Reinhard Pfaffenbergs löbliches Tagebuch Archiv

 

 

24.11.2010

07.15 Uhr Ich werde durch besonders aggressives Telefonklingeln geweckt und habe James Stimme im Ohr. Der Bube lässt seine gestrige Probe im "Eastside Sound Studio" Revue passieren und berichtet, dass seine Kollegen sehr fleissig waren und heute ausspannen wollen. Der gute Junge freut sich und kündigt an, dass er heute Weihnachtseinkäufe tätigen wird - wie schön. Weil die Geschäfte in der Vorweihnachtszeit stets mit Schnäppchen locken, schnalze ich mit der Zunge und lasse James wissen, dass ich ihn gerne begleiten werde. 
07.45 Uhr Nachdem wir uns für halb Zehn in der Hotelhalle verabredet haben, beende ich das Ortsgespräch und lasse mir ein Vollbad einlaufen. Während ich mich wasche und rasiere, mache ich mir meine eigenen Gedanken und komme zu dem Schluss, dass es meine angespannte Finanzsituation in diesem Jahr nicht zulässt, meinen Liebsten kostspielige Präsente zu machen. Trotz allem lasse ich mir die gute Laune nicht verderben und fasse den Entschluss, meinem Grossneffen David (5) einen schönen LEGO Baukasten unter den Christbaum zu legen. Ausserdem werde ich meinen Bruder mit der kürzlich veröffentlichten Autobiografie "Decision Points" (löblich: Entscheidungspunkte) des ehemaligen Präsidenten George W. Bush überraschen. 
08.45 Uhr Wenig später steige ich aus der Badewanne und trete vor den Spiegel, um in eine frisch gewaschene WRANGLER Tschiens mit Bügelfalte zu schlüpfen. Im Anschluss ziehe ich meine schweren Kuhjungenstiefel aus echtem Schlangenleder an und rufe dann im Nebenzimmer an. Edelbert wünscht mir einen guten Morgen und teilt mir auf Anfrage mit, dass er seit einer halben Stunde am Fenster sitzt und per Fernrohr dem Treiben im Central Park folgt. Natürlich komme ich sofort auf den Grund meines Anrufs zu sprechen und erkläre, dass James einen freien Tag hat und wir deshalb unseren Ausflug ins "Guggenheim Museum" auf Morgen verlegen müssen. Der Professor ist gleichgültig und sagt, dass er sich nicht lumpen lassen und dann eben ordentlich abschoppen wird - das soll mir Recht sein. 
09.15 Uhr Nachdem ich meine GOLDEN HEAD Börse mit frischen Geldscheinen aufgefüllt habe, laufe ich mit schnellen Schritten zum Aufzug. Als sich die Türen öffnen, sehe ich mich mit einer angeberischen Dame konfrontiert, die eine ekelerregende Pelzstola trägt. Seufzend steige ich in den Hochgeschwindigkeitslift ein und gebe mit erhobenem Zeigefinger zu Protokoll, dass ich lieber nackt, anstatt mit Pelz aus dem Haus gehen würde. Die Kuh gibt sich als waschechte Russin zu erkennen und kontert, dass es an der Wolga sowieso viel zu viele Pelztiere gibt - wie unlöblich. Um nicht in ein Streitgespräch verwickelt zu werden, wende ich mich ab und bin froh, als ich nach wenigen Augenblicken in der Hotelhalle stehe. James und Prof. Kuhn sind auch schon da und vertreten die Meinung, dass wir zuerst frühstücken sollten. Ich nicke eifrig und folge den beiden zur benachbarten "Sarahbeth's" Wirtschaft.
10.00 Uhr Bei brühfrischem Bohnentrunk und französischen Crepes schmieden wir Pläne und verabreden, dass wir gleich zur Rockefeller Plaza spazieren und den "Christmas Tree" (löblich: Christbaum) anschauen sollten. James kommt aus dem Plappern gar nicht mehr heraus und meint, dass wir hinterher das "Cartier" Schmuckgeschäft besuchen könnten.
10.30 Uhr Redlichst gestärkt machen wir uns auf den Weg und laufen an den weihnachtlich geschmückten Geschäften in Richtung Norden weiter. Während ich die Auslagen in den Schaufenstern begutachte, versorgt uns der Professor mit wissenswerten Infos und belehrt, dass die amerikanischen Einzelhändler an alten Werten festhalten und ihre Ladenlokale erst um den Thanksgiving Tag schmücken. James bestätigt dies und fährt fort, dass am darauffolgenden Freitag viele Menschen der Arbeit fern bleiben, um die Kaufhäuser zu stürmen und Weihnachtseinkäufe zu machen. Ich stimme prompt zu und erinnere mich, dass dieser Tag auch "Black Friday" (löblich: schwarzer Freitag) genannt wird. 
11.15 Uhr Just als der Minutenzeiger meiner wertvollen ROLEX auf Viertel nach Elf zugeht, treffen wir vor dem Rockefeller Center ein und werden Zeugen, wie mehrere Arbeiter damit beschäftigt sind, einen stattlichen Christbaum aufzustellen. Weil ich stets über alles informiert sein will, stelle ich einen der Männer zur Rede und bringe in Erfahrung, dass der Baum aus dem Nachbarstaat New Jersey stammt und erst am 30. November mit bunten Lämpchen und einem Swarovski Stern geschmückt wird - wie aufregend. Wir schauen beeindruckt in den wolkenlosen Himmel und bemerken, dass die Tanne gut und gerne 25 Meter misst. 
11.45 Uhr Nachdem wir den Schlittschuhläufern auf dem "Rockefeller Ice Skating Rink" (löblich: Rockefeller Eisbahn) zugesehen haben, vergrabe ich die Hände in den Manteltaschen und folge meinen Begleitern zu einem luxuriösen Schmuckgeschäft an der 52nd Strasse. James bugsiert mich zu einem Schaukasten mit sündteuren Damenarmbanduhren und meint, dass seine Ehefrau an einer "Miss Pasha" Quarzuhr Gefallen finden würde. Ich mache grosse Augen und erkenne mit glasklarem LASIK Blick, dass das ausgesuchte Stück platinbeschichtet ist und 2.950 Dollars kosten soll. Weil mir das Wohl der jungen Leute sehr am Herzen liegt, spreche ich meinem Neffen ins Gewissen und stelle klar, dass er sich dieses Schmuckstück unmöglich leisten kann. James will jedoch nicht hören und winkt einen Verkäufer im Anzug herbei. Währenddessen geselle ich mich an Edelberts Seite und höre, dass auch er mit dem Gedanken spielt, Unsummen aus dem Fenster zu werfen und seinem Sohn Manschettenknöpfe aus Sterlingsilber zu schenken - wo soll das noch hinführen. 
12.30 Uhr Um nicht dem Konsumwahn zu verfallen, verlasse ich die Cartier Filiale und kaufe mir an einem Verkaufsstand einen "heissen Hund" mit Sauerkraut (unlöblich: Hot Dog with Sauerkraut). Leider wird die Brotzeit nach wenigen Augenblicken durch das ohrenbetäubende Klingeln der Schwarzbeere (unlöblich: Blackberry) gestört. Ich nehme das Telefonat nörgelnd an und staune nicht schlecht, als sich Thomas Kronach meldet. Meine ehemaliger Studienkollege ist kurz angebunden und sagt, dass er am Nachmittag an der Wall Street zu tun hat und mich gegen 15 Uhr in der "Killkarney Rose Bar" treffen möchte. Weil ich keine anderen Termine habe, sage ich zu und verspreche, James und den Professor mitzubringen. 
13.00 Uhr Nachdem ich mir dreissig Minuten die Beine in den Bauch stehen musste, können wir endlich weitergehen. Während der Professor und mein Neffe Papiertüten mit Cartier Aufdruck tragen und den netten Filialleiter loben, greife ich mir an die Stirn und bin mir sicher, dass die zwei den Verstand verloren haben. James schenkt mir ein Lächeln und behauptet, dass die 3.000 Dollar teure Uhr eine echte Wertanlage ist. HEUREKA - diesen Unsinn muss man gehört haben. 
13.45 Uhr Bevor wir ins Finanzzentrum des grossen Apfels aufbrechen, vertreten wir uns die Füsse und eilen bei einsetzendem Sprühregen zum Times Square. Unterdessen gibt James Anekdoten aus dem Studio zum Besten und erzählt, dass Herr Warren den freien Nachmittag nutzt, um im örtlichen "Guitar Center" (löblich: Gitarren Zentrum) Fachgeschäft ein neues Schlagzeug auszuprobieren. Ich gebe mich interessiert und mutmasse, dass der Musikant auf eine Trommel aus der Zildjian Manufaktur zurückgreifen wird. Mein Neffe weiss es wie immer besser und berichtigt, dass erfahrene Landmusikanten ausschliesslich "Pacific Drums by DW" bespielen - wie interessant. Ferner höre ich, dass sich James am Abend mit seinen Musikerkollegen im Studio treffen und Demoaufnahmen für das "THROB RECORDS" Menetschment einspielen wird - wie aufregend.
14.40 Uhr Um Thomas Kronach nicht warten zu lassen, strecke ich die Hand aus und halte ein löbliches Taxi auf. Ein junger Fahrer mit Migrationshintergrund heisst uns in einem unverständlichen Kauderwelsch herzlich Willkommen und lotet aus, ob wir zum JFK Flughafen fahren wollen. Ich winke demonstrativ ab und bitte den Heini, uns schnellstmöglich zum "Hanover Square" im Süden zu bringen. Der Mohammedaner kommt dem Auftrag anstandslos nach und prescht mit quietschenden Pneus davon.
15.00 Uhr Pünktlich auf die Minute betreten wir die "Killkarney Rose Bar" und registrieren, dass hier ausschliesslich hochnäsige Wall Street Leute einkehren, um nach der Arbeit Schnäpse zu verköstigen. Als wir uns umblicken, sehen wir an der Bar Thomas Kronach stehen. Wir gesellen und spornstreichs dazu und ordern süffige Langgetränke sowie hausgemachte Mozzarella Sticks (löblich: Mozzarella Stäbe) mit köstlicher Sauce. Bei dieser Gelegenheit halten wir ein Kleingespräch (unlöblich: Smalltalk) und lernen, dass mein Studienfreund einen Finanzdienstleister treffen musste, dem vorgeworfen wird, Firmengelder in Millionenhöhe veruntreut zu haben. Thomas schweigt sich jedoch aus und entgegnet, dass wir weitere Einzelheiten spätestens in der kommenden Woche in den Nachrichten erfahren werden. 
15.45 Uhr Während der Alkohol in Strömen fliesst und stimmungsvolle Michael Bolton Musik aus den Lautsprechern dröhnt, möchte Thomas plötzlich wissen, was wir am "Thanksgiving Day" (löblich: Erntedankfest) vorhaben. Ich zucke mit den Schultern und erwidere, dass wir uns höchstwahrscheinlich im "Guggenheim Museum" amüsieren werden. Mein Bekannter fällt mir ins Wort und berichtet, dass er morgen bei seinem Scheff zu Gast sein und Truthahn essen wird. Thomas geht noch weiter und erklärt, dass der Gastgeber nichts dagegen hätte, wenn wir uns der Einladung anschliessen würden. Bevor ich antworten kann, zückt Thomas sein strahlendes NOKIA Handtelefon und lässt es sich nicht nehmen, bei Herrn Besunder (59) in der Firmenzentrale anzurufen - wie aufregend. 
16.15 Uhr Nachdem Thomas das Gespräch beendet hat, hören wir, dass er uns Morgen früh abholen und nach Port Chester kutschieren wird. Um uns einen genaueren Einblick zu ermöglichen, bringt Thomas das stattliche Anwesen seines Bosses ins Gespräch und sagt, dass Herr Besunder eine weitläufige Pferderanch am Port Chester Harbor im Bundesstaat New York sein Eigen nennt - wie aufregend. 
16.45 Uhr Nach dem dritten "Whiskey Sour" (löblich: Whiskey Sauer) heisst es Abschied nehmen. Ich reiche dem Rechtsanwalt die Hand und fordere ihn auf, morgen pünktlich zu sein. Mein Bekannter zwinkert mir redlichst zu und weist mich auf die Tatsache hin, dass es angebracht wäre, morgen einen Anzug mit Krawatte anzuziehen - das soll mir Recht sein. 
17.15 Uhr Kurze Zeit später sitzen wir in einem Taxi mit Lederausstattung und rasen zum "Eastside Sound Studio". Am Ziel angekommen, wünschen wir James viel Vergnügen und vereinbaren, dass wir morgen telefonieren werden. Danach fahren wir weiter durch den dichten Berufsverkehr und fordern den Taxifahrer auf, uns vor dem Ritz Carlton abzusetzen. 
18.00 Uhr Als sich die Nacht über Manhattan legt, sind wir endlich wieder in der luxuriösen Herberge. Prof. Kuhn späht neugierig auf seine TIMEX Armbanduhr und lotet aus, ob wir im benachbarten "Mickey Mantle's Restaurant" zu Abend essen wollen. Ich reibe mir den Bauch und antworte, dass ein deftiges Schnitzel gerade Recht käme. Gutgelaunt laufen wir einen Block weiter und besuchen eine einladende Sportsbar, die im Jahre 1985 von der Baseballlegende Mickey Mantle, seines Zeichens Aussenfeldspieler der New York Yankees, ins Leben gerufen wurde. Weil mein Magen laut knurrt, setzen wir uns sofort an den Tresen und bestellen süffiges Coor's Bier sowie vitaminreiche T-Bone Steaks (löblich: T Knochen Schnitzel) mit Folienkartoffeln und grünen Bohnen. 
18.30 Uhr Während wir kraftvoll zubeissen und unsere trockenen Kehlen ölen, begutachte ich die unzähligen Bilder an den Wänden und bringe heraus, dass Herrn Mantle während seiner Karriere insgesamt 536 Home-Runs (löblich: Heimrennen) gelangen - das ist ja allerhand. Prof. Kuhn ist von den ausgestellten Devotionalien angetan und merkt an, dass Mickey Mantle neben Joe DiMaggio und Babe Ruth der beste Baseballspieler seiner Zeit war. 
19.30 Uhr Nachdem wir einen klassischen New Yorker Käsekuchen (unlöblich: Classic New York Cheesecake) probiert und Kaffee getrunken haben, laufen wir ohne Umwege zum Hotel. Ich wünsche Edelbert eine gute Nacht und verweise noch einmal auf Thomas Einladung. Der schlaue Mann nickt eifrig und erinnert, dass uns Herr Kronach gegen 10 Uhr in der Hotelhalle erwarten wird. 
20.00 Uhr Zurück im Zimmer, schlüpfe ich in meinen bequemen Frotteeschlafanzug und freue mich auf einen rentnergerechten Fernsehabend. Mit Hilfe der neumodernen Fernbedienung drücke ich mich durch die zahlreichen Kabelprogramme und bleibe letztendlich auf dem "Classic Movie Channel" (löblich: Klassischer Filmkanal) hängen. Ich genehmige mir ein eiskaltes Diät Coca Cola aus der Minibar und folge gespannt der sehenswerten Hollywoodproduktion "The Lost Weekend" (löblich: Das verlorene Wochenende) aus dem Jahre 1945. Der oscarprämierte Streifen handelt vom alkoholkranken Schriftsteller Don, der sich ein Appartement in New York mit seinem Bruder teilt. Im Laufe des Films stürzt der gefeierte Autor immer tiefer in eine Sinnkrise und sieht seinen letzten Ausweg im Selbstmord - wie schrecklich. 
21.30 Uhr Als es nach 90 nervenaufreibenden Minuten doch noch zu einem Happy End (löblich: glückliches Ende) gekommen ist, beende ich den Fernsehabend und schlafe schon bald ein. Gute Nacht.

 

verfasst von Reinhard Pfaffenberg am 24.11.2010
© Reinhard Pfaffenberg