26.11.2010
07.15 Uhr Ich werde durch das Läuten des Reiseweckers aus
einem schönen Traum gerissen und spüre ein mulmiges Gefühl in der
Magengegend. Weil ich auf der Feier von Herrn Besunder viel zu viel
gegessen habe, öffne ich die Minibar und genehmige mir ein eiskaltes
Coca Cola - das tut gut. Anschliessend rufe ich bei Frau Pontecorvo im
Sonnenscheinstaat an und freue mich, als sich die Gute endlich meldet.
Meine Nachbarin wünscht mir einen guten Morgen und möchte wissen, ob ich
spannende Tage im grossen Apfel erlebe. Ich nicke eifrig und erzähle,
dass ich gestern bei
Thomas Kronachs
Boss zum Truthahnessen eingeladen war und das Vergnügen hatte, nicht
nur teure Reitpferde zu streicheln, sondern auch dem international
anerkannten Sänger Frankie Valli sowie dem Spätnachtsprecher (unlöblich:
Late Night Talker) Jimmy Fallon die Hand zu schütteln. Meine Bekannte
ist sichtlich angetan und erwidert, dass sie mich sehr gerne nach New
York begleitet hätte.
08.00 Uhr Nachdem wir ausgiebig geplaudert haben, beende ich das
Gespräch und renne ins Badezimmer. Während ich mich von den Strapazen
der letzten Tage erhole, lausche ich dem Programm des Privatsenders NY1
und lerne, dass sich anlässlich der gestrigen "Macy's Thanksgiving Day
Parade" (löblich: Erntedankfest Parade) bis zu 2,5 Millionen
Schaulustige auf Manhattans Strassen tummelten - wie aufregend. Wie
jedes Kind weiss, findet die vom Macy's Kaufhaus ins Leben gerufene
Parade seit 1924 statt und zählt zu den wichtigsten Ereignissen des
Jahres.
09.00 Uhr Just als ich mich ankleide und meine Haare
mit BRISK steile, werde ich durch das ohrenbetäubende Klingeln des
Zimmertelefons gestört. Nörgelnd halte ich mir den Sprechapparat ans Ohr
und erfahre, dass
James
in der Hotelhalle steht und mich zum Frühstück erwartet. Um den Buben
nicht warten zu lassen, verspreche ich, augenblicklich in die Gänge zu
kommen. HEUREKA - diesem Stress steht nicht einmal der stärkste Rentner
stand.
09.30 Uhr Wenig später eile ich durch die weitläufige Lobby des "Ritz Carlton"
und finde meinen Neffen in Edelberts Gesellschaft am Eingang des "BLT
Market" Frühstücksgasthauses vor. Ich begrüsse die zwei und bringe
heraus, dass der Professor bereits beim Concierge (löblich: Pförtner)
war, um die Eintrittskarten für das Theaterspektakel
"The Merchant of Venice"
(löblich: Der Kaufmann von Venedig) abzuholen. Der gute Mann wedelt mit
den Billets vor meiner Nase herum und unterbreitet, dass die Aufführung
bereits um 14 Uhr beginnt. Ich spähe skeptisch auf meine goldene ROLEX
und entgegne, dass wir unter diesen Umständen unsere geplante
"Guggenheim Museum"
Besichtigung auf morgen verschieben müssen. Edelbert will jedoch nicht
hören und meint, dass wir genügend Zeit haben, um die Kunstgegenstände
in New Yorks bekanntestem Museum zu bestaunen. Ich folge Edelbert in die
Wirtschaft unseres Vertrauens und stelle klar, dass Speis und Trank
heute auf meine Rechnung gehen.
10.00 Uhr Wir setzen uns entspannt an einen Tisch an der
Glasfassade und bestellen beim Kellner durstlöschenden O-Saft, echten
Bohnenkaffee sowie deftige Frühstücke. Während wir kraftvoll zubeissen,
wende ich mich James zu und frage ihn bezüglich seiner Arbeit im "East
Sound Studio" aus. Mein löblicher Neffe steht mir artig Rede und Antwort
und plappert davon, dass seine Bande hervorragend harmoniert und sich
freut, am Montag nach Nashville auszufliegen. Um mir einen genaueren
Überblick zu gewähren, berichtet der gute Junge aus dem Nähkästchen und
sagt, dass er mit seinen Musikerkollegen während der kommenden vierzehn
Tage zwanzig Lieder im "Southern Tracks" Studio einspielen muss, von
denen es 12 auf das neue Album schaffen werden. Ich schnalze mit der
Zunge und bin mir
in diesem Zusammenhang ziemlich sicher, dass James den Sprung an die
Spitze der Billboard Charts (löblich: Hitparade) schaffen wird.
10.45 Uhr Nachdem wir aufgegessen und meine praktische
Meisterkarte (unlöblich: Mastercard) eingesetzt haben, klopfe ich dem
jungen Mann auf die Schulter und gebe ihm zu verstehen, dass ich morgen
ins Studio kommen werde. Im Anschluss verabschieden wir James und laufen
zu einem Yellow Cab (löblich: gelbes Taxi). Gutgelaunt nehmen wir auf
dem Rücksitz eines in die Jahre gekommenen Chevrolet Caprice platz und
fordern den Fahrer auf, uns zum Guggenheim Museum zu bringen.
Ausnahmsweise sehen wir uns mit einem Schoffeur konfrontiert, der der
englischen Sprache mächtig ist. Herr Bob lässt den Wählhebel der
Automatikschaltung in der "D" Stellung einrasten und bringt uns in
Windeseile zur zwei Meilen entfernten Adresse.
11.15 Uhr Am Zielort angekommen, zücke ich eine druckfrische 10
Dollar Note und zeige mich mit einem Trinkgeld erkenntlich. Danach
laufen wir mit schnellen Schritten in den futuristischen Rundbau und
werden von einer aufdringlichen Museumsmitarbeiterin genötigt, jeweils
15 Dollars Eintritt zu bezahlen - wie unlöblich. Trotzdem lassen wir uns
die gute Laune nicht verderben und geben uns einer Ausstellung mit dem
Titel "Chaos and Classicism: Art in France, Italy, and Germany,
1918–1936" (löblich: Unruhe und Klassizismus: Kunst in Frankreich,
Italien und Deutschland 1918 - 1936) hin. Während ich aus dem Gähnen gar
nicht mehr herauskomme, macht mein Begleiter grosse Augen und schimpft,
weil die schönen Bilder während der Nazizeit als "entartete Kunst"
bezeichnet wurden. Ich zucke mit den Schultern und gebe zu Protokoll,
dass ich mir solche Bilder niemals ins Wohnzimmer hängen würde.
11.45 Uhr Kurz vor der Mittagszeit passieren wir Kunstwerke aus
der Sammlung des aus Bayern stammenden Galeristen Justin K. Thannhauser
und lesen, dass der Heini einen Grossteil seiner Schätze im Jahre 1963
dem Guggenheim Museum vermacht hat. Lachend klopfe ich mir auf die
Schenkel und erkläre, dass ich die Vincent van Gogh und Pablo Picasso
Ölgemälde nicht verschenkt, sondern an den Meistbietenden verscherbelt
hätte. Prof. Kuhn straft mich mit skeptischen Blicken und belehrt, dass
diese Schätze heutzutage unbezahlbar sind - das soll mir auch Recht
sein.
12.30 Uhr Weil mir der Kopf raucht, tippe ich auf meine
wertvolle Uhr und erinnere daran, dass es langsam Zeit wird, zum
"Broadhurst Theater" zu fahren. Edelbert schlägt in die gleiche Kerbe
und meint, dass wir vor dem dreistündigen Theatervergnügen eine Brotzeit
verzehren sollten - das ist die beste Idee überhaupt. Ruckzuck
verlassen wir das Museum und rasen im Taxi zum Theaterdistrikt in
Midtown.
13.15 Uhr Weil die Aufführung des William Shakespeares Stücks
erst in fünfundvierzig Minuten beginnt, kehren wir kurzerhand in ein
Deli ein. Während wir Kaffee trinken und mit herzhaftem Schinken belegte
Semmeln verzehren, fühle ich Edelbert auf den Zahn und vernehme, dass
das Theaterstück anno 1600 von Herrn Shakespeare verfasst und im
gleichen Jahr am Hofe des schottischen Königs Jakob I. welturaufgeführt
wurde.
13.45 Uhr Nachdem wir uns gestärkt haben, überqueren wir die
44th Strasse und zeigen am Eingang unsere Billets vor. Ein
zuvorkommender Platzanweiser lotst uns auf den obersten Zuschauerrang
und setzt uns darüber in Kenntnis, dass die Vorstellung in wenigen
Minuten beginnen wird. Während Edelbert wissbegierig das Programmheft
studiert und die Namen der Schauspieler zitiert, schaue ich mir die
Bilder an den Wänden an und registriere, dass dieses Haus auf eine fast
100jährige Geschichte zurückblicken kann. Unter anderem sind hier
namhafte Schauspieler wie Robert Horton, Alan Arkin, Lesley Ann Warren,
Inga Swenson und Dustin Hofmann aufgetreten, um das New Yorker Publikum
mit schönem Gesang und ansprechenden Darbietungen zu verwöhnen.
14.15 Uhr Mit kurzer Verspätung hebt sich der Vorhang und wir
tauchen in die Welt des Venedigs im 16. Jahrhundert ein. Obwohl die
Künstler ihr Bestes geben, döse ich bald ein und träume von einem
vitaminreichen Pastramisandwich in einem der umliegenden
Gourmetrestaurants.
15.45 Uhr Ich werde durch frenetischen Applaus geweckt und freue
mich, die langweilige Vorstellung hinter mich gebracht zu haben. Als
ich mir meine NY Yankees Mütze aufsetze und auf die Strasse gehen
möchte, erhebt der Professor den Zeigefinger und sagt, dass nach einer
halbstündigen Intermission (löblich: Pause) der zweite Teil folgt. Ich
schlage entnervt die Hände über dem Kopf zusammen und lote aus, ob es
nicht möglich wäre, schon jetzt zum Hotel zurückzufahren. Edelbert zeigt
mir den Vogel und vertritt die Meinung, dass wir an einem
Jahrhundertereignis teilnehmen und uns glücklich schätzen können, Al
Pacino am Broadway zu erleben. Missgelaunt stapfe ich in Edelberts
Gesellschaft zur Tränke und lasse es mir nicht nehmen, zwei Scotch sowie
eine Schüssel Erdnüsse in Auftrag zu geben.
16.15 Uhr Nach dem kleinen Umtrunk geht es auch schon weiter und
bunt gekleidete Menschen tummeln sich auf den Brettern, die die Welt
bedeuten. Während der folgenden 90 Minuten werde ich Zeuge, wie der
venezianische Kaufmann in arge Bedrängnis gerät, weil er dem jüdischen
Geldverleiher Shylock - gespielt von Hollywoodstern Al Pacino - die
geschuldete Summe nicht rechtzeitig zurückzahlen kann. HEUREKA - diesen
Unsinn muss man gesehen haben. Um nicht wieder einzunicken, nehme ich
die Schwarzbeere zur Hand und tippe ganz spontan die
Handtelefonnummer meiner Mieterin ins Tastenfeld.
Sandra
meldet nach dem dritten Klingeln und meint, dass es während der
Vorstellung nicht erlaubt ist, zu telefonieren. Ich winde mich geschickt
aus der Verantwortung und verweise auf meine Sitznachbarn, die alle
schon längst im Reich der Träume sind.
17.45 Uhr Endlich fällt der Vorhang und die Protagonisten
versammeln sich ein letztes Mal auf der Bühne, um sich zu verbeugen und
den Applaus in vollen Zügen auszukosten. Um nicht noch mehr Zeit zu
vertrödeln, bugsiere ich den Professor zum Ausgang und winke das
erstbeste Taxi an den Bürgersteig. In einer nervenaufreibenden
Hochgeschwindigkeitsfahrt rasen wir zum Hotel zurück und lassen das
Gesehene noch einmal Revue passieren. Während mein Begleiter in den
höchsten Tönen schwärmt, winke ich ab und verdeutliche, dass es schlauer
gewesen wäre, ins
Lichtspielhaus zu gehen und den spannenden Aktionsfilm "Faster" (löblich: Schneller) mit Dwayne Johnson anzuschauen.
18.15 Uhr Bevor wir den Tag beschliessen, kehren wir ins "Pizza
Villaggio Cafe" an der 6th Avenue ein und laben uns an italienischen
Nudelspezialitäten und süffigem Budweiser. Edelbert redet unterdessen
ohne Unterlass auf mich ein und kündigt an, dass wir unseren letzten Tag
im grossen Apfel ruhig angehen lassen sollten. Ich stimme zu und rege
an, dass wir morgen zum Spielzeuggeschäft von FAO Schwarz spazieren und
ein super Weihnachtspräsent für den kleinen David (5) aussuchen sollten.
Ferner bringe ich einen Abstecher zum "East Sound Studio" ins Gespräch
und informiere, dass der Rückflug nach Miami um halb 6 Uhr geplant ist.
19.30 Uhr Nach feinen Eisbechern und Schaumkaffees laufen wir
durch das nächtliche Manhattan und erhaschen einen prima Blick auf das
Empire State Building, das seit gestern in blaues Licht gehüllt ist. Der
Professor knipst ein Photo und meint, dass wir im kommenden Frühjahr
erneut nach New York kommen und dann etwas länger bleiben sollten - wie
wahr.
20.30 Uhr Zurück im Zimmer falle ich erschöpft aufs bequeme King Size Bett und lasse den aufregenden Freitag bei
rentnergerechten Fernsehformaten
ausklingen. Ich schaue mir die Nachrichten auf CNN an und schalte dann
auf den Kabelsender TBS um, wo just im Moment der lustige
Zeichentrickfilm "Shreck" beginnt. Ich lehne mich entspannt zurück und
sehe, wie ein grünes Sumpfmonster haarsträubende Abenteuer erleben muss -
da kommt Freude auf.
22.00 Uhr Weil ich mich vor Müdigkeit kaum mehr auf den Beinen
halten kann, betätige ich den "OFF" (löblich: AUS) Knopf der neumodernen
Fernbedienung und schliesse die Augen, um dem Sirenengeheule der
Polizei- und Feuerwehrautos zu lauschen, die mitten in der Nacht durch
die Strassenschluchten brausen. Gute Nacht.
verfasst
von Reinhard Pfaffenberg am 26.11.2010
©
Reinhard Pfaffenberg |
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