Reinhard Pfaffenbergs löbliches Tagebuch Archiv

 

 

29.01.2008

07.00 Uhr Ich erwache ausgeschlafen und läute den 29. Tag des Jahres mit der wichtigen Morgengymnastik auf der Veranda ein. Während ich mich recke und strecke, fällt mir plötzlich ein, dass heute in Florida die wichtigen Vorwahlen der demokratischen und republikanischen Präsidentschaftsanwärter stattfinden - das wird bestimmt spannend. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Herr Wang noch in den Vormittagsstunden zur Wahlurne wandern und seine Stimme für Rudy Giuliani abgeben wird. 
07.15 Uhr Nachdem ich meine eingeschlafenen Muskeln gestählt habe, entspanne ich mich bei einem Wirbelbad mit Schaum und lausche nebenher dem Radioprogramm aus meiner weissblauen Heimat. Zu allem Überfluss berichtet die Moderatorin über einen peinlichen Fehltritt, den sich die Münchner Stadtverwaltung geleistet hat. Staunend vernehme ich, dass das Kreisverwaltungsreferat der bayerischen Landeshauptstadt am 27. Januar einen Faschingsumzug mit mehr als 20.000 Teilnehmern genehmigt und dabei ganz ausser Acht gelassen hat, dass an diesem Tag auch der nationale Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus stattfand. Selbstverständlich protestierte der Zentralrat der Juden im Vorfeld und lies durch Frau Charlotte Knobloch verlauten, dass diese Veranstaltung geschmacklos sei und den Holocaustgedenktag ad absurdum führe - wie Recht die gute Dame doch hat. Trotz der harschen Kritik sah SPD-Oberbürgermeister Christian Ude keine Möglichkeit, die Veranstaltung zu verhindern bzw. zu verlegen. "Der Gedenktag am 27. Januar ist kein Feiertag und geniesst keinerlei Schutz. Die Behörden verfügen deshalb über keine rechtliche Handhabe, Vergnügungsveranstaltungen an diesem Tag zu unterbinden", sagte der Heini in einem Interview (löblich: Zwischenschau) mit dem "Berliner Tagesspiegel" - das wird ja immer schöner. Dieses Beispiel zeigt anschaulich auf, dass die vielen Millionen Opfer der Shoa langsam in Vergessenheit geraten und innerhalb der Gesellschaft kaum mehr eine Rolle spielen. Vielleicht wäre es doch besser, für immer im Sonnenscheinstaat zu bleiben und gar nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren. 
08.15 Uhr Nachdem ich mich abgetrocknet habe und in bequeme Bermudahosen sowie ein farbenfrohes Hawaiihemd geschlüpft bin, eile ich auf die Nachbarterrasse und sehe, wie Herr Wang just in diesem Moment den Frühstückstisch deckt. Selbstverständlich gehe ich meinem Bekannten sogleich zur Hand und frage ihn bezüglich der Präsidentschaftsvorwahlen aus. Während ich zwei Weissbrotscheiben (unlöblich: Toast) in den Röster verfrachte und die Kaffeetassen mit köstlichem Bohnentrunk auffülle, steht mir mein Nachbar Rede und Antwort und informiert mich darüber, dass in unserem Bundesstaat lediglich ausgewählte Parteimitglieder bei sogenannten "Close Primaries" (löblich: geschlossenen Vorwahlen) über die Präsidentschaftskandidaten abstimmen können. Herr Wang ist mit der Thematik bestens vertraut und fährt fort, dass die zur Vorwahl zugelassenen Bürger keine Politiker, sondern Wahlmänner bestimmen werden - wie aufregend. Zu guter Letzt treffen die Delegierten, die bei den Vorwahlen in den einzelnen Bundesstaaten ernannt wurden und sich unter Eid verpflichtet haben, für einen bestimmten Kandidaten zu votieren, auf einem grossen Parteitag zusammen und wählen in einer demokratischen und transparenten Wahl den jeweiligen Präsidentschaftskandidaten. Als ich genauer nachfrage, erklärt mein Gegenüber, dass der weichenstellende Parteitag der Demokraten im diesem Jahr vom 25. bis 28. August in Denver, und der der Republikaner vom 1. bis zum 4. September in Minneapolis abgehalten wird. 
08.45 Uhr Just als ich kraftvoll zubeisse und mich an den frischen Lebensmitteln labe, legt Herr Wang die Morgenzeitung zur Seite und kündigt an, dass er bis zur Mittagspause den Pinsel schwingen und das verrostete Geländer am Hotelschwimmbecken streichen wird - wie schön. Da ich heute ausnahmsweise keinen wichtigen Verpflichtungen nachkommen muss, werfe ich meinem Gegenüber einen skeptischen Blick zu und gebe zu Protokoll, dass wir die Arbeit zu zweit viel schneller erledigen könnten. Herr Wang zeigt sich prompt einverstanden und meint, dass wir während der schweisstreibenden Streicharbeit dem Radioprogramm von "WCKT CAT COUNTRY" lauschen könnten - das ist eine hervorragende Idee. 
09.00 Uhr Um nicht noch mehr Zeit zu vertrödeln, beenden wir schnell das wichtigste Mahl des ganzen Tages und hüpfen in unsere Fahrzeuge, um mit quietschenden Reifen in Richtung Innenstadt davonzurasen. Während der kurzweiligen Fahrt, drehe ich am Frequenzrad der Musikanlage und erfahre in den Nachrichten, das Barack Obama seine Rivalin Hillary Clinton in den landesweiten Umfragen einholen konnte und nur noch einen Prozentpunkt hinter der Frau liegt. Während bei den Demokraten vor dem "Super Tuesday" (löblich: Super Dienstag) am 5. Februar alles auf einen spannenden Zweikampf hindeutet, sind bei den Republikanern immer noch vier namhafte Politiker im Rennen. Wenn man den repräsentativen Umfrageergebnissen von CNN und FOX Glauben schenken darf, haben derzeit John McCain, Mike Huckabee, Mick Romney und der ehemalige New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani beste Schanzen, im September zum Präsidentschaftsanwärter gekürt zu werden. 
09.30 Uhr Nachdem ich meinen PS-strotzenden JEEP PATRIOT sicher auf einem Mitarbeiterstellplatz hinter der Herberge geparkt habe, folge ich Herrn Wang an die Rezeption und begrüsse Mitarbeiterin Jenna (68) ganz besonders freundlich. Danach gehen wir entspannt in die Abstellkammer und stellen zwei Farbkübel, Schleifpapier, batteriebetriebenes Radiogerät, Verdünnungsmittel, süffige Biere aus dem Kühlschrank sowie die benötigten Pinsel auf einen Handwagen - da kommt Freude auf. 
10.00 Uhr Bei annähernd 28°C (82°F) spucken wir ordentlich in die Hände und machen uns daran, das von Wind und Wetter in Mitleidenschaft gezogene Stahlgeländer von den Korrosionsschäden zu befreien. Während mir der Schweiss auf der Stirn steht, frönen wir dem Qualitätsprogramm unseres Lieblingsradiosenders aus Fort Myers und lernen, dass im Sommer 2008 eine neue Ausgabe der beliebten Musiksendung "Nashville Star" (löblich: Nashville Stern) über die amerikanischen Bildschirme flimmern wird. Wie jeder weis, handelt es sich bei dieser Unterhaltungssendung um das Landmusik-Pendant zu "American Idol" (in Deutschland: Deutschland sucht den Superstar). Um dem Zuhörer einen kleinen Einblick in die vorhergehenden Staffeln zu gewähren, legt Morgenmoderatorin Stacy den Nummer 1 Schlag "Me And Charlie Talking" (löblich: Ich und Karl reden) von Miranda Lambert auf - bei dieser Musik geht einem die Arbeit gleich viel leichter von der Hand.
10.30 Uhr Als ich das Schleifpapier zur Seite lege und das Geländer fachmännisch mit einer Stahlbürste entstaube, öffnet Herr Wang die beiden Farbkübel und sagt, dass wir die Längs- und Querverstrebungen blau und die Pfosten rot lackieren werden - das soll mir auch Recht sein. Gekonnt tauche ich den Pinsel in den Lack und komme den Vorgaben meines Bekannten redlichst nach - das könnte nicht einmal ein Handwerksmeister besser. 
10.45 Uhr Just als ich eine Dose Coca Cola öffne und mir einen sauberen Schluck gönne, schlendert plötzlich Frau Delmar (66) aus Zimmer Nummer 1 ans Schwimmbecken und lässt sich unmittelbar neben uns auf einer Sonnenliege nieder. Während Herr Wang die Dame freundlichst begrüsst und ihr Komplimente am laufenden Band macht, arbeite ich unaufhaltsam weiter und schaffe es in nicht einmal 30 Minuten, das Geländer auf Vordermann zu bringen - wie schön. 
11.15 Uhr Um keinen Hitzeschlag zu riskieren, lege ich eine kleine Pause ein und ziehe es vor, mir im klimatisierten Büro etwas Abkühlung zu verschaffen - diesem Klima hält nicht einmal der stärkste Rentner stand. Frau Jenna leistet mir währenddessen redlichst Gesellschaft und plappert davon, dass ein sonnenbebrillter junger Mann vor Kurzem im "Old Town Hotel" (löblich: alte Stadt Hotel) eingetroffen ist und Zimmer 3 bezogen hat. Als ich mir weiterführende Informationen erbete, überreicht mir die gute Frau den ausgefüllten Anmeldebogen und unkt, dass Herr Francesco Gannascoli bestimmt der Mafia angehört und sich mit lokalen Gangsterbossen treffen wird - wie schrecklich. 
12.00 Uhr Nachdem ich meine ausgetrocknete Kehle geölt und mich im Badezimmer erfrischt habe, kehre ich an meinen Arbeitsplatz zurück und bemerke, dass Herr Wang immer noch mit Frau Delmar plaudert. Kopfschüttelnd mache ich mich wieder ans Werk und bringe die letzten Pinselstriche in wenigen Minuten hinter mich - das klappt wieder wie am Schnürchen. 
12.30 Uhr Während ich die Arbeitsutensilien auf den Handwagen lade und mit dem Besen für Ordnung und Sauberkeit sorge, winkt mich Herr Wang freundlich herüber und teilt mir mit, dass er nun Frau Delmar in ein benachbartes Italiengasthaus namens "Busghetti Ristorante" ausführen wird - das ist ja allerhand. Da ich angesichts der schwülwarmen Temperaturen keine Lust habe, die Herrschaften zu begleiten, wünsche ich ihnen einen angenehmen Nachmittag und begebe mich mit schnellen Schritten zu Frau Jenna an den Empfang. Laut seufzend lasse ich mich in den Scheffsessel fallen und gebe der Mitarbeiterin unmissverständlich zu verstehen, dass ich mich jetzt verabschieden und nach Hause fahren werde. Leider ist die gute Seele ganz anderer Meinung und sagt, dass ich das Hotel nicht verlassen darf, bevor ich ihre hervorragenden Capicolla-Sandwiches probiert habe - wie aufmerksam. Selbstverständlich greife ich sofort zu und komme schnell zu dem Schluss, dass Frau Jenna eine wahre Artistin des Kochlöffels sein muss. Als ich das belegte Brot genauer in Augenschein nehme, höre ich, dass es sich bei Capicolla um eine Wurstspezialität aus dem Süden Italiens handelt - schmeckt wirklich ganz hervorragend. 
13.15 Uhr Nach der dritten Portion wünsche ich Frau Jenna einen schönen Arbeitstag und laufe ruckzuck zum Wagen, um gemächlich in den Lowbank Drive zurück zu fahren. Als ich auf halbem Weg auf das Wagenthermometer spähe, wird mir klar, dass die Temperaturen seit den Morgenstunden weiter gestiegen sind und nun schon die 30°C Marke überschritten haben - wie unlöblich. Verschwitzt stelle ich die Klimaanlage auf die höchste Stufe und beschleunige das KFZ auf schwindelerregende 45 Meilen pro Stunde - da kommt Freude auf. 
13.45 Uhr Daheim angekommen, entledige ich mich meiner farbverschmierten Kleidung und genehmige mir als erstes eine kalte Dusche - das tut richtig gut. Danach drücke ich auf den "ON" (löblich: AN) Knopf des Farbfernsehgeräts und bringe in Erfahrung, dass die Vorwahlen in Florida nur schleppend anlaufen. Trotz allem meldet die Fernsehfrau, dass Rudy Giuliani schon jetzt abgeschlagen ist und die republikanischen Wahlmänner des Staates bis zum Abend kaum mehr auf seiner Seite vereinen kann - wie schade. 
14.30 Uhr Ich nehme erschöpft auf dem bequemen Wohnzimmersofa platz und schliesse die Augen. Schon kurze Zeit später schlafe ich ein und sehe mich im Traum vor meinem schicken Eigenheim im Waldweg 11 stehen - wie schön.
15.30 Uhr Lautes und sehr aggressives Klingeln stört mich bei meinem wohlverdienten Nickerchen - wie unlöblich. Missgelaunt öffne ich die Türe und finde Frau Gomez mit dem Putzeimer vor dem Eigenheim vor. Selbstverständlich bitte ich die fleissige Perle sogleich in die gute Stube und trage ihr auf, das komplette Haus auf Vordermann zu bringen und ausserdem die Fenster zu putzen - schliesslich reise ich bereits ich wenigen Tagen ab. 
16.00 Uhr Während die gute Frau ihrer Arbeit nachkommt, brühe ich frischen Kaffee auf und widme mich muffinverzehrend der wichtigen Anschnurarbeit. Wie üblich finde ich auch heute viele Schreiben besorgter Heimseitenbesucher im elektronischen Postkasten vor und komme aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr heraus. Unter anderem klagt mir eine kleine Frau aus Wiesbaden ihr Leid und berichtet, dass ihre Tochter Rebecca den Verstand verloren hat und vor wenigen Tagen in den "Big Brother" (unlöblich: Grossen Bruder) Container eingezogen ist - das ist ja allerhand. Um schlimmeres zu verhindern, rate ich der Dame, schnellstens Nägel mit Köpfen zu machen und sich an den "Deutschen Fernsehrat" zu wenden - so kann es jedenfalls nicht weitergehen.
16.45 Uhr Nachdem ich eine elektronische Depesche an Prof. Kuhn mausdrückend über den grossen Teich geschickt habe, blicke ich auf meine Uhr und stelle fest, dass die Zeit für das Abendessen bald gekommen ist - wie schön. Um auf Nummer sicher zu gehen, schaue ich in den Eisschrank und stelle fest, dass mehrere T-Knochen Steaks nur darauf warten, auf den heissen Grill geworfen zu werden. Ruckzuck richte ich die Fleischspezialitäten auf einem schönen Holztablett an und beginne, gesunden Knoblauch zu schälen und Petersilie zu zerkleinern - das könnte nicht einmal ein Vier-Sterne-Koch besser. Danach bereite ich eine stattliche Portion Kräuterbutter zu und vergesse auch nicht, auf dem Ofenblech lustige Kartoffelstäbe (unlöblich: French Fries) auszubreiten - schon jetzt läuft mir das Wasser im Munde zusammen. 
17.30 Uhr Während sich die Kartoffeln im Backrohr sonnen, entfache ich ein löbliches Feuer und öle meine ausgetrocknete Kehle mit einem kräftigen Schluck Budweiser - das tut so richtig gut. Zu stimmungsvollen Landmusikklängen einer Willie Nelson Kompaktscheibe werfe ich die Fleischstücke auf den zischenden Rost und lasse es mir nicht nehmen, Frau Gomez zum Abendessen einzuladen. Leider windet sich die nette Frau aus der Verantwortung und gibt vor, gegen halb sieben einem wichtigen Termin nachkommen zu müssen - wie schade. Trotz allem lasse ich mir die gute Laune nicht verderben und zaubere in minutenschnelle einen Tomatensalat mit Zwiebelringen und Olivenöl - wie gut das duftet. 
18.15 Uhr Düdeldü - endlich ist es so weit und ich kann mich an den Tisch auf der Veranda setzen und ordentlich zugreifen. Während ich meinen Hunger stille und mir ein weiteres Bier zu Gemüte führe, lausche ich dem Qualitätsradioprogramm von "WCKT CAT COUNTRY" und erfahre, dass nach ersten Auszählungen der republikanische Präsidentschaftskandidat Rudy Giuliani bei den Vorwahlen in Florida gescheitert ist und nicht einmal 20% der Stimmen einheimsen konnte. Ferner berichtet der Moderator, dass John McCain derzeit mit grossem Vorsprung in Führung liegt - das soll mir ganz Recht sein. 
19.00 Uhr Nachdem ich den Tisch mit einem nassen Lappen abgewischt, die schmutzigen Teller in die Geschirrspülmaschine geräumt und das Grillfeuer ordnungsgemäss gelöscht habe, ziehe ich mich verschwitzt ins Haus zurück und lasse den Abend vor dem Fernseher ausklingen. Um stets auf dem neuesten Stand zu sein, informiere ich mich auf CNN über die aktuellen politischen Geschehnisse und lerne, dass die Wahllokale in Florida vor wenigen Augenblicken geschlossen haben. Ausserdem gibt der Sprecher bekannt, dass John McCain wirklich die Vorwahlen für sich entscheiden und Mick Romney, Rudy Giuliani und Mike Huckabee auf die folgenden Plätze verweisen konnte - wie aufregend. 
19.30 Uhr Nach den informativen Nachrichten drücke ich mich weiter durchs Programm und bleibe letztendlich auf "TNT" hängen, um mir den spannenden Film "Open Water" (löblich: Offenes Wasser) anzusehen. Staunend werde ich Zeuge, wie zwei Taucher mit einem Boot in See stechen und ein Riff auf offener See erkunden. Als Frau Susan und Herr Daniel wieder auftauchen, fehlt vom Schiff jedoch jede Spur - wie schrecklich. Während der folgenden 90 Minuten versuchen die beiden verzweifelt nach Hilfe zu rufen und das Festland zu erreichen. 
21.00 Uhr Kopfschüttelnd drücke ich auf den "OFF" (löblich: AUS) Knopf und kann gar nicht glauben, dass im amerikanischen Fernsehen zur besten Sendezeit solche Gruselfilme ausgestrahlt werden. Mit den Nerven am Ende unternehme ich einen letzten Rundgang durchs Haus und gehe dann zu Bett, um noch etwas in der Bibel zu lesen. Gute Nacht.

 

verfasst von Reinhard Pfaffenberg am 29.01.2008
© Reinhard Pfaffenberg