07.30 Uhr Ich erwache ausgeschlafen und verspüre ein eigenartiges Ziehen im linken Bein. Zu allem Überfluss schmerzt auch mein Rücken und ich habe Schwierigkeiten, mich aus dem Wasserbett zu rollen.
08.15 Uhr Nachdem es mir unter grösster Kraftanstrengung doch gelungen ist, mich anzuziehen, schleppe ich mich zum Nachbarhaus. Frau Pontecorvo öffnet besorgt die Pforte und sagt, dass mit einem Hexenschuss nicht zu spassen ist – wie unlöblich.
09.00 Uhr Just als ich in den Chevrolet einsteigen möchte, kommt Herr Jeffrey (45) daher und meint, dass ich in meinem Zustand nicht Autofahren sollte. Ich wende mich dem Langhaarigen zu und gebe wild gestikulierend zu Protokoll, dass ich Schmerzen habe und ins Krankenhaus fahren muss. Der Gammler beruhigt mich redlichst und erwidert, dass er nicht nur ein erfolgreicher Schriftsteller, sondern auch ein staatlich geprüfter Heilpraktiker ist. Bevor ich reagieren kann, packt mich Herr Jeffrey an der Schulter und plappert davon, dass ich an einem eingeklemmten Ischiasnerv leide. Zu allem Überfluss zerrt der Depp an meinem Arm und macht es sich zur Aufgabe, die Verspannung mit einem kräftigen Ruck zu lösen. Ich schreie wie am Spiess und bemerke nach wenigen Augenblicken, wie der Schmerz nachlässt.
09.45 Uhr Während ich tief einatme, erhebt Herr Jeffrey den Zeigefinger und macht mich darauf aufmerksam, dass man in meinem Alter täglich Sport treiben sollte. Ich stimme zu und informiere, dass ich jeden Morgen mehrere Purzelbäume schlage. Mein Gegenüber rollt demonstrativ mit den Augen und sagt, dass es schlauer wäre, Fahrrad zu fahren und/oder zu schwimmen. Trotz der Widerworte reiche ich Herrn Jeffrey die Hand und bedanke mich.
10.30 Uhr Danach folge ich Frau Pontecorvo ins Haus und rege ein gemeinsames Frühstück an. Meine Nachbarin ist begeistert und brüht prompt frischen Bohnenkaffee auf – wie gut das duftet.
Ein Becher Kaffee / Bild: Nevit Dilmen / CC BY-SA 3.0
11.00 Uhr Als wir Rühreier mit Speck verzehren, bimmelt plötzlich das Handtelefon. Ich halte mir das NOKIA Telefon ans Ohr und freue mich, Georgs Stimme zu hören. Mein Bruder wünscht mir einen schönen Morgen und erzählt, dass er mit Maria nach Cape Coral gefahren ist, um eine Kunstgalerie zu besichtigen. Weiter erfahre ich, dass meine Verwandten eventuell ein Ölgemälde kaufen werden. Ich komme aus dem Nörgeln gar nicht mehr heraus und entgegne, dass ich am Morgen Rückenschmerzen hatte. Georg gibt sich kurzangebunden und kündigt an, mich morgen um 10 Uhr zum Frühstück in Julies Restaurant auszuführen.
12.00 Uhr Pünktlich zum Mittagsläuten beenden wir die wichtigste Mahlzeit des Tages. Ich strecke mich ausgiebig und lasse Frau Pontecorvo wissen, dass ich nun nach Hause gehen und mich etwas entspannen werde.
12.30 Uhr Während Dixon im Garten zurückbleibt, um mit seinen Spielzeugen zu quietschen, strecke ich im Wohnzimmer die Beine aus und döse bald ein.
13.30 Uhr Als ich von meiner spannenden Kulturreise nach Puerto Rico träume, wird mein Müssiggang durch ohrenbetäubendes Türeklingeln gestört. Ich öffne schwungvoll die Pforte und kann Edelbert recht herzlich in meiner kleinen Villa begrüssen. Der gute Mann schleppt mehrere Einkaufstüten in die Wohnstube und sagt, dass er Lebensmittel für unsere anstehenden Appalachian Trail Wanderung besorgt hat.
14.00 Uhr Zu allem Überfluss breitet mein Bekannter diverse Tütensuppen, Trockenfleisch und Käsekräcker auf dem Tisch aus und setzt mich darüber in Kenntnis, dass wir unsere Rucksäcke mit jeweils fünf Kilos Verpflegung befüllen müssen. Ich blicke skeptisch drein und erkläre, dass wir auf alle Fälle gesunde T-Knochen Schnitzel und frisches Obst mit auf die Wanderschaft nehmen sollten.
14.30 Uhr Während ich die futuristische Kaffeemaschine in Betrieb nehme, versorgt mich der Professor mit Infos und beteuert, dass in den “Great Smoky Mountains” wilde Tiere leben, die es womöglich auf das Fleisch abgesehen haben. Edelbert schüttelt den Kopf und sagt, dass wir auf keinen Fall Schnitzel mitführen werden – wie furchtbar.
15.00 Uhr Ich lasse mich kaffeeschlürfend auf der Terrasse nieder und bin mir sicher, dass es kein Vergnügen werden wird, tagelang durch die Wildnis zu irren. Edelbert will jedoch nicht hören und sagt, dass es nun kein Zurück mehr gibt – wie schade.
15.45 Uhr Nachdem sich Prof. Kuhn verabschiedet hat, setze ich mich an den Schreibtisch und segle auf die Wetterheimseite wunderground.com. Mit wenigen Mausbewegungen verschaffe ich mir einen Überblick und bringe in Erfahrung, dass in den Great Smoky Mountains noch immer tiefster Winter vorherrscht. Ich lege meine Stirn in Falten und lese, dass die Temperaturen erst in zwei Wochen über die 50°F (10°C) Grenze klettern werden.
Great Smoky Mountains National Park
16.30 Uhr Im Anschluss komme ich meinen Pflichten als Anschnurseelsorger nach und rate leidgeprüften Erziehungsberechtigten, mit der gewaltbereiten Jugend nicht zu zimperlich umzugehen.
17.30 Uhr Als der Minutenzeiger meiner wertvollen ROLEX auf halb Sechs deutet, beende ich die Anschnurarbeit und zaubere im Handumdrehen ein nahrhaftes Abendessen. Voller Vorfreude lasse ich mich im Wohnzimmer nieder und verzehre in Hund Dixons Gesellschaft köstliche Langnudeln mit Pesto – das schmeckt.
18.15 Uhr Nach der Hausarbeit beginnt der ruhige Teil des nervenaufreibenden Tages. Ich geniesse den Feierabend im klimatisierten Wohnzimmer und schaue mir die FOX NEWS (löblich: Fuchs Nachrichten) an. Danach wähle ich den Bezahlsender HBO aus und gebe mich den Abenteuern des Indiana Jones hin, der an der Seite seines Vaters den “heiligen Gral” sucht und schlussendlich auch findet – diesen Unsinn muss man gesehen haben.
21.00 Uhr Kopfschüttelnd betätige ich den “OFF” (löblich: AUS) Knopf auf der neumodernen Fernbedienung und unternehme mit Dixon einen Rundgang durch den Garten. Anschliessend verschliesse ich die Türen besonders sicher und lege mich nachdenklich schlafen. Gute Nacht.