12. Juli 2013 – Tofu aus Sojamilch, Harvey Pekar und Melody aus dem grossen Apfel

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07.30 Uhr Ich werde durch das Schellen einer Fahrradklingel geweckt. Missmutig wische ich mir den Schlaf aus den Augen und erkläre Hund Dixon, dass ich gleich zum Revolver greifen und den Zeitungsjungen vom Drahtesel holen werde. HEUREKA – dieser Krach bringt mich noch ins Grab.
08.00 Uhr Trotz aller Widrigkeiten eile ich auf die Terrasse und führe bei schweisstreibenden 88°C (31°C) die Morgengymnastik durch. Bei dieser Gelegenheit tratsche ich mit Herrn Booth und erfahre, dass nächste Woche seine Nichte zu Besuch kommen wird. Der Vietnamveteran strahlt wie ein Honigkuchenpferd und behauptet, dass Melody (28) an der “Princeton University” Kunstgeschichte studiert hat und nun als Karikaturistin arbeitet. Ich zucke mit den Schultern und wünsche dem alten Mann einen schönen Tag.
09.00 Uhr Nach dem Badespass rufe ich den Vierbeiner in die gute Stube herein und verzehre das Frühstück. Nebenher telefoniere ich mit Amanda und höre, dass die jungen Leute wegen der Hitze nicht aus dem Haus gehen wollen. Ich stimme zu und erwidere, dass das schwüle Klima sogar den stärksten Rentner umhaut. Bevor ich auflege, verspreche ich dem Kind, dass ich gegen Mittag vorbeikommen und grossen Hunger mitbringen werde.
09.30 Uhr Weil gutes Aussehen in der heutigen Zeit sehr wichtig ist, kehre ich nach der wichtigsten Mahlzeit des Tages ins Bad zurück und schneide mir die Haare. Ich hantiere fachmännisch mit der Schere und freue mich, 15 Dollars gespart zu haben. Als leidgeprüfter Senior muss man in der heutigen Zeit einfach auf den Taler achten.
10.15 Uhr Nach fünfundvierzig Minuten beende ich mein Werk und stelle fest, dass an mir ein Frisörmeister verloren gegangen ist. Dixon mustert mich ganz genau und macht es sich zur Aufgabe, einen Tennisball zu apportieren. Ich streichle dem Racker über den Kopf und ermuntere ihn, im Garten weiterzuspielen.

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CHEVROLET – ein prima Autohersteller

11.00 Uhr Nachdem ich den Vierbeiner ausgebürstet habe, renne ich zum PS-strotzenden SUV und presche zum Eigenheim der Kinder. Da ich den jungen Menschen gerne unter die Arme greifen will, fahre ich kurzerhand einen CIRCLE K Supermarkt an und erwerbe Orangen, einen Klappstuhl, etliche Dosen Diät Coca Cola sowie weitere Produkte des täglichen Bedarfs. Danach setze ich die Ausfahrt fort und komme kurz vor dem Zwölfuhrläuten vor dem Ferienhaus zum Halten.
11.45 Uhr Amanda heisst mich herzlich Willkommen und sagt, dass sie ihre Kochkünste unter Beweis gestellt und Langnudeln mit Tofubällchen zubereitet hat. Weil ich sehr hungrig bin, leiste ich James und David (bald 8) am Küchentisch Gesellschaft und greife zu Messer und Gabel.

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Langnudeln mit Tofu

12.15 Uhr Ich beisse kraftvoll zu und bemerke, dass die Fleischeinlage hervorragend mundet. Amanda belehrt mich jedoch eines Besseren und beteuert, dass Tofu aus Sojamilch hergestellt wird. Ich verziehe sogleich mein Gesicht und lasse die Kinder wissen, dass Fleisch ein Stück Lebenskraft ist. Um weiteren Diskussionen aus dem Weg zu gehen, wechsle ich das Thema und spreche den für morgen geplanten Ausflug nach Marco Island an. David ist ganz aus dem Häuschen und sagt, dass er auf der Insel unbedingt seine neue Angel ausprobieren will – wie schön.
13.00 Uhr Als Nachspeise fährt die Dame des Hauses Eisbecher mit Sahne auf. Ich reibt mir den Bauch und stelle klar, dass wir gegen 10 Uhr losfahren und das “Historische Museum” der Stadt besichtigen sollten. Mein Neffe schnalzt mit der Zunge und sagt, dass er mich hinterher zum Mittagessen einladen wird – das ist phantastisch.
13.45 Uhr Wenig später wünsche ich den Kindern einen schönen Tag und trete die Heimfahrt an. Ich stelle die Klimaanlage auf die höchste Stufe und freue mich schon auf den Ausflug nach Marco Island.
14.30 Uhr Im Willoughby Drive angekommen, falle ich aufs Kanapee und gönne mir eine wohlverdiente Pause. Bereits nach wenigen Augenblicken döse ich ein und träume von James und Amandas Hochzeit im Mai 2004.
15.30 Uhr Weil Dixon ganz unruhig ist, öffne ich die Terrassentüre und halte den Rüden an, brav zu sein. Im Anschluss nehme ich am Schreibtisch Platz und registriere, dass ich keinen Zugriff auf das Internetz habe – wie unlöblich. Ich kombiniere messerscharf und entschliesse mich, am Verbindungskabel zwischen Heimrechner und Netzwerkgerät zu rütteln. Nach wenigen Sekunden erscheint die Startseite meines Internetzanbieters und ich kann ohne weitere Probleme die elektronische Post abrufen – wie schön.
16.00 Uhr Auch heute schufte ich hart und arbeite Hilferufe besorgter Erziehungsberechtigter ab. Frau Gisela S. aus München wendet sich mit schwerwiegenden Problemen an mich und schreibt, dass ihr Sohn Sören (16) dem Heckentauchen frönt und die Tujengewächse der Nachbarn zerstört hat. Ich fackle nicht lange und fordere die kleine Frau in meinem Antwortschreiben auf, den Buben mit Taschengeldentzug zu bestrafen – so kann es jedenfalls nicht weitergehen.
17.00 Uhr Nachdem alles abgearbeitet ist, gehe ich von der Leine und wende mich Dixon zu, der damit beschäftigt ist, ausgiebig mit einem Spielzeug zu quietschen. Ich streiche dem Vierbeiner über das krause Fell und erzähle ihm, dass wir morgen nach Marco Island fahren und unbeschwerte Stunden am Meer verbringen werden. Anschliessend studiere ich die Tageszeitung und informiere mich über die Geschehnisse im Collier County.
18.00 Uhr Ein nervenaufreibender Tag neigt sich langsam seinem Ende zu. Weil ich vom Mittagessen immer noch satt bin, verzehre ich lediglich ein Wurstbrot mit hauchdünn aufgeschnittenem Capocollo. Nebenher schaue ich fern und lerne, dass der amerikanische Autor Harvey Pekar just heute vor drei Jahren gestorben ist.

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Harvey Pekar – American Spendor

19.00 Uhr Zur besten Sendezeit wähle ich den im grossen Apfel (unlöblich: Big Apple) beheimateten Bezahlsender HBO aus und gebe mich dem abendfüllenden Spielfilm “American Spendor” hin, der das Leben des Harvey Pekar wiedergibt. Ich staune nicht schlecht und bringe in Erfahrung, dass der aus Cleveland stammende Künstler mit Comics (löblich: Strichmännchenzeichnungen) ein Vermögen angehäuft hat – wie aufregend.
21.00 Uhr Als der Abspann läuft, beende ich den Fernsehabend und gehe müde ins Bett. Gute Nacht.