12. November 2013 – Frau Pontecorvo ist zurück

pfaffenbergkl

07.45 Uhr Ich erwache redlichst ausgeruht und mache es mir zur Aufgabe, auf der Terrasse die Morgengymnastik durchzuführen. Bei dieser Gelegenheit plaudere ich mit Herrn Booth und lerne, dass der Vietnamveteran gleich zum Terracina Grand Seniorenheim fahren wird, um Herr Rhodes zu besuchen. Ich schnalze mit der Zunge und bitte meinen Nachbarn, dem 92jährigen einen schönen Gruss auszurichten.

dixon

08.30 Uhr Nachdem ich Dixons zerzaustes Fell gebürstet habe, kehre ich in die Villa zurück und stelle die DeLonghi Kaffeemaschine ein. Danach verabschiede ich mich in die Nasszelle und entspanne mich bei einem Wirbelbad. Nebenher tippe ich Frau Pontecorvos Handtelefonnummer in die Schwarzbeere (unlöblich: Blackberry) und frage, ob meine Bekannte in Jacksonville ebenfalls den “Veterans Day” gefeiert hat. Die Dame stimmt zu und sagt, dass sie mit ihrer Freundin Blanche in der Innenstadt abgefeiert hat. Darüber hinaus kommt Frau Pontecorvo auf die Heimfahrt zu sprechen und beteuert, dass sie in Kürze losfahren wird – das soll mir Recht sein.
09.30 Uhr Just als der Minutenzeiger meiner ROLEX auf halb Zehn deutet, steige ich aus der Wanne und lasse den Vierbeiner wissen, dass wir den Vormittag nutzen müssen, um die Pflanzen im Nachbarhaus zu giessen. Zuvor setze ich mich jedoch an den Terrassentisch und lasse mir ein prima Frühstück schmecken.

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Meine kleine Villa im Willoughby Drive

10.15 Uhr Als das rote Kehrfahrzeug der Stadtreinigung durch den Willoughby Drive rollt, lege ich die Morgenlektüre zur Seite und laufe nach nebenan. Voller Elan stosse ich Frau Pontecorvos Pforte auf und bemerke, dass ein fauliger Geruch in der Luft liegt. Als ich in der Küche nach dem Rechten sehe, fällt mir auf, dass ich bei meinem letzten Besuch die Kühlschranktüre offen gelassen habe. Ich schlage die Hände über dem Kopf zusammen und stelle mit Schrecken fest, dass sämtliche Lebensmittel verdorben sind – wie furchtbar.
11.00 Uhr Nachdem ich die Waren in einen Müllbeutel verfrachtet habe, nehme ich Dixon an die Leine und laufe kopfschüttelnd zum CIRCLE K Markt an der Immokalee Road, um 57 Dollars in Milcherzeugnisse, kalifornischen Wein sowie vitaminreiche Wurstwaren zu investieren.
12.00 Uhr Pünktlich zur Mittagszeit bin ich wieder im Willoughby Drive und lasse mir auf der Terrasse meiner Nachbarin einen Schoppen Weisswein aus dem Nappa Valley munden. Dazu gibt es ein mit Schinken und Cheddarkäse belegtes Sandwich (löblich: belegtes Brot) – das tut gut.
12.45 Uhr Zu guter Letzt stelle ich die Klimaanlage höher und freue mich, nach Hause gehen und mich entspannen zu können. HEUREKA – diesen Stress hält nicht einmal der stärkste Rentner aus.
13.45 Uhr Leider wird die himmlische Ruhe zeitnah durch das Schellen meiner Schwarzbeere gestört. Zu allem Überfluss meldet sich Frau Pontecorvo und teilt mir mit, dass sie just im Moment Tampa passiert und in zweieinhalb Stunden daheim sein wird. Ich nicke eifrig und erwidere, dass ich das Wiedersehen kaum noch erwarten kann.
14.30 Uhr Um die Wartezeit sinnvoll zu überbrücken, nehme ich am Schreibtisch Platz und komme meinen Pflichten als Anschnurseelsorger nach. Ich rufe Briefe verzweifelter Heimseitenbesucher ab und sehe mich genötigt, einer Rentnerin aus Ulm zu helfen. Frau Elke F. (85) schreibt, dass ihr 62jähriger Sohn die Scheidung eingereicht hat und sich nun eine Ehefrau aus Thailand zulegen will. Ich mache grosse Augen und rate dazu, dem Heini ordentlich den Kopf zu waschen und ihn zu enterben – wo kämen wir denn da hin.
15.30 Uhr Nachdem ich weitere Briefe abgesendet habe, gehe ich von der Leine und trinke ein kühles Bier an der frischen Luft. Zudem schleudere ich einen Tennisball zum Teich und animiere Dixon, die Filzkugel zu apportieren.

thunfischpizza
Schmackhafte Pizzas für mich und Frau Pontecorvo

16.00 Uhr Wenig später komme Frau Pontecorvos schnittiger Sportwagen hupend vor meinem Haus zum Halten. Meine Nachbarin begrüsst mich herzlich und sagt, dass sie nicht nur Hunger, sondern auch grossen Durst aus Jacksonville mitgebracht hat. Ich lasse mich nicht zweimal bitten und mache mich daran, zwei TOMBSTONE Pizzas in den Backofen zu verfrachten. Ausserdem entkorke ich eine Flasche Schaumwein aus dem Hause Louis Roederer und stelle zwei Gläser bereit.
17.00 Uhr Während wir kraftvoll zubeissen, lässt meine Bekannte ihren Aufenthalt im hohen Norden Revue passieren. Unter anderem höre ich, dass die Dame am Donnerstag ein Konzert des örtlichen Symphonie Orchesters im “Times Union Center” besucht hat. Ich seufze laut und antworte, dass ich mir solche Luxusausflüge nicht leisten kann. Frau Pontecorvo blickt skeptisch drein und unterbreitet, dass ich stattdessen im grossen Apfel (unlöblich: Big Apple) abhänge und mich auf dem Münchner Oktoberfest amüsiere. Ich erhebe mahnend den Zeigefinger und stelle klar, dass man Forschungsreisen nicht mit Urlaubsreisen gleichsetzen kann.
17.45 Uhr Weil meine Nachbarin müde ist, verabschiede ich sie per Handkuss und wünsche ihr einen ruhigen Abend. Danach mache ich es mir champagnerschlürfend vor der Glotze bequem und schaue mir die Nachrichten auf FOX sowie eine lustige Spielschau an.

19.00 Uhr Zur besten Sendezeit gebe ich mich dem Programm von HBO hin und lasse die Seele bei der preisgekrönten Serie “Boardwalk Empire” baumeln. Ich tauche in das faszinierende Leben des Stadtkämmerers von Atlantic City ein und registriere, dass es Nucky Thompson faustdick hinter den Ohren hat – das ist ja allerhand.
21.00 Uhr Nach zwei nervenaufreibenden Episoden beende ich den Fernsehabend und rufe Dixon ins Haus. Anschliessend lösche ich sämtliche Lichter und falle gähnend ins Bett. Gute Nacht.