29. Juli 2015 – Pflegeonkel Reinhard

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08.00 Uhr Der 210. Tag des Jahres bricht an und ich fühle mich prima. Um nicht noch mehr Zeit zu vertrödeln, schwinge ich mich aus dem Bett und beschalle mein Zuhause mit stimmungsvollen “Spider Murphy Gang” Klängen. Danach absolviere ich auf der Terrasse die Morgengymnastik und freue mich, als der Milchmann zwei Behälter Kuhmilch vor die Haustüre stellt. Ich begrüsse Herrn Forrest herzlich und berichte, dass ich die letzten Wochen in Vermont verbracht habe – das war phantastisch.

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Ich war im Green Mountain National Forest

08.30 Uhr Wenig später kommt der verrostete Kleinwagen meiner Zugehfrau vor der kleinen Villa zum Stehen. Frau Gomez plappert in einer Tour und behauptet, dass die Hitze kaum auszuhalten ist. Ich gebe der Mexikanerin recht und verabschiede mich schnell in die Nasszelle, um mich bei einem Wirbelbad abzukühlen.
09.30 Uhr Nach dem Badespass setze ich mich an den Küchentisch und verzehre ein kleines Frühstück. Nebenher blättere ich in der Tageszeitung und lerne, dass morgen vor 40 Jahren der Gewerkschaftsführer Jimmy Hoffa spurlos verschwunden ist. Darüber hinaus erfahre ich, dass das örtliche Scherriffbüro in Zusammenarbeit mit dem “Child Welfare Service” (löblich: Jugendamt) immer noch nach Pflegefamilien für die Mädchen sucht, die am Wochenende aus den Fängen einer Sekte befreit werden konnten.
10.00 Uhr Nachdenklich lege ich die Morgenlektüre weg und komme zu dem Schluss, dass ein kleiner Nebenverdienst nicht schaden kann. Da ich finanziell keineswegs auf Rosen gebettet bin, greife ich kurzerhand zum Telefon und rufe im Scherriffbüro an. Als ich endlich mit Herrn Bradford verbunden wurde, komme ich auf den Bericht in der “Naples Daily News” zu sprechen und biete dem Ordnungshüter an, dass ich bereit wäre, gegen Bezahlung als Pflegeonkel zu fungieren. Der Scherriff hat jedoch nur Hohn und Spott für mich übrig und meint, dass mir das Jugendamt ganz bestimmt kein Kind anvertrauen wird – das ist ja allerhand.
10.30 Uhr Laut seufzend kehre ich in die Küche zurück und beauftrage Frau Gomez, die Spülmaschine auszuräumen und Wäsche zu waschen. Ferner stopfe ich einen Bündel Geldscheine in meine Hosentasche und gebe Dixon zu verstehen, dass wir nun “Bob’s Liqore Store” einen Besuch abstatten müssen.

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Meine schöne ROLEX

11.00 Uhr Als der Stundenzeiger meiner wertvollen ROLEX auf 11 zugeht, erreiche ich mein Ziel und parke den PS-strotzenden SUV direkt vor dem Alkoholgeschäft. Der Ladeninhaber freut sich über meinen Besuch und lässt es sich nicht nehmen, mich durch das Geschäft zu begleiten. Ich lade eine Kiste Erdinger Weissbier in den Einkaufswagen und entschliesse mich ausserdem, zwei Sechserpacks Budweiser zu erwerben.
11.30 Uhr Bei dieser Gelegenheit redet Herr Bob ohne Unterlass auf mich ein und beteuert, dass er in der letzten Woche mit zwei Kisten “Woodford Reserve Four Wood” beliefert wurde. Ich lege meinen Kopf schief und lerne, dass es sich hierbei um einen der besten Bourbons der Welt handelt. Mein Gegenüber schnalzt mit der Zunge und gibt mir zu verstehen, dass dieser Trunk viele Jahre in Eichenfässern gereift ist und mit blumigen Aromen überzeugen kann.
12.00 Uhr Schlussendlich ordere ich ein Fläschchen und erfahre, dass ich insgesamt knapp 200 Dollars bezahlen muss. Trotz aller Widrigkeiten lasse ich mir die gute Laune nicht verderben und laufe zum Auto zurück, um einen McDonalds Drive-Thru (löblich: Fahr Hindurch) Schalter anzusteuern.

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Ich beisse kraftvoll zu

12.45 Uhr Endlich bin ich wieder daheim und kann mich auf der Terrasse über einen vitaminreichen Double Pounder with Cheese (löblich: Doppelpfünder mit Käse), einen Southwest Salad (löblich: Südwest Salat), eine grosse Portion Fritten sowie einen XXL Becher braune Brause hermachen. Frau Gomez mustert mich skeptisch und stellt die Behauptung auf, dass Schnellessen ungesund ist – papperlapapp.
13.30 Uhr Im Anschluss schleppe ich die Getränke bei schweisstreibenden 82°F (28°C) ins Haus und nehme mir das Recht heraus, den Bourbon zu kosten. Ich feuchte meine Lippen mit dem feinen Maisbrand an und bemerke, dass Herr Bob nicht zu viel versprochen hat.
14.00 Uhr Nachdem sich Frau Gomez kopfschüttelnd verabschiedet hat, bette ich mich auf dem Sofa zur Ruhe und lege die Beine hoch. Nach wenigen Augenblicken döse ich ein und träume von meiner unterbelichteten Mieterin.
15.00 Uhr Ich öffne die Augen und registriere, dass Dixon die Terrassentüre aufgestossen und nach draussen gelaufen ist. Gähnend folge ich dem Rüden in den Garten und werde Zeuge, wie er sich mit Nachbarhund Joey um einen Tennisball streitet. Achselzuckend mache ich kehrt und nehme am Schreibtisch platz, um die Anschnurseelsorge zu erledigen. Im Posteingang stosse ich nicht nur auf Hilferufe besorgter Eltern, sondern auch auf eine Depesche meines Bruders. Georg schreibt, dass er sich immer noch am Lake Simcoe aufhält und täglich mit David auf den See hinausschippert, um dem Angelsport zu frönen – wie schön.
16.00 Uhr Nachdem ich besorgten Eltern Ratschläge erteilt habe, beende ich die Anschnursitzung und breche mit dem Haustier zu einem Spaziergang auf. Wir schlendern zum benachbarten La Playa Golfplatz und haben das Vergnügen, etliche Golfbälle im hohen Gras zu finden – da kommt besonders grosse Freude auf.

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Pizza – schmeckt auch nicht schlecht

17.00 Uhr Verschwitzt treffe ich zu Hause ein verfrachte eine Tiefkühlpizza in den Backofen. Während das italienische Nationalgericht aufbackt, rufe ich bei Edelbert an und erfahre, dass der gute Mann den ganzen Tag in seiner Stadtwohnung verbracht und Wäsche gewaschen hat. Der Professor gibt sich gestresst und meint, dass wir morgen an den Strand fahren sollten – dazu sage ich nicht Nein.
18.00 Uhr Nach dem Nachtmahl gehe ich zum gemütlichen Teil des Tages über und lasse mich neben dem Vierbeiner auf dem Kanapee nieder. Ich schaue mir hunddixonkraulend die Nachrichten an und informiere mich über den republikanischen Präsidentschaftsanwärter Jeb Bush.
19.00 Uhr Zur Hauptfernsehzeit wechsle ich auf den Premiumkanal HBO und gebe mich dem Abenteuerfilm “Rescue Dawn” des deutschen Filmemachers Werner Herzog hin. Die Erfolgsproduktion aus dem Jahre 2006 erzählt die Geschichte eines amerikanischen Kampfpiloten, der während des Vietnamkrieges über Laos abgeschossen wird.
21.00 Uhr Nach zwei nervenaufreibenden Stunden beende ich den Fernsehabend und trinke noch einen Bourbon. Danach lösche ich sämtliche Lichter und lege mich schlafen. Gute Nacht.