5. Januar 2018 – Schoppingwahn

08.00 Uhr Ich erwache ausgeschlafen und hüpfe voller Tatendrang aus dem Bett. Weil das Thermometer bereits jetzt auf schwindelerregende Höhen angestiegen ist, stelle ich die Klimaanlage höher und scheuche Dixon kurzerhand nach draussen – Morgenstund’ hat bekanntlich Gold im Mund.
08.30 Uhr Nach dem Frühsport ziehe ich mich in die Nasszelle zurück und lasse die Badewanne mit lauwarmem Wasser volllaufen. Ruckzuck schlüpfe ich aus dem Schlafanzug und entspanne mich bei einem erfrischenden Bad. Nebenher überfliege ich die eingegangenen Depeschen auf meiner Schwarzbeere (unlöblich: Blackberry) und freue mich, einen nachträglichen Geburtstagsgruss von Thomas Kronach zu erhalten. Der Jurist schreibt, dass er in den letzten Monaten sehr viel um die Ohren hatte und kaum Gelegenheit fand, sich bei mir zu melden – wie schade.


Meine Schwazbeere

09.30 Uhr Als ich den Badespass beende, klingelt es an der Pforte. Zu meiner Freude stehen Georg und Maria vor meinem Zuhause und bringen ein gemeinsames Frühstück in Julies Restaurant zur Sprache. Natürlich komme ich dem Aufruf anstandslos nach und entgegne, dass eine reichhaltige Mahlzeit gerade zur rechten Zeit kommt.
10.00 Uhr Nachdem ich ein rosarotes Polohemd sowie eine grüne Bermudahose angezogen habe, lotse ich Dixon zu Georgs nachtschwarzen JEEP und dränge zur sofortigen Abreise. Mein Bruder lässt sich zweimal bitten und schickt sich an, mit durchdrehenden Pneus aus dem Wohngebiet zu brettern. Bei dieser Gelegenheit plaudere ich mit Maria und vernehme, dass die Kinder gestern Abend wohlbehalten in Toronto eingetroffen sind. Die kleine Frau kommt aus dem Schmunzeln gar nicht mehr heraus und beteuert, dass in Kanada zwischen Weihnachten und Neujahr gut und gerne 50 Zentimeter Neuschnee gefallen ist – das ist ja kaum zu glauben.
10.30 Uhr Endlich sind wir am Ziel und werden von Wirtin Julie herzlich begrüsst. Die Gaststätteninhaberin führt uns zu einem Tisch mit Ausblick und zögert nicht, drei grosse Frühstücke sowie eine Kanne Bohnentrunk aufzutischen. Weil mein Magen ohne Unterlass knurrt, greife ich spornstreichs zum Besteck und beisse kraftvoll zu. Maria nippt zufrieden am Kaffeebecher und erzählt, dass sie für den Abend Lichtspielhauskarten reserviert hat und mit ihrem Ehemann den Kriminalfilm “All the Money in the World” (auf Deutsch: Alles Geld der Welt) sehen wird. Ich gähne ausgiebig und stelle klar, dass ich an dieser reisserischen Hollywoodproduktion nicht interessiert bin.

11.30 Uhr Kurz vor dem Mittagsläuten beenden wir die wichtigste Mahlzeit des Tages. Da ich heute die Spendierhosen angezogen habe, zücke ich meine prallgefüllte Geldbörse und lade meine Verwandten zu Speis und Trank ein. Danach kehren wir zum JEEP zurück und fassen den Entschluss, die Nachmittagsstunden im “Village on Venetian Bay” (löblich: Stadt an der venezianischen Bucht) Schoppingparadies zu verbringen.
12.15 Uhr Bei schwülen 77°F (25°C) parken wir den Geländewagen auf einem kostenpflichtigen Parkplatz und nehmen uns das Recht heraus, mit dem Haustier im Schlepptau durch die Gassen des Einkaufsareals zu flanieren. Wie nicht anders zu erwarten, bekommt Maria prompt grosse Augen und rennt wie von Sinnen in einen Kleidermarkt, um Blusen von den Regalen zu reissen und Hüte anzuprobieren. Georg rollt entnervt mit den Augen und unterbreitet, dass es schlauer wäre, im benachbarten Kaffeehaus eine Pause einzulegen – wie wahr.
13.00 Uhr Während Maria hemmungslos abschoppt, genehmigen wir uns süffige Eiskaffees und plaudern über Dies und Das. Bei dieser Gelegenheit komme ich auf die verheerenden Zustände in Deutschland zu sprechen und informiere, dass die Regierung immer härtere Geschütze gegen Andersdenkende auffährt und vor Kurzen sogar ein sogenanntes “Netzwerkdurchsuchungsgesetz” auf den Weg gebracht hat. Um meinen Aussagen Nachdruck zu verleihen, fuchtle ich mit den Händen und zeige anschaulich auf, dass Kanzlerin Angela Merkel der Meinungsfreiheit längst den Kampf angesagt hat – wie schrecklich.
13.45 Uhr Nach einer geschlagenen Stunde gesellt sich Maria tütenbepackt zu uns und meint, dass sie sensationelle Schnäppchen ergattern konnte. Um nicht noch mehr Zeit zu vertrödeln, setzen wir unseren Spaziergang fort und nehmen die Auslagen in den Schaufenstern der Fachgeschäfte in Augenschein.
14.30 Uhr Nachdem wir ein Mangoeis im Becher verzehrt haben, kehren wir in eine Filiale des renommierten Herrenausstatters “Terruzzi” ein und bestaunen die aktuelle Frühlingsmode. Obwohl die Preise sehr gesalzen sind, nimmt Georg ein hellblaues Jacket von einem Kleiderbügel und meint, dass ihm diese Jacke hervorragend stehen würde – was muss ich denn noch alles ertragen.
15.15 Uhr Zu guter Letzt wählt mein Bruder auch noch braune Oxford Lederschuhe aus und stellt die Behauptung auf, dass man sich einmal pro Woche etwas Luxus gönnen sollte. Ich seufze laut und werde Zeuge, wie die platinblonde Kassenkraft 600 Dollars von Georgs Kreditkartenkonto abbucht – wie unlöblich.


Georg besitzt diverse Bezahlkarten

16.00 Uhr Zurück am Auto, helfe ich Dixon auf die Ladefläche und fordere Georg auf, mich schnellstmöglich in den Willoughby Drive zu bringen. Mein Verwandter nickt eifrig und bringt den JEEP schnell auf den Tamiami Trail.
16.30 Uhr Nach einer nervenaufreibenden Hochgeschwindigkeitsfahrt treffen wir endlich im Wohngebiet ein. Ich wünsche meinen Liebsten viel Vergnügen im Kino und werfe dann die Haustüre lautkrachend ins Schloss.
17.15 Uhr Nachdem ich Dixons Napf mit gesundem Trockenfutter aufgefüllt habe, mache ich mich in der Küche nützlich und brate in einer Pfanne ein vitaminreiches Minutenschnitzel an. Dazu gibt es gedünstetes Gemüse aus dem Kleinwellenofen (unlöblich: Mikrowelle) sowie ein perfekt eingeschenktes Budweiser – das tut gut.


Schmeckt gar nicht schlecht

18.00 Uhr Redlichst gestärkt sorge ich in der Küche für Ordnung und freue mich, eine ruhige Kugel im Wohnzimmer schieben zu können. Wie es sich gehört, mache ich es mir ihm Ohrensessel bequem und läute den Feierabend mit einer weiteren Hopfenkaltschale aus dem Hause Anheuser & Busch ein – schmeckt gar nicht schlecht.
19.00 Uhr Nach den FOX Nachrichten gebe ich mich auf dem Bezahlsender AMC der abendfüllenden Komödie “Superbad” hin. Dieser Klamaukfilm erzählt von den besten Freunde Seth und Evan, die nach der gemeinsamen Schulzeit nun an unterschiedlichen Universitäten studieren müssen – so ein Schmarrn.
21.00 Uhr Nach 120 Minuten flimmert endlich der Abspann über die Mattscheibe und ich beende den Fernsehabend. Zu guter Letzt begleite ich Dixon noch einmal in den Garten und lege mich dann schlafen. Gute Nacht.