07.45 Uhr Die 23. Woche des Jahres beginnt und ich fühle mich redlichst ausgeruht. Weil Morgenstund’ bekanntlich Gold im Mund hat, hüpfe ich aus dem Bett und rufe im Ferienhaus meiner Verwandten an. Ich fackle nicht lange und erkundige mich, ob mir die lieben Menschen beim Frühstück Gesellschaft leisten wollen. Georg willigt ein und entgegnet, dass er gegen 10 Uhr im Willoughby Drive sein wird – das ist phantastisch.
08.45 Uhr Kurz vor dem Neunuhrläuten beende ich den Badespass und breite eine farbenfrohe Tischdecke auf dem Terrassentisch aus. Ferner hole ich das Porzellangeschirr hervor und backe Semmeln im Ofen auf.
09.30 Uhr Wenig später werde ich auf Frau Pontecorvo aufmerksam, die gerade damit beschäftigt ist, Unkraut zu jäten. Ich winke der Guten zu und informiere, dass Georg und Maria vorbeikommen wollen. Meine Nachbarin nickt eifrig und entgegnet, dass sie noch nicht gefrühstückt hat. Ich schenke der kleinen Frau ein Lächeln und unterbreite, dass sie natürlich auch eingeladen ist.
10.00 Uhr Pünktlich auf die Minute klingelt es an der Pforte und wir können Maria und Georg herzlich begrüssen. Weil es angenehm kühl ist, nehmen wir die Mahlzeit im Freien ein und plaudern über Dies und Das. Georg tippt auf die Tageszeitung und berichtet, dass ein aus Tampa stammenden Rentner am Wochenende 44 Millionen Dollars im Lotto gewonnen hat. Meine Schwägerin mache grosse Augen und erinnere daran, dass sich bereits am 19. Mai ein anderer Heini über 590 Millionen beim Powerball Lotto freuen durfte. Frau Pontecorvo nippt genüsslich am Kaffeebecher und sagt, dass der 57jährige mit seinen Glückszahlen voll ins Schwarze getroffen hat – wie wahr.
10.45 Uhr Während wir kraftvoll zubeissen, mache ich mir meine eigenen Gedanken und lasse meine Tischnachbarn wissen, dass ich mit einem stattlichen Millionenvermögen weitere Immobilien kaufen würde. Um den Anwesenden einen Einblick zu gewähren, segle ich mit dem iPad auf die Immobilienheimseite realtor.com und erörtere, dass es im grossen Apfel (unlöblich: Big Apple) wunderschöne Eigentumswohnungen gibt. Mein Bruder kann sich ein Lachen nicht verkneifen und sagt, dass die monatlichen Belastungen kaum zu stemmen sind. Bevor ich antworten kann, schnappt sich mein Bruder das iPad und wählt ein 12 Millionen Dollars teures Objekt direkt am Zentral Park aus. Ich staune nicht schlecht und lerne, dass der Wohnungseigentümer jeden Monat ein zusätzliches Hausgeld in Höhe von 3.700 Dollars abführen muss – wie unlöblich.
11.45 Uhr Just als Hund Dixon kopfüber in den künstlich angelegten Teich hüpft, spähe ich preiswerte Immobilien in Las Vegas aus und bemerke, dass man vor den Toren der Spielerstadt weitläufige Pferdefarmen findet. Georg mustert mich skeptisch und behauptet, dass ich gar nicht reiten kann – papperlapapp.
12.30 Uhr Nachdem wir französischen Sprudelsekt getrunken haben, begleite ich meine Verwandten zum JEEP. Bei dieser Gelegenheit höre ich, dass Georg am Abend einen Tisch im renommierten “L’Angolo” an der 5th Avenue reserviert hat – das soll mir auch Recht sein.
13.15 Uhr Während Dixon im Garten bleibt, ziehe ich mich in die gute Stube zurück und bette mich zur Ruhe. Nach wenigen Atemzügen schlummere ich ein und sehe mich im Traum auf einen lustigen Bauernhof in Nevada versetzt.
Ich träume von Nevada
14.15 Uhr Leider wird die Ruhe bald durch aggressives Telefonschellen unterbrochen. Zu allem Überfluss meldet sich Edelbert und erzählt, dass er Frau Brandie Cream zum Abschoppen begleiten wird. Der Professor lässt nicht locker und fordert mich auf, kurzerhand nach Fort Myers mitzukommen. Ich winde mich geschickt aus der Verantwortung und flunkere, dass ich bei meinen Verwandten eingeladen bin. Edelbert seufzt laut und sagt, dass wir uns dann morgen in Julies Restaurant treffen könnten – das soll mir Recht sein.
15.00 Uhr Um die Nachmittagsstunden nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, brühe ich frischen Bohnentrunk auf und nehme am Schreibtisch Platz. Mit flinken Fingern navigiere ich durchs Internetz und kümmere mich um die Anschnurseelsorge. Ich schufte hart und rate einer Mutter aus Köln, ihrem Sohn das Haschgiftrauchen zu verbieten. Wie jeder weiss, führt der Konsum von harten Drogen zwangsläufig zum Gehirnbrand – wie furchtbar.
16.00 Uhr Zu guter Letzt schalte ich die Einträge im Gästebuch frei und gehe dann von der Leine. HEUREKA – diesen Stress hält nicht einmal der stärkste Rentner aus. Weil sich Dixon mit wedelnder Rute an der Haustüre eingefunden hat, schnappe ich mir die Leine und unternehme einen Spaziergang zum “Circle K” Supermarkt. Unterdessen werfe ich dem Rüden Stöckchen zu und summe die Melodie von George Straits Hitparadenerfolg “Marina del Rey”.
16.45 Uhr Ich betrete das Geschäft und nehme mir das Recht heraus, bei der wöchentlichen Powerball Lottoziehung teilzunehmen. Fachmännisch kreuze ich meine Lieblingszahlen an und vergesse auch nicht, meine Anschrift preiszugeben. Im Anschluss überreiche der netten Dame an der Registrierkasse sieben Scheine und gebe zu Protokoll, dass ich vielleicht schon in sechs Tagen ein waschechter Millionär sein werde – wie aufregend.
17.30 Uhr Zuhause angekommen, schlüpfe ich aus den Kuhjungenstiefeln und bereite das Abendessen zu. Ich schwenke Buttergemüse in der Pfanne und brate ausserdem ein kleines Schnitzel an – wie gut das duftet.
18.15 Uhr Nachdem ich gegessen und in der Küche für Sauberkeit gesorgt habe, beginnt der ruhige Teil des Tages. Ich mache es mir im Wohnzimmer bequem und fröne den FOX NEWS (löblich: Fuchs Nachrichten).
19.00 Uhr Zur besten Sendezeit wähle ich den Qualitätssender AMC aus und gebe mich dem Zukunftsfilm “Universal Soldiers” mit Jean Claude Van Damme und Dolph Lundgren hin. Nebenher verzehre ich LAYS Kartoffelchips und komme aus dem Lachen gar nicht mehr heraus. HEUREKA – diesen Unsinn muss man gesehen haben.
21.00 Uhr Nach zweistündiger Langeweile schalte ich entnervt ab und drehe mit Dixon eine kleine Runde durch den Garten. Danach lösche ich das Licht und lege mich ins Bett. Gute Nacht.