nach einer spärlichen Brotzeit laufen wir unaufhaltsam weiter und überholen einen Photographen, der just im Moment damit beschäftigt ist, eine blühende Pflanze abzulichten. Da ich über alles informiert sein will, komme ich mit dem Heini ins Gespräch und lerne, dass es sich hierbei um eine Traubenheide (amerikanisch: Doghobble) handelt. Der nette Mann begleitet uns und berichtet, dass er während seiner Wanderung bereits einen Puma, mehrere Braunbären sowie einen stattlichen Hirschen photografieren konnte – wie aufregend.
14.00 Uhr Wenig später treffen wir auf weitere Hiker (löblich: Wanderer), die es sich auf einer Lichtung bequem gemacht haben. Obgleich ein süsslicher Duft in der Luft liegt, lassen wir uns im Gras nieder und tauschen Wandergeschichten aus. Ein langhaariger Jungspund namens John (23) hält mir eine Zigarette unter die Nase und animiert mich, etwas Weed (löblich: Unkraut) zu rauchen. Während ich dankend ablehne und mich als Nichtraucher zu erkennen gebe, nimmt Edelbert das Angebot an und vertritt die Meinung, dass der selbstgedrehte Glimmstängel ganz hervorragend mundet. Ich komme aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr heraus und ziehe es vor, Dixon anzuleinen und auf den Trail zurückzukehren.
15.30 Uhr Kurz vor unserem Ziel hält Edelbert plötzlich inne und behauptet, von einem Drehschwindel geplagt zu werden. Ich überreiche meinem Bekannten besorgt die Wasserflasche und fordere ihn auf, seinen Hals mit einem kräftigen Schluck durchzuspülen. Der Professor seufzt laut und unkt, dass die unzähligen Meilen, die wir mittlerweile zurückgelegt haben, ihren Tribut zollen – wie unlöblich.

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16.00 Uhr Nachdem wir etwas ausgespannt haben, setzen wir unseren Spaziergang fort und quälen uns durch das fast undurchdringliche Unterholz. Edelbert versorgt mich mit Informationen und erläutert, dass wir morgen die Great Smoky Mountains hinter uns lassen und den “Cherokee National Forest” erreichen werden.
17.00 Uhr Zum Abschluss unserer Tagestour umrunden wir einen kleinen Tümpel und finden den “Cosby Knob Shelter” verlassen vor. Laut schnaufend stosse ich die Türe auf und freue mich, die Nacht auf einer Holzpritsche verbringen zu dürfen. Edelbert wirft seinen Rucksack zu Boden und zögert nicht, ein Feuer zu entfachen und Kaffee aufzubrühen. Zeitgleich versorge ich Dixon mit Trockenfutter und vergesse auch nicht, ein nahrhaftes Abendessen zuzubereiten.
18.00 Uhr Während die Nacht hereinbricht, machen wir es uns vor der Hütte bequem und verzehren Wurstbrote, Äpfel und vitaminreiches Müsli. Edelbert studiert wissbegierig seinen Reiseführer und kündigt an, dass wir morgen die Interstate 40 überqueren müssen, die sich von West nach Ost durch den Kontinent schlängelt. Ich mache grosse Augen und erfahre anhand einer Übersichtskarte, dass es sich anbieten würde, ein Auto aufzuhalten und die Nacht von Freitag auf Samstag in einem Motel in Cosby, TN zu verbringen.
19.00 Uhr Nachdem wir das Geschirr abgewaschen und die Wanderkleidung zum Trocknen aufgehängt haben, schlüpfen wir in die Schlafsäcke und plaudern über unsere Appalachian Trail Wanderung. Edelbert streichelt Dixon über den Kopf und sagt, dass immer noch sieben Tage in der Wildnis auf uns warten. Ich zucke mit den Schultern und genehmige mir als Betthupferl einen Willy Wonka Laffy Taffy Riegel – das schmeckt.
20.00 Uhr Da mir vor Müdigkeit die Augen zufallen, lösche ich das Licht und bette mich zur Ruhe. Gute Nacht.