8. September 2017 – Tallahassee und Irma

08.00 Uhr Die Sonne lacht durchs Fenster und ich bemerke beim Blick auf den Reisewecker, dass es bereits 8 Uhr geschlagen hat. Um nicht noch mehr Zeit zu vertrödeln, schlüpfe ich gähnend in den Morgenmantel und eile mit Hund Dixon an die frische Luft, um meine müden Glieder zu lockern – das tut gut.
08.30 Uhr Nachdem ich Edelbert geweckt und ihm klargemacht habe, dass ich grossen Hunger habe, ziehe ich mich in die Nasszelle zurück und entspanne mich bei einem Vollbad mit ganz viel Schaum.
09.30 Uhr Schlussendlich ziehe ich den Reisverschluss des Rollkoffers zu und fordere den Rüden auf, mir zum Wohnmobil zu folgen. Das Haustier springt von einem Bein aufs andere und lässt es sich nicht nehmen, spornstreichs zum Strand zu flitzen und kreischende Möwen aufzuschrecken – was kann es schöneres geben.


Hund Dixon spielt ausgelassen

10.00 Uhr Nach einem Spaziergang verfrachte ich das Gepäckstück in den WINNEBAGO und halte nach Edelbert Ausschau. Mein Bekannter lässt nicht lange auf sich warten und erzählt, dass er mit dem Heini an der Rezeption über den Hurrikan Irma geplaudert hat. Der schlaue Mann versorgt mich mit den neuesten Infos und beteuert, dass der Tropensturm in den kommenden Stunden an der Nordküste Kubas entlang in Richtung der Florida Keys ziehen wird. Ich lasse den Motor aufheulen und gleite auf dem Via De Luna Drive gen Osten. Nach nicht einmal 200 Metern trete ich beherzt auf die Bremse und gebe zu Protokoll, dass das “Dog House” (löblich: Hunde Haus) Delikatessgeschäft sehr einladend aussieht.


Der Wirbelsturm Irma

10.30 Uhr In einem angenehmen Ambiente nehmen wir die wichtigste Mahlzeit des Tages ein und plaudern über dies und das. Edelbert legt trotz der Schreckensmeldungen beste Laune an den Tag und schlägt vor, dass wir heute nach Tallahassee krusen und die Hauptstadt des Staates besuchen könnten – das hört sich verlockend an.
11.00 Uhr Pünktlich zum Elfuhrläuten schwinge ich mich wieder hinters Lenkrad und schicke mich an, auf der Pensacola Beach Road in Richtung Festland davonzubrausen. Während Shelby Lynne im Radio ein schönes Lied trällert, beschleunige ich den TRAVATO auf 35 Meilen pro Stunde und finde mich alsbald auf der Interstate 10 wieder, die bekanntlich den äussersten Osten der Vereinigten Staaten mit dem goldenen Westen verbindet.
11.45 Uhr Während unserer Reise passieren wir die “Eglin Air Force Base” und Edelbert weiss zu berichten, dass es sich hierbei um den flächenmässig grössten Stützpunkt der “United States Air Force” handelt. Ich mache grosse Augen und lerne weiter, dass auf diesem knapp 2.000 km² grossen Areal nicht nur Flugzeuge, sondern auch Langstreckenraketen sowie Drohen stationiert sind – das ist ja kaum zu glauben.
12.45 Uhr Nach 100 Meilen legen wir am nördlichen Rand des “Choctawhatchee River Parks” eine kurze Rast ein. Während Dixon eigenständig Gassi geht, stibitze ich mir eine Mountain Dew Getränkedose aus dem Eiskasten und öle meinen staubtrocknen Hals mit kräftigen Schlucken. Edelbert segelt unterdessen mit dem praktischen iPad durchs Internetz und beteuert, dass der Tropensturm “Irma” am Sonntag mit voller Wucht auf das amerikanische Festland treffen wird. Der Professor atmet tief durch und unkt, dass die Menschen im Collier County höchstwahrscheinlich von diesem Monstersturm verschont bleiben werden – das will ich doch hoffen.


Auch Katze Land informiert über den Sturm

13.30 Uhr Beschwingt durch stimmungsvolle WCKT CAT COUNTRY (löblich: Katze Land) Radiomusik setzen wir unsere Reise fort und rasen an den kleinen Nestern Bonifay, Chipley, Cottondale und Marianna vorbei. Ausserdem haben wir das Vergnügen, die verstreuten Seen des Ocheesee Ponds zu sehen, die von meterhohen Zypressen umwuchert sind – da kommt besonders grosse Freude auf.
14.30 Uhr Sechzig Minuten später erreichen wir unser Ziel und stellen wohlwollend fest, dass Tallahassee ein wunderschönes Städtchen mit vielen Einkaufsmöglichkeiten ist. Wir gleiten beeindruckt am Capitol vorbei und ringen uns dazu durch, das Wohnmobil vor dem “Museum of Florida History” abzustellen. Als wir aussteigen wollen, kommt jedoch ein Polizeibeamter daher und meint, dass hier das Parken verboten ist – wie unlöblich.
15.30 Uhr Letztendlich steuern wir ein “DAYS INN” Motel unweit der Universität an und mieten zwei Zimmer für die Nacht. Anschliessend schleppen wir das Reisegepäck ins erste Obergeschoss und brechen dann zu einem erquickenden Spaziergang ins Stadtzentrum auf.


Das Capitol

16.30 Uhr Bei schweisstreibenden 78°F (26°C) streben wir auf Schusters Rappen zum Capitol und sind überrascht, unzählige Touristen vor dem im Jahre 1976 erbauten Regierungsgebäude anzutreffen. Edelbert erhebt den Zeigefinger und erinnert, dass das Gebäude architektonisch bedeutend ist und längst in das “National Register of Historic Places” (löblich: Nationalregister der historischen Plätze) aufgenommen wurde – jaja.
17.30 Uhr Eisschleckend wandern wir weiter und finden uns alsbald im sogenannten “Smoky Hollow District” wieder. Wir beäugen schäbige Holzbaracken und erfahren, dass hier bis zu den frühen 1960er Jahren bettelarme Negerfamilien in menschenunwürdigen Zuständen gewohnt haben – wie traurig.


Der Smoky Hollow District in Tallahassee

18.30 Uhr Als der Stundenzeiger meiner ROLEX auf 5 zugeht, kehren wir in das “Harry’s Seafood Grille” Gasthaus an der South Bronogh Street ein und gönnen uns ein exquisites Abendessen. Wir ordern mit Käse überbackene Hähnchenschnitzel und trinken dazu süffigen Pinot Noire. Nebenher kommen wir mit den Gästen am Nachbartisch ins Plaudern und vernehmen, dass Herr und Frau DeLaney aus Lakeland, FL stammen und vor dem Hurrikan Irma in den Norden geflüchtet sind. Die 47jährige Dame zittert am ganzen Leib und kündigt an, dass der Sturm Übermorgen auf Florida treffen und Schäden in Milliardenhöhe anrichten könnte. Darüber hinaus hören wir, dass es schlauer wäre, bis zum Montag in Floridas Hauptstadt zu bleiben.


Prost

19.15 Uhr Redlichst gestärkt verlassen wir das Wirtshaus und vereinbaren während des Heimwegs, dass wir uns den Ratschlag zu Herzen nehmen und noch zwei Tage in Tallahassee bleiben sollten. Schlussendlich lassen wir den lauen Septemberabend bei einem kühlen Bier am Motelschwimmbecken ausklingen und rufen kurzerhand bei Frau Pontecorvo an. Als sich die Perle nach dem zweiten Tuten endlich meldet, lassen wir sie wissen, dass sie nicht vor Dienstagnachmittag mit uns rechnen kann. Die kleine Frau ist ganz aus dem Häuschen und entgegnet, dass sie sich heute im PUBLIX Supermarkt mit Lebensmittel eingedeckt hat und das Wochenende mit anderen Bürgern in der Mehrzweckhalle der örtlichen “High School” (löblich: Hochschule) verbringen wird – das ist sehr vernünftig.
20.00 Uhr Nach dem dritten Bier, verabschiede ich mich vom Professor und scheuche den Vierbeiner ins Zimmer, um mich kalt abzuduschen. Anschliessend fröne ich wissbegierig dem Nachrichtenprogramm auf FOX und bringe heraus, dass das “National Hurrican Center” den Tropensturm Irma mittlerweile von Gefahrenstufe 5 auf 4 herabgesetzt hat. Trotz alledem wird der Hurrikan voraussichtlich am Samstagmorgen in Kuba auf Land treffen und dann zur Südostküste der Vereinigten Staaten weiterziehen – wie furchtbar.
21.00 Uhr Nachdenklich beende ich den Fernsehabend und spreche zum Abschluss des langen Tages ein Gebet. Gute Nacht.