01.07.2008
07.00
Uhr Der erste Julitag beginnt und ich öffne laut gähnend die Augen. Wie
es sich für einen sportbegeisterten Rentner gehört, stehe ich
unverzüglich auf und führe unter der aufgehenden Sonne die wichtige
Morgengymnastik durch. Während ich meine eingerosteten Muskeln
redlichst stähle und eine Rolle vorwärts mache, späht Herr Wang über
den Zaun und setzt mich darüber in Kenntnis, dass er heute im Hotel
arbeiten und erst gegen Abend wiederkommen wird. Um meinem Nachbarn
eine kleine Freude zu bereiten, verspreche ich ihm, gegen halb sechs
den Grill anzuheizen und feinste T-Knochen Schnitzel vorzubereiten -
das gibt ein Festessen. 07.30 Uhr Nachdem ich die Zeitung aus dem
Vorgarten gefischt und frischen Bustelo Kaffee aufgesetzt habe,
entspanne ich mich bei einem löblichen Wirbelbad und lausche dem
Kurzwellenprogramm des Bayerischen Rundfunks. Unter anderem erfahre
ich, dass in meiner alten Heimat heute der "Tag der Franken" mit einem
grossen Fest im unterfränkischen Miltenberg begangen wird - wie
lächerlich. Der "Tag der Franken" geht auf einen Beschluss des
Bayerischen Landtages vom Mai 2005 zurück und soll an die Aufteilung
des heiligen römischen Reiches erinnern. Der im Jahre 1500 gegründete
"Fränkische Reichskreis" nahm bis zum Jahre 1806 gemeinschaftliche
Aufgaben wie das Münzwesen, die Sicherung des Landfriedens oder die
Stellung von Truppen für die Reichsarmee innerhalb der deutschen
Grenzen wahr. "In diesem Jahr geht es aber weniger um die Geschichte,
sondern vielmehr um Frankens Gegenwart und Zukunft", betonte
Bezirkstagspräsident Erwin Dotzel anlässlich einer Podiumsdiskussion in
Würzburg - diesen Unsinn muss man gehört haben. Anstatt die Sektkorken
knallen zu lassen, sollten die Leute endlich zur Löblichkeit finden und
erkennen, dass Franken die höchste Arbeitslosenquote in ganz Bayern
vorzuweisen hat und kaum in der Lage ist, den immensen Schuldenstand
seiner Städte und Gemeinden abzubauen - wo soll das nur hinführen.
08.30 Uhr Trotz allem lasse ich mir die gute Laune nicht verderben und
werfe mich sauber in Schale. Anschliessend eile ich cowboybehütet zum
verstaubten JEEP und fahre gemächlich in Richtung Julies Restaurant
davon. Während der kurzweiligen Ausfahrt auf der Vanderbilt Beach
Strasse, komme ich rasch zu dem Schluss, dass ich in den nächsten Tagen
unbedingt eine Tankstelle aufsuchen und eine gründliche Wagenwäsche
durchführen lassen muss - schliesslich sind Ordnung und Sauberkeit in
der heutigen Zeit ganz besonders wichtig.
09.00 Uhr Nach wenigen Minuten treffe ich vor dem einladenden Gasthaus
ein und kann mein PS-strotzendes Kraftfahrzeug sicher abstellen. Da ich
sehr hungrig bin, nehme ich unverzüglich an meinem Stammtisch am
Fenster platz und gebe bei Bedienung Peggy (45) eine Tasse Kaffee sowie
ein Frühstück, bestehend aus gebutterten Weissbrotscheiben (unlöblich:
Toast), Rühreiern mit Speckstreifen, gegrillten Tomatenscheiben und
knusprigen Frühstückskartoffeln in Auftrag. Während ich kraftvoll
zubeisse, plaudere ich mit der Kellnerin über dies und das und gebe zu
Protokoll, dass ich ab November in Naples einen Neuanfang wagen und
dann öfter hierher kommen werde. Die gute Frau freut sich sehr und
erzählt, dass sie ursprünglich aus dem US-Bundesstaat Connecticut
stammt und erst vor fünf Jahren in den Süden gezogen ist, um unter
Palmen ebenfalls ein neues Leben zu beginnen - das ist phantastisch.
09.30 Uhr Als ich etwas Bohnentrunk nachgeschenkt bekomme und von
meinem Traumhaus am Willoughby Drive schwärme, schnalzt Frau Peggy
anerkennend mit der Zunge und behauptet, dass in der gleichen Strasse
auch der ehemalige Fernsehstern Wayne Gregor sein neues Zuhause hat. Da
ich diesen Namen noch nie gehört habe, frage ich genauer nach und
bringe in Erfahrung, dass besagter Herr in den 1970er Jahren als
Moderator der landesweit ausgestrahlten Kochsendung "Cookie-Tales"
(löblich: Plätzchengeschichten) fungierte - wie interessant.
Zungeschnalzend reibe ich mir die Hände und erwidere, dass es nicht
schaden kann, einen weltbekannten Koch in der Nachbarschaft zu haben.
10.15 Uhr Gutgelaunt bezahle ich die Rechnung in Bar und rase ohne
Umwege zum Willoughby Drive, um mich etwas umzusehen und die Gegend zu
erkunden. Neugierig passiere ich unzählige Prachtbauten und staune
nicht schlecht, als plötzlich ein wild gestikulierender Heini auf die
Fahrbahn rennt. Ich lasse die Scheibe nach unten gleiten und erinnere
mich, dass mich der widerspenstige Rentner (90) schon bei meinem
letzten Besuch an der Weiterfahrt hindern wollte. Um für klare
Verhältnisse zu sorgen, teile ich dem Glatzkopf unmissverständlich mit,
dass ich mir in dieser Gegend ein Grundstück gekauft
habe und ab November im Haus von Frau Rabkin wohnen werde. Der Heini
mustert mich ganz genau und greift zu einem Notizblock, um sich meine
Angaben zu notieren. Wenig später streckt er mir seine Hand entgegen
und sagt, dass er bei seiner Tochter im Haus dort drüben wohnt und mich
herzlich Willkommen heisst - das soll mir auch Recht sein.
Kopfschüttelnd trete ich aufs Gaspedal und setze meine Erkundungsfahrt
fort. HEUREKA - dieses wunderschöne Wohngebiet muss man einfach gesehen
haben. 10.45 Uhr Nachdem ich einen genaueren Überblick erhalten
habe, steuere ich zielsicher das Haus von Frau Rabkin an und erfreue
die nette Dame mit einem Überraschungsbesuch. Die zuvorkommende Frau
bittet mich ohne zu zögern auf die fliegenvergitterte Terrasse und
berichtet, dass sie gerade Pläne für ihren Umzug nach Chicago
geschmiedet hat - wie aufregend. Ausserdem kredenzt sie mir ein
Gläschen Schaumwein und sagt, dass sie mittlerweile Nägel mit Köpfen
gemacht und ihren Abschied aus dem Sonnenscheinstaat auf den 21.
Oktober gelegt hat. Als ich mir mehr Infos erbete, plappert die Gute
munter weiter und meint, dass sie für Mitte September einen
Umzugscontainer bestellt hat und sämtliche Habseligkeiten nach Chicago
schaffen wird. Laut seufzend bringe ich meinen Umzug aus Bayern ins
Spiel und gebe vor, dass diese Prozedur bestimmt kein Kinderspiel wird.
Gott sei Dank kann ich wenigstens auf ein komplett eingerichtetes Haus
zurückgreifen und muss lediglich meine persönlichen Habseligkeiten mit
nach Florida nehmen.
11.15 Uhr Im weiteren Verlauf der Unterhaltung bestätigt Frau Rabkin,
dass in der Nachbarschaft einige bekannte Persönlichkeiten wohnen. Wenn
man den Ausführungen Glauben schenken kann, soll nicht nur der
international anerkannte Fernsehkoch Wayne Gregor, sondern auch eine
ehemalige olympische Eiskunstläuferin sowie ein pensionierter und
hochdekorierter US-General hier Häuser besitzen - wie interessant. Laut
räuspernd melde ich mich zu Wort und gebe Frau Rabkin zu verstehen,
dass es eine grosse Ehre ist, zwischen solchen Persönlichkeiten leben
zu dürfen. Anstatt mir Recht zu geben, winkt mein Gegenüber nur ab und
meint, dass es sich bei diesen Herrschaften auch nur um ganz normale
Leute handelt.
11.45 Uhr Nach dem zweiten Glas Crystal aus dem Hause Louis Roederer
verabschiede ich mich redlichst und schlendere zum JEEP zurück.
Radiohörend stelle ich den Wählhebel der Automatikschaltung auf "D" und
kruse gemächlich in den Lowbank Drive zurück. Während der kurzen Fahrt
greife ich spontan zur Schwarzbeere (unlöblich: Blackberry) und lasse
es mir nicht nehmen, Sandra
über die aufregenden Neuigkeiten in Kenntnis zu setzen. Als ich auf
Wayne Gregor zu sprechen komme, lacht meine Untermieterin frech und
gibt vor, mit diesem Namen nichts anfangen zu können. An diesem
Beispiel sieht man anschaulich, dass Sandra überhaupt keine Ahnung hat
- wie schade. Zudem fällt mir das Kind ins Wort und erzählt, dass es
gerade seinen Koffer packt und morgen Abend in Gesellschaft von
Michaela und Bärbel nach Bangkok ausfliegen wird - wie unlöblich.
Sandra schwärmt in den höchsten Tönen und kündigt grossspurig an, die
Hauptstadt fünf Tage besichtigen und anschliessend per Inlandsflug auf
die Inselgruppe Ko Phi Phi vor der Westküste von Süd-Thailand
weiterreisen zu wollen. Um die Maid nicht noch länger aufzuhalten,
wünsche ich viel Vergnügen und rate ihr, unter keinen Umständen zu
Unbekannten ins Auto zu steigen - in der heutigen Zeit kann man einfach
nicht vorsichtig genug sein.
12.30 Uhr Zuhause angekommen, schiebe ich eine vitaminreiche Tiefkühlpizza aus dem
WINN DIXIE Einkaufsmarkt
ins Rohr und zaubere nebenbei einen knackigen Salat mit Tomaten,
vitaminreichen Zwiebelringen, lustigen Maiskörnern und echtem Olivenöl
- wie gut das duftet. 13.00 Uhr Nach knapp dreissig Minuten kann
ich mich an den Wohnzimmertisch setzen und mir das löbliche Mittagessen
schmecken lassen. Während ich aus dem Zungeschnalzen gar nicht mehr
herauskomme, lausche ich der stimmungsvollen Alan Jackson
Kompaktscheibe "Good Times" (löblich: Gute Zeiten) und fühle mich
hervorragend.
13.30 Uhr Nachdem ich die Küche auf Vordermann gebracht und die TRANE
Klimaanlage auf angenehme 70°F eingestellt habe, nehme ich entspannt
auf dem Sofa platz und freue mich auf eine wohlverdiente Mittagpause.
Schon bald döse ich ein und träume von meinem letzten Aufenthalt in Toronto.
14.30 Uhr Ich erwache ausgeschlafen und schenke mir ein grosses Glas
Dr. Pepper Brause ein. Danach nehme ich donutverzehrend am Heimrechner
platz und widme mich der wichtigen Anschnurarbeit. Als erstes lösche
ich unsinnige Werbedepeschen für Viagra, gewaltverherrlichende Heimrechnerspiele und anderen Müll, um dann ernstgemeinte
Anfragen besorgter Menschen
zu studieren. Unter anderem stosse ich auf das Schreiben eines
68jährigen Rentners aus Berlin und lese, dass der gute Mann von
gewaltbereiten Nachbarskindern terrorisiert wird - wie furchtbar. Wenn
man den Aussagen Glauben schenken kann, sollen sich die Kleinen (11,
12) täglich vor dem Eigenheim des Pensionisten einfinden und ohrenbetäubende Punkmusik
spielen. Da man sich nicht alles gefallen lassen darf, rate ich dem
armen Mann, beim nächsten Mal die Polizei zu benachrichtigen und
Katharina Saalfrank einzuschalten. 15.15 Uhr Kopfschüttelnd setze
ich die Beratungsstunde fort und empfehle einer Mutter aus Düsseldorf,
ihren Sohn Patrick (13) auf die Gefahren des täglichen Schnellessens
aufmerksam zu machen. Schliesslich kann es nicht sein, dass der Bube
ständig ins McDonalds Gasthaus wandert und Weicheis, Käseburger und
Hühnerklumpen am laufenden Band verzehrt.
16.00 Uhr Bevor ich von der Leine (unlöblich: offline) gehe, prüfe ich noch schnell die aktuellen Einträge im
elektronischen Gästebuch
und freue mich über die Botschaften freundlicher Heimseitenbesucher -
wie schön. Als nächstes schenke ich mir ein weiteres Glas Dr. Pepper
Brause ein und lasse es mir im Stehen in der Küche munden - das tut gut. 16.30 Uhr Just als ich auf dem Sofa platz
nehme und laut ächzend die Füsse ausstrecke, werde ich durch lautes
Telefonklingeln gestört - wie unlöblich. Trotzdem nehme ich den Hörer
ab und vernehme Herrn Wangs
Stimme in der Leitung. Der gute Mann kommt sofort auf den Grund seines
Anrufs zu sprechen und gibt zu Protokoll, dass es in seinem Old Town
Hotel drunter und drüber geht und er dringend Hilfe benötigt. Nachdem
ich meinen Nachbarn scherzhaft auf das örtliche Arbeitsamt verwiesen
habe, beruhige ich ihn redlichst und stelle klar, dass man sich auf
mich verlassen kann und dass ich gleich in Richtung Hotel aufbrechen
werde. 16.45 Uhr Cowboybehütet verlasse ich das Ferienhaus und
setze mich in den JEEP, um mit quietschenden Reifen in die Innenstadt
zu fahren. Als ich auf der Vanderbilt Beach Road gen Westen presche,
drehe ich das Fenster herunter und lasse mir zu den Klängen einer Clint
Black Kompaktscheibe den Wind durchs Haar wehen - das nenne ich
Lebensqualität. 17.15 Uhr Im Hotel
angekommen, finde ich Herrn Wang in der Eingangshalle vor und erkenne
schnell, dass der Mann ziemlich gestresst ist. Selbstverständlich
erkundige ich mich umgehend nach dem Rechten und bringe in Erfahrung,
dass sich etwa 25 Versicherungsvertreter im Tagungsraum befinden und in
zwei Stunden Snacks und Getränke haben wollen. Weiter höre ich, dass
der gebuchte Feierdienst (unlöblich: Partyservice) vor einer Stunde
absagen musste und Mitarbeiterin Linda nach einem Schwächeanfall nach
Hause gegangen ist - wie schrecklich. 17.30 Uhr Trotz allem lassen wir uns
nicht klein kriegen und krempeln die Ärmel hoch. Während Herr Wang zum
Supermarkt rast und Lebensmittel besorgt, gehe ich in die Küche im
Keller und beginne, den grossen Kühlschrank mit diversen
Getränkeflaschen aus dem Lager zu befüllen sowie Silbertabletts für die
Brotzeit vorzubereiten. Zwischendurch eile ich immer wieder zur
verwaisten Rezeption und sehe dort nach dem Rechten. HEUREKA - dieser
Stress haut den stärksten Rentner um. 18.00 Uhr
Endlich kommt Herr Wang tütenbepackt zurück und erklärt, dass wir jetzt
improvisieren und köstliche Sandwiches mit Schinken, Salami, Thunfisch-
und Eiersalat sowie Käse und Salatblättern zubereiten werden. Bei
dieser Gelegenheit legen wir noch einige Flaschen Weisswein ins
Kühlfach und erkennen beim Blick auf die Uhr, dass wir jetzt in die
Gänge kommen sollten.
18.30 Uhr Als Herr Wang bereits die ersten Tabletts mit belegten Broten
bestückt greife ich kurzerhand zu und versuche ein Salami-Käse
Sandwich. In meiner Funktion als Feinschmecker lobe ich Herrn Wang für
diese Kreation und gebe zu Protokoll, dass das Sandwich die
Qualitätskontrolle bestanden hat - das ist super trouper. 19.00 Uhr Weil die
Versicherungsheinis im Tagungsraum jetzt Pause machen und nach einer
Brotzeit verlangen, tragen wir die Tabletts nach oben und vergessen
auch nicht, jede Menge Getränke mitzunehmen. Da ich selbst Hotelier bin
und eine erfolgreiche Pension
betreibe, weiss ich mit Gästen umzugehen und mache die Leute darauf
aufmerksam, dass diese Sandwiches hausgemacht sind und ganz besonders
hervorragend schmecken. Ein junger Tagungsteilnehmer im Anzug gibt mir
Recht und bittet mich sogar, ihm etwas Weisswein nachzuschenken - wie
schön. 19.45 Uhr Nachdem die Versicherungsleute die
Brotzeit beendet haben und ihre Veranstaltung fortsetzen, ziehen wir
uns an die Rezeption zurück und können kaum glauben, dass alles so gut
gelaufen ist. Herr Wang wischt sich den Schweiss von der Stirn und
sagt, dass dieser Abend ohne meine Hilfe in einer Katastrophe geendet
hätte - wie wahr. 20.30 Uhr Als mein Nachbar versichert, dass er
jetzt alleine zurecht kommt, verabschiede ich mich redlichst und mache
mich schnurstracks auf den Heimweg. Auf der Fahrt in Richtung Lowbank
Drive beisse ich genüsslich in ein Eiersalatsandwich und freue mich,
dass ich Herrn Wang helfen konnte. Aber das beweist wieder einmal, dass
es heutzutage ohne erfahrene Rentner einfach nicht geht.
21.15 Uhr Daheim angekommen, entledige ich mich sofort meiner Kleidung
und setze zu einem waghalsigen Sprung ins kühle Nass des Schwimmbeckens
an - das tut gut. 21.45 Uhr Redlichst erfrischt, gehe ich ins
Haus und unternehme einen letzten Rundgang. Nachdem ich sämtliche
Fenster und Türen sicher verriegelt habe, gehe ich erschöpft ins Bett
und schlafe schon bald ein. Gute Nacht.
verfasst
von Reinhard Pfaffenberg am 01.07.2008
©
Reinhard Pfaffenberg |
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