21.03.2011
07.15 Uhr Ich erwache schweissgebadet und habe gar keine
Orientierung. Erst als ich die Terrassentüre aufstosse und Edelbert in
Gesellschaft seiner ehemaligen Nachbarin im Schwimmbecken planschen
sehe, wird mir klar, dass ich mich seit gestern Abend in Beverly Hills
aufhalte. Während Hund Dixon an meine Seite kommt und sich ausgiebig
streckt, winkt mir der Professor zu und sagt, dass ich die Badehose
anziehen und ebenfalls einige Runde schwimmen sollte. Das Fräulein Cream
schlägt in die gleiche Kerbe und meint, dass sie uns hinterher ihr
neues Zuhause zeigen und uns zum Frühstück einladen wird. Ich winke
jedoch ab und nehme badebemäntelt auf einer unbequemen Rattanliege
Platz, um den beiden klarzumachen, dass das kühle Nass möglicherweise
bereits von japanischen Atomstrahlen kontaminiert ist.
08.00 Uhr Wenig später steigt die leichtbekleidete
Schauspielerin aus dem Becken und lädt uns ein, ihr über das Grundstück
zu folgen. Mit Hund Dixon im Schlepptau spazieren wir zum Haupthaus und
hören, dass Frau Creams Verlobter das Anwesen im Jahre 1987 gekauft und
aufwändig umgestaltet hat. Die junge Frau deutet zum Nebengebäude und
sagt, dass Familienangehörige und Gäste das Vergnügen haben, im
ehemaligen Angestelltenhaus zu logieren. Ich kann mir ein Schmunzeln
nicht verkneifen und erkläre auf, dass das Gartenhäuschen grösser ist,
als meine Villa in Naples. Edelbert nickt eifrig und erläutert, dass
unsere Unterkunft nicht nur über drei Schlafzimmer, sondern auch über
Gästetoiletten, mehrere begehbare Schränke und zwei Luxusbäder mit
vergoldeten Wasserhähnen verfügt. Die Cream winkt demonstrativ ab und
behauptet, dass in der Nachbarschaft unter anderem der Winzigweich
(unlöblich: Microsoft) Mitbegründer Paul Allan, die Schauspielerin
Melissa Gilbert und der Film- und Seriendarsteller John Goodman in noch
grösserem Luxus leben. Die gute Frau berichtet unter vorgehaltener Hand,
dass der Letztgenannte ein sehr unangenehmer Zeitgenosse ist.
08.30 Uhr Nachdem uns die Maid durch die Garage gelotst und uns
Autos namhafter Hersteller gezeigt hat, betreten wir endlich das
Haupthaus. Ich staune angesichts der Einrichtung Bauklötze und frage
Frau Cream, wo ihr Verlobter abgeblieben ist. Edelberts ehemalige
Nachbarin gibt sich deprimiert und antwortet, dass ihr Lebensgefährte
eine neue Sitcom (löblich: Sitzkomödie) für den Fernsehsender FOX
produziert und schon zu früher Stunde mit dem firmeneigenen Helikopter
nach San Franzisko ausgeflogen ist - wie schade. Trotzdem lassen wir uns
die gute Laune nicht verderben und machen es uns im Esszimmer
gemütlich. Während ich die Beine übereinanderschlage und die wertvollen
Ölgemälde an den Wänden beäuge, kommt die hochnäsige Haushälterin dazu
und verwöhnt uns mit vitaminreichen Rühreiern, leckeren Grillwürsten,
Kelloggs Frühstücksflocken und französischem Schaumwein - das ist
phantastisch.
09.00 Uhr Während wir kraftvoll zubeissen und brühfrischen
Bohnenkaffee geniessen, kommt Frau Cream auf ihre Filmkarriere zu
sprechen und beteuert, dass sie in der neuen Vorabendserie ihres
Verlobten eine Hauptrolle übernehmen wird. Die kleine Frau redet ohne
Unterlass auf uns ein und sagt, dass sie in die Rolle einer aus Oklahoma
stammende Krankenschwester schlüpfen wird, die in Los Angeles in einem
Rehabilitations-Zentrum einen Tschob findet. Ich denke sofort an die
"Schwarzwaldklinik" und erwidere, dass solch langweiligen Fernsehformate
heutzutage keinen interessieren. Meine Tischnachbarin ist jedoch ganz
anderer Meinung und mutmasst, dass ihr toller Freund den Nerv der Zeit
treffen und mit einem Emmy bedacht werden wird – darüber kann ich nur
lachen.
09.45 Uhr Nachdem wir aufgegessen haben, führt uns die
Gastgeberin in den ersten Stock und präsentiert diverse Auszeichnungen,
die ihr Lebensgefährte im Laufe seiner Karriere angehäuft hat.
Beeindruckt schaue ich mir die goldenen Trophäen an und lerne, dass der
Schnösel von der "Television Critics Association" (löblich:
Fernsehkritiker Vereinigung) in den 1990er Jahren für die Familienserie
"Man on the Run" (löblich: Mann auf der Flucht) ausgezeichnet wurde.
Ferner nehme ich einen "Saturn Award", zwei "Golden Globes" sowie
mehrere kanadische "Gemini Awards" in Augenschein und erhalte die
Auskunft, dass der einflussreiche Serienproduzent bei der Emmy
Verleihung im kommenden Jahr eine Laudatio für eine Kollegin halten
darf.
10.30 Uhr Nun haben wir genug gesehen und können zum Gästehaus
zurückkehren. Edelbert ist hellauf begeistert und meint, dass es sich
gelohnt hat, die Einladung anzunehmen und nach Los Angeles zu kommen.
Ich gebe dem Professor Recht und merke an, dass das luxuriöse Ambiente
ganz nach meinem Geschmack ist. Schliesslich werfen wir die Pforte ins
Schloss und vereinbaren, dass wir uns jetzt frisch machen und dann die
Stadt erkunden sollten.
11.00 Uhr Bevor ich mich bei einem Schaumbad entspanne, serviere
ich Hund Dixon eine Portion Hill's Trockenfutter. Danach ziehe ich mich
in das luxuriöse Badezimmer zurück und lasse die Hüllen fallen.
Gutgelaunt steige ich ins heisse Badewasser und mache es mir während der
Morgenwäsche zur Aufgabe,
James
in Nashville anzurufen. Mein Verwandter meldet sich nach dem zweiten
Klingeln und ist überrascht, meine Stimme zu hören. Selbstverständlich
lasse ich meine bisherigen Erlebnisse Revue passieren und berichte, dass
ich gestern gegen 21 Uhr an der Westküste angekommen bin und Frau
Brandie Creams angeberischen Verlobten kennen lernen durfte. Zudem gebe
ich zu Protokoll, dass Edelberts ehemalige Nachbarin in direkter
Nachbarschaft weltbekannter Persönlichkeiten aus Film, Fernsehen und
Wirtschaft wohnt. Mein löblicher Neffe freut sich und animiert mich,
Freundschaft mit dem Fernsehproduzenten zu schliessen und in Hollywood
eine Karriere anzustreben - papperlapapp. Ich falle dem jungen Mann
prompt ins Wort und entgegne, dass ich für das Schaugeschäft (unlöblich:
Showbiz) schon zu alt bin.
12.00 Uhr Als der Stundenzeiger meiner wertvollen ROLEX auf 12
zugeht, beende ich den Badespass und schlüpfe in legere
Freizeitkleidung. Anschliessend klopfe ich an Edelberts Zimmertüre und
rufe ihn auf, in die Gänge zu kommen. Mein Bekannter lässt nicht lange
auf sich warten und beteuert, dass wir uns nun ins Vergnügen stürzen und
zum
"Grauman's Chinese Theatre"
fahren sollten. Ich stimme augenblicklich zu und gebe zu bedenken, dass
wir kein Auto haben. Edelbert lacht laut auf und erinnert an die vielen
Luxuskarossen, die ungenutzt in der Garage stehen. Bevor ich mich
versehe, stapft mein Begleiter zum Haupthaus und bittet Frau Cream, uns
ein KFZ auszuborgen. Die Jungschauspielerin gibt sich spendabel und
überreicht uns die Schlüssel für ihren nagelneuen "Pontiac Torrent". Bei
dieser Gelegenheit hören wir, dass Frau Cream während der
Nachmittagsstunden dem Tennissport frönen und ein Fitnessstudio
aufsuchen wird. Um nicht vor verschlossenen Türen zu stehen, erhalten
wir auch noch eine Schlüsselkarte für das Haupthaus sowie die Geheimzahl
für das automatisch betriebene Schwenktor an der Grundstücksgrenze -
wie aufregend.
12.30 Uhr Kurze Zeit später helfen wir Hund Dixon in den SUV und
können es gar nicht mehr erwarten, durch die Hügel von Hollywood zu
rasen. Ich lasse den Wählhebel der Automatikschaltung fachmännisch in
der "D" Stellung einrasten und schaffe es ohne grössere Probleme, das
Vehikel aus der Garage zu fahren. Danach folge ich dem Schotterweg durch
eine parkähnliche Anlage und vermute, dass
das Grundstück mehrere Millionen Dollars wert sein muss. Edelbert kommt
aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr heraus und knipst Photos am
laufenden Band.
12.45 Uhr Nachdem sich das Schwenktor am Ende der
Zufahrtsstrasse geöffnet hat, können wir auf dem Coldwater Canyon gen
Osten weiterfahren. Dank des eingebauten Navigationssystem finden wir
uns bald zurecht und erkennen, dass der weltberühmte
"Hollywood Schriftzug"
am Mount Lee Drive nur wenige Meilen entfernt liegt. Weil man das
Wahrzeichen der Stadt gesehen haben muss, folgen wir dem Mulholland
Drive nach Norden und finden uns bald auf dem Wonder View Drive wieder,
der uns in Windeseile zum Ziel bringt.
13.30 Uhr Nachdem wir weitläufige Pferdekoppeln und
beeindruckende Villen diverser Hollywoodsterne passiert haben, komme ich
mit quietschenden Bremsen vor dem besagten Schriftzug zum Halten. Wir
hüpfen von den bequemen Ledersitzen und bemerken, dass wir nicht die
einzigen Schaulustigen sind, die die 15 Meter hohe und 137 Meter lange
Buchstabenfolge sehen wollen. Um eine bessere Sicht zu bekommen, schubse
ich einen Chinesen (25) zur Seite und beauftrage Edelbert, die
Sehenswürdigkeit mit der NIKON Digitalkamera abzulichten.
14.15 Uhr Um nicht noch mehr Zeit zu vertrödeln, lasse ich den
PS-strotzenden Motor aufheulen und beschleunige den Pontiac auf
schwindelerregenden 35 Meilen pro Stunde. Während wir durch den "Bronson
Canyon Park" fahren, versorgt mich Edelbert mit wissenswerten Fakten
und macht mich auf den Umstand aufmerksam, dass eine Immobilienfirma im
Jahre 1923 den Schriftzug "HOLLYWOODLAND" aufgestellt hat, um für den
Kauf von Grundstücken in dieser Gegend zu werben. Erst 25 Jahre später
entschloss sich der Bürgermeister, die Silbe "LAND" zu entfernen und den
Schriftzug zu restaurieren - wie interessant.
15.00 Uhr Nachdem wir 45 Minuten durch Hollywood gekrust sind,
parke ich den Geländewagen vor dem heruntergekommenen "Roosevelt Hotel"
am Hollywood Boulevard. Die letzten Meter zum "Grauman's Chinese
Theatre" legen wir auf Schusters Rappen zurück und werden in
regelmässigen Abständen auf Hand- und Schuhabdrücke angesehener Künstler
aufmerksam, die in Beton gegossen den Bürgersteig zieren. In meiner
Funktion als Filmliebhaber schreite ich den Vorplatz des im Jahre 1918
eröffneten
Lichtspielhauses ab und entdecke sogar den Stöckelschuhabdruck von Hildegard Knef in einer der vielen Betonplatten - da kommt Freude auf.
15.30 Uhr Als nächstes kaufen wir an einem Kiosk durstlöschende
Diät Colas und sind überrascht, nach wenigen Metern auf den "Walk of
Fame" (löblich: Gehweg des Ruhmes) zu stossen. Fasziniert richten wir
unsere Blicke auf die unzähligen Sterne, die zu Ehren einflussreicher
Musikanten, Schauspieler, Radiomoderatoren
und Produzenten in den Asphalt gegossen wurden. Edelbert ist wie immer
bestens unterrichtet und zitiert aus seinem Reiseführer, dass der "Walk
of Fame" von der örtlichen Handelskammer im Jahre 1958 geplant wurde, um
noch mehr Touristen an die amerikanische Westküste zu locken - wie
schön.
16.15 Uhr Weil das schwüle Klima kaum auszuhalten ist, bugsiere
ich Edelbert und Hund Dixon ins "Shellys Cafe" und erkläre, dass ich die
Spendierhose anzogen habe und für Speis und Trank bezahlen werde. Der
Professor schnalzt mit der Zunge und nimmt an einem Ecktisch mit
Ausblick Platz. Schon wenige Augenblicke später kommt eine beschürzte
Kellnerin daher und wünscht uns in einem kaum verständlichen Dialekt
einen schönen Nachmittag. Ich nehme dankbar die Speisekarte an und wähle
aus dem reichhaltigen Angebot ein Thuna Sandwich (löblich: belegtes
Thunfischbrot) mit Kartoffelstäben und Salat. Edelbert ordert kurzerhand
eine Schüssel Wasser für Hund Dixon sowie eine Spinat Lasagne (löblich:
Nudelschichtgericht) für sich. Die Bedienung notiert sich die
Bestellung ganz genau und flitzt ruckzuck in die Küche, um bald mit den
gewünschten Speisen wiederzukommen.
16.45 Uhr Während ich mit dem Besteck klappere und meine
ausgetrocknete Kehle mit einem eiskalten Coors Light (löblich:
alkoholfreies Coors) durchspüle, folge ich mit Interesse dem
Menschenauflauf auf der Strasse und unke, dass derzeit Hunderttausende
Touristen in der Stadt sein müssen. Edelbert stimmt uneingeschränkt zu
und sagt, dass wir morgen zeitig aufstehen und das "Los Angeles County
Museum of Art" (löblich: Los Angeles Gemeindemuseum der Kunst)
besichtigen sollten - das werden wir erst noch sehen.
17.30 Uhr Um insgesamt 55 Dollars erleichtert, verlassen wir die
Wirtschaft und kehren plaudernd zum Auto zurück, um die getönten
Fensterscheiben nach unten gleiten zu lassen. Ich fahre gekonnt aus der
Parklücke und habe einige Schwierigkeiten, das überdimensionale KFZ
durch den dichten Abendverkehr zu steuern. HEUREKA - diesen Stress hält
nicht einmal der stärkste Rentner aus.
18.30 Uhr Als sich die Nacht über die Stadt der Engel legt,
treffen wir in Frau Brandie Creams Haus ein und sehen eine schicke
Mercedes Limousine vor dem Anwesen stehen. Wie es sich gehört, stellen
wir den Pontiac in der Garage ab und freuen uns, dort den Verlobten (61)
unserer 23jährigen Gastgeberin anzutreffen. Herr Greenberg begrüsst uns
händeschüttelnd und bittet um Entschuldigung, weil er nicht am
gemeinsamen Frühstück teilnehmen konnte. Der Anzugträger führt uns in
die Hausbibliothek und lädt uns zu Whiskeys und lustigen Knabbereien ein
- wie schön.
18.45 Uhr Während ich einen siebzig Jahre alten schottischen
Scotch koste, gewährt uns Herr Greenberg einen Einblick ins Filmgeschäft
und erzählt, dass er morgen in aller Frühe zum "20th Century Fox"
Studio fahren muss, um Verträge auszuarbeiten und an langweiligen
Vorsprechen teilzunehmen. Bei dieser Gelegenheit kommt der
millionenschwere Produzent auf unsere Pläne zu sprechen und lädt uns
kurzerhand ein, ihn am Nachmittag zu besuchen – wie aufregend.
19.15 Uhr Just als ich mein Glas leere, gesellt sich Fräulein
Cream zu uns und ist vom langen Tag sichtlich erschöpft. Herr Greenberg
streichelt das Knie seiner Verlobten und meint, dass es langsam Zeit
wird, ins Bett zu gehen. Die angehende Schauspielerin stimmt prompt zu
und meint, dass sie vorher duschen wird. Weil unsere Anwesenheit nicht
mehr erwünscht ist, ziehen wir es vor, uns zu verabschieden und zum
Gästehaus zu marschieren.
20.00 Uhr Nachdem ich Hund Dixon mit einem Kauknochen und
frischem Trinkwasser versorgt habe, leiste ich Edelbert im
holzvertäfelten Wohnzimmer Gesellschaft. Wir vertreiben uns die Zeit mit
Fernsehschauen
und sehen uns eine Folge der Kriminalserie "Bones" (löblich: Knochen)
an, die ebenfalls in den "20th Century Fox" Filmstudios am West Pico
Boulevard gedreht wurde - da kommt Spannung auf. Prof. Kuhn reibt sich
die Hände und kündigt an, dass wir die Einladung ins Studio annehmen und
Herrn Greenberg bei der Arbeit über die Schulter schauen sollten.
21.30 Uhr Als der Abspann über den Flachbildschirm flimmert,
schalten wir auf CNN um und bringen heraus, dass nach dem Atomunfall in
Japan nun auch erhöhte Strahlenwerte an der amerikanischen Westküste
gemessen wurde. Der Sprecher spielt die Nachricht herunter und
unterbreitet, dass man sich keine Sorgen machen muss. Seufzend schalte
ich die Glotze ab und lege mich zu Hund Dixon ins bequeme Wasserbett.
Danach lösche ich das Licht und schlummere bald ein. Gute Nacht.
verfasst
von Reinhard Pfaffenberg am 21.03.2011
©
Reinhard Pfaffenberg |
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