Reinhard Pfaffenbergs löbliches Tagebuch Archiv

 

 

28.06.2008

07.00 Uhr Mein Radiowecker geht an und weckt mich mit wunderschöner Kenny Chesney Musik. Beschwingt von "Don't Blink" (löblich: Nicht blinken) hüpfe ich aus den Federn und erkenne beim Blick auf meine Schwarzbeere (unlöblich: Blackberry), dass Georg und Maria bereits morgen nach Toronto ausfliegen werden - wie schade. Trotz allem lasse ich mir die gute Laune nicht verderben und führe an der frischen Luft den wichtigen Frühsport durch - Morgenstund' hat Gold im Mund. 
07.30 Uhr Als nächstes begebe ich mich in die Nasszelle und gönne mir ein löbliches Vollbad mit Schaum. Während ich mir die Haare wasche, fröne ich einer lehrreichen Rückschau im Kurzwellenprogramm des Bayerischen Rundfunks und erfahre, dass die Bundesrepublik vor genau 40 Jahren die Notstandsverfassung einsetzte. Die besagten Gesetze wurden am 30. Mai 1968 von der damaligen Schwarz-Roten Bundesregierung gegen den Willen der redlichen FDP erlassen, um härter gegen randalierende Studenten und andere Gammler vorzugehen. Damit schaffte sich die Regierung unter Federführung von Kurt Georg Kiesinger die Möglichkeit, das Grundgesetz sowie die Selbstbestimmung der Bürger auszuhebeln - wie unlöblich. Letztendlich war dieser Schritt eine Niederlage für die "Ausserparlamentarische Opposition" (APO) und sorgte dafür, dass das vorübergehende Bündnis mit den Gewerkschaften zerbrach. Wenig später zerfielen die Studentenbewegungen in unterschiedliche politische Gruppierungen und spielten in der Folgezeit kaum mehr eine Rolle. Dennoch war ich schon damals der Auffassung, dass ein Staat seine demokratische Grundordnung unter keinen Umständen aufs Spiel setzen darf. Wie jeder weiss, hat der weise Thomas Jefferson schon vor über 200 Jahren mit dem Ausspruch "Wer die Freiheit zugunsten der Sicherheit opfert, hat beides nicht verdient" eine Formel aufgestellt, die für jeden Staat dieser Erde gelten sollte. 
08.30 Uhr Nachdem ich mich in Schale geworfen habe, geselle ich mich an den Frühstückstisch und sehe, dass meine Schwägerin zur Feier des Tages frische Pfannkuchen mit delikatem Ahornsirup zubereitet hat - wie schön. Zungeschnalzend greife ich zu und frage meine Verwandten bezüglich ihres letzten Tages im Sonnenscheinstaat aus. Georg schlägt nach kurzer Bedenkzeit vor, dass wir den Vormittag nutzen sollten, um ans Meer zu fahren und einen Spaziergang zu unternehmen - das ist eine hervorragende Idee. Ich klatsche in meine Hände und gebe zu verstehen, dass wir gleich nach dem wichtigsten Mahl des ganzen Tages aufbrechen sollten - das wird ein Vergnügen. 
09.00 Uhr Während ich kraftvoll zubeisse und mich an delikaten Pfannkuchen sowie einem Pfirsich labe, bringe ich einen Ausflug zu den "Lovers Keys" zur Sprache und zeige auf, dass der Strandabschnitt zu den schönsten Ecken in ganz Florida zählt. Wie nicht anders zu erwarten, sind die anderen hellauf begeistert und stimmen gleich zu. 
09.30 Uhr Nachdem wir das Geschirr in die Spülmaschine geräumt und die Klimaanlage auf 70°F eingestellt haben, gehen wir zum JEEP und schicken uns an, aus der Garage zu fahren und das Wohngebiet radiohörend zu verlassen. Da das kulinarische Wohl nicht zu kurz kommen darf, steuern wir als erstes die "Biscotti Farrugia" Bäckerei in der Taylor Road an und erwerben mehrere Flaschen Brause sowie eine Gebäckschachtel mit lustigen Profiteroles und neapolitanischen Cannolis. Um nicht noch mehr Zeit zu vergeuden, übernimmt Georg kurzerhand das Steuer und bringt uns in einer nervenaufreibenden Hochgeschwindigkeitsfahrt auf dem Hickory Boulevard zum fünfzehn Meilen entfernten Ausflugsziel. 
10.15 Uhr Laut hupend können wir den PS-strotzenden Wagen auf einem öffentlichen Parkplatz am Strand abstellen und zu einem erquickenden Spaziergang am Boardwalk (löblich: Strandweg) aufbrechen. Während der Wanderung spähe ich immer wieder auf den azurblauen Ozean und komme zu dem Ergebnis, dass mein Entschluss, Deutschland den Rücken zu kehren, die beste Entscheidung meines Lebens war. Mein Bruder nickt eifrig und erwidert, dass es nichts besseres geben kann, als unter Palmen zu leben und sich die Sonne auf den Pelz brennen zu lassen - wie wahr. Maria geht noch weiter und behauptet, dass ich mich in Naples sehr wohl fühlen und mir bestimmt bald einen netten Freundeskreis aufbauen werde. Trotz allem bin ich skeptisch und erkläre, dass ich Prof. Kuhn, Admiral a.D. Bürstenbinder und die anderen sehr vermissen werde. Anstatt etwas Mitleid an den Tag zu legen, lacht Georg in einer Tour und sagt, dass sich meine Freunde jederzeit ein Flugbillet kaufen und mich in meinem neuen Zuhause am Willoughby Drive besuchen können - das wäre wirklich zu schön. 
10.45 Uhr Nach einem dreissigminütigen Fussmarsch passieren wir eine verlassene Strandhütte und lassen uns unter einer schattenspendenden Palme in den Sand fallen. Während ich mir einen kräftigen Schluck Diät Coca Cola gönne und cannoliverzehrend den Möwen zusehe, deutet Maria plötzlich ins Mangrovendickicht und macht uns darauf aufmerksam, dass sich dort mehrere Schildkröten tummeln. Mein Bruder ist bestens informiert und fügt an, dass es sich hierbei um sogenannte "Florida Box Turtles" handelt, die im ausgewachsenen Zustand sehr bissig sein können - wie schrecklich. Um nicht gezwickt zu werden, leere ich meine Colaflasche und fordere meine Verwandten auf, mit mir zum befestigten Strandweg zurückzukehren - in der heutigen Zeit kann man einfach nicht vorsichtig genug sein. 
11.30 Uhr Just als wir einen Leuchtturm bestaunen und Fotos knipsen, kommt Georg auf die Finanzierung meiner neu erworbenen Immobilie zu sprechen und möchte wissen, ob ich meine Häuser im Waldweg behalten werde. Selbstverständlich schüttle ich entschieden mit dem Kopf und gebe vor, dass ich die Villa an meine Untermieterin vermieten und das Haus im Waldweg 7 gewinnbringend veräussern werde. Bei dieser Gelegenheit verweise ich auf Familie Omariba und erkläre, dass die netten Menschen schon im vergangenen Jahr den Wunsch geäussert haben, das Haus für 220.000 EUROS zu kaufen. Mein Bruder staunt nicht schlecht und rechnet vor, dass ich nach dem Verkauf einen guten Schnitt machen werde - wie wahr. 
12.00 Uhr Als die Sonne ihren Höchststand erreicht hat, machen wir spornstreichs kehrt und laufen am Wasser zum Fahrzeug zurück. Natürlich nütze ich Gelegenheit, um nach Muscheln für den kleinen David (2) Ausschau zu halten und die schönsten Exemplare in meine Tasche wandern zu lassen - der Bube wird sich über die Mitbringsel bestimmt freuen. 
12.30 Uhr Während ich durch das lauwarme Nass stapfe und mir den Schweiss von der Stirn wische, stossen wir auf einen Angler und sehen, wie der gute Mann fast im Minutentakt Krebse aus dem seichten Wasser fischt. Neugierig erkundige ich mich nach dem Rechten und höre, dass es an diesem Strandabschnitt die schmackhaftesten Krebse in ganz Florida gibt. Als ich neugierig in einen Kübel schaue, erzählt der Heini weiter, dass er die Meeresbewohner später in einen Topf mit kochendem Wasser werfen und sich ein fabelhaftes Essen zubereiten wird - wie unlöblich. Um mich in meiner Funktion als aktiver Tierschützer nicht weiter ärgern zu müssen, zeige ich dem Hanswurst demonstrativ den Vogel und ziehe es vor, mit schnellen Schritten zum JEEP zurückzulaufen. 
13.00 Uhr Als ich auf dem Rücksitz platz nehme und auf meine wertvolle ROLEX blicke, bemerke ich, dass die Zeit für das Mittagessen längst gekommen ist. Da ich ein ganz flaues Gefühl in der Magengegend verspüre, fordere ich meinen Bruder auf, schnellstmöglich Julies Restaurant anzusteuern und mich zu einer Brotzeit einzuladen. Der Gute lässt sich nicht zweimal bitten und prescht mit durchdrehenden Reifen davon. 
13.45 Uhr Hungrig und durstig kehren wir in unsere Stammgaststätte ein und finden Herrn und Frau Porello langnudelverzehrend im Lokal vor - das hat gerade noch gefehlt. Missgelaunt lasse ich mich in Gesellschaft meiner Verwandten am Nebentisch nieder und erfahre, dass die beiden vor wenigen Minuten aus Fort Myers zurückgekommen sind. Frau Porello kommt aus dem Plappern gar nicht mehr heraus und gibt bekannt, dass sie einen Ausflug in die Nachbargemeinde unternommen haben, um einen nagelneuen Porsche Geländewagen Probe zu fahren. HEUREKA - solchen Luxus kann ich mir leider nicht leisten. 
14.00 Uhr Als Frau Julie mit den Tellern erscheint und mir ein stattliches T-Knochen Schnitzel (unlöblich: T-Bone Steak) mit Kartoffeln und Krautsalat vorsetzt, bringt mein Bruder die morgige Rückreise nach Toronto zur Sprache und sagt, dass die US Airways (löblich: US Luftweg) Maschine bereits um 13.35 Uhr starten wird. Um meinen Liebsten eine kleine Freude zu bereiten, erhebe ich den Zeigefinger und verkünde, dass ich sie natürlich zum Flughafen begleiten werde. 
14.30 Uhr Nachdem wir unsere Teller geleert und uns von den Porellos verabschiedet haben, spazieren wir zum JEEP und treten bei angenehmen 28°C (82°F) die Heimfahrt an. 
15.00 Uhr Zuhause angekommen, nehme ich unverzüglich auf dem Sofa im Wohnzimmer platz und lege entspannt die Füsse hoch. Wenig später schlafe ich ein und träume von meinem neuen Traumhaus am Willoughby Drive - wie schön. 
16.00 Uhr Ich erwache ausgeschlafen und werde beim Blick aus dem Fenster Zeuge, wie Herr Wang in Gesellschaft meines Bruders den Grill mit Holzkohle befüllt. Um nichts zu verpassen, schlüpfe ich schnell in meine praktischen Flip-Flops und eile hinaus, um den Leuten Gesellschaft zu leisten und ein kühles Budweiser zu trinken. Georg und Herr Wang legen beste Laune an den Tag und behaupten, dass es heute Abend köstliche Chicken Drumsticks (löblich: Hühner Trommelstäbe) und Spare Rips vom Rost gibt - das ist super trouper. Da bis zum Abendessen noch etwas Zeit bleibt, setze ich mich laut seufzend an den Heimrechner im Arbeitszimmer und überbrücke die Wartezeit mit der wichtigen Anschnurarbeit. Wie jeden Tag finde ich auch heute unzählige Anfragen besorgter Erziehungsberechtigter im elektronischen Postkasten vor und staune angesichts der haarsträubenden Probleme nicht schlecht. Unter anderem schreibt Frau Rebecca Z. aus Berlin, dass ihr Sohn Holger (18) arbeitslos ist und trotzdem eine sündteure Urlaubsreise zum Ballermann plant - wie unlöblich. Natürlich spende ich der armen Frau redlichst Trost und fordere sie unmissverständlich auf, härtere Saiten aufzuziehen und dem Buben ins Gewissen zu reden - wo kämen wir denn da hin.
16.45 Uhr Nachdem ich elektronische Depeschen an meinen ehemaligen Studienkollegen Thomas Kronach, Prof. Edelbert Kuhn und Amanda verfasst habe, rufe ich ein brandaktuelles Geheimdossier des Forschungsinstituts Kuschmelka (München) ab und studiere einen aufschlussreichen Bericht zum Thema "Ist die Rente wirklich sicher?" - wie aufregend. 
17.15 Uhr Als endlich alles abgearbeitet ist, fahre ich den Heimrechner mausdrückend herunter und helfe meiner Schwägerin bei den Vorbereitungen für das heutige Grillvergnügen. Fachmännisch zaubere ich einen schmackhaften Tomatensalat und erfahre nebenbei, dass Scherriff Bradfort und Frau Rabkin ebenfalls auf einen Sprung vorbeikommen werden - wie schön.
17.45 Uhr Nachdem ich die Veranda gefegt und den Kühlschrank mit Schaumwein- und Bierflaschen befüllt habe, gesellt sich Georg an meine Seite und sagt, dass er gerne noch länger im Sonnenscheinstaat geblieben wäre. Als ich mit den Schultern zucke und meinen Bruder überreden möchte, seinen Urlaub kurzerhand zu verlängern, schüttelt er den Kopf und sagt, dass er schon am kommenden Dienstag mit wichtigen Investoren zum Mittagessen verabredet ist.
18.30 Uhr Als wir das Grillgut auf den zischenden Rost werfen und mit köstlichem Schaumwein anstossen, werden wir durch sehr aggressives Sirenengeheul gestört - das kann nur der Gesetzeshüter sein. Ich laufe ruckzuck nach auf die Einfahrt und freue mich sehr, als ich den Scherriff in Gesellschaft seiner Tante vor dem Haus antreffe. Frau Rabkin entschuldigt sich mehrmals und behauptet, dass es eigentlich nicht ihre Art ist, ungebeten auf einer Feier zu erscheinen - papperlapapp. In meiner Funktion als perfekter Gastgeber und Kavalier der alten Schule führe ich die zwei schnurstracks auf die Terrasse und zeige auf, dass mein Bruder bereits den Grill mit saftigem Fleisch bestückt hat. 
19.15 Uhr Während Herr Wang den Ober spielt und uns mit Spezialitäten am laufenden Band versorgt, lassen Georg und Maria ihren Floridaaufenthalt noch einmal Revue passieren und sind einstimmig der Meinung, dass sich der zehntägige Kurzurlaub wirklich gelohnt hat. Selbstverständlich melde ich mich in diesem Zusammenhang ebenfalls zu Wort und fordere meine Verwandten auf, in naher Zukunft häufiger in den Sonnenscheinstaat zu kommen. Schliesslich werde ich im November ein neues Kapitel unter Palmen aufschlagen und für immer hier leben. Frau Rabkin kann sich ein Lächeln nicht verkneifen und behauptet, dass am Willoughby Drive viele nette Menschen leben und ich in kürzester Zeit Anschluss finden werde - wie schön. 
20.00 Uhr Als Maria eine schmackhafte Nachspeise auffährt und uns mit einem vitaminreichen Schokoladenpudding verwöhnt, plaudert Scherriff Bradfort aus dem Nähkästchen und gibt zu Protokoll, dass er gestern zu einer Massenschlägerei im Hafenviertel gerufen wurde und dabei sogar von seinem Schlagstock Gebrauch machen musste. Als ich erschrocken die Hände über dem Kopf zusammenschlage und mir weiterführende Infos erbete, hören wir, dass mehrere Raufbolde eine Veranstaltung anlässlich des "Christopher Street Days" zum Anlass genommen haben, mit Schnapsflaschen auf die Feiernden zu werfen - das ist ja kaum zu glauben. Gott sei Dank konnte der Scherriff schlimmeres Unheil abwenden und die Übeltäter ins Gefängnis verfrachten.
21.00 Uhr Da morgen ein anstrengender Tag vor uns liegt, heisst es langsam Abschied nehmen - wie schade. Nachdem ich Scherriff Bradfort und Frau Rabkin zum Polizeiauto begleitet habe, sorge ich in der Küche für Sauberkeit und Ordnung. Im Anschluss genehmigen wir uns zur schönen Musik der "Mavericks" das letzte Bier des Tages und verabreden, dass wir morgen gemeinsam frühstücken und gegen Mittag zum Flughafen fahren werden. Bei dieser Gelegenheit verspricht Georg, dass wir spätestens im November ein grosses Wiedersehen feiern werden - darauf freue ich mich jetzt schon.
22.00 Uhr Nach einer kalten Dusche und einem letzten Rundgang durchs Ferienhaus falle ich erschöpft ins Bett und schlafe sofort ein. Gute Nacht.

 

verfasst von Reinhard Pfaffenberg am 28.06.2008
© Reinhard Pfaffenberg