06.30 Uhr Ich erwache unlöblichst und habe gar keine
Orientierung. Erst nachdem ich aus dem Fenster geblickt und einen silberfarbenen
Dodge Magnum auf der Strasse gesehen habe, fällt mir ein, dass ich mich seit
gestern bei meiner Familie in Toronto befinde - wie schön. Ruckzuck öffne ich
das Fenster und führe bei eiskalten Temperaturen und Schneefall den wichtigen
Frühsport an der frischen Luft durch - Morgenstund' hat bekanntlich Gold im
Mund.
06.45 Uhr Obwohl es noch nicht einmal sieben Uhr geschlagen hat, begebe ich mich
schnurstracks ins Badezimmer und läute den Tag mit einem Wirbelbad der
Extraklasse ein. Während ich zu Schwamm und einer duftenden Lavendelseife
greife, lausche ich dem Kurzwellenradioprogramm aus meiner weissblauen Heimat
und höre, dass die öffentlich rechtlichen Fernsehsender in der Zuschauergunst
auf ein Rekordtief abgerutscht sind - das war auch nicht anders zu erwarten. Das
renommierte Hamburger Magazin "Spiegel" berichtet unter Berufung auf
Prognosen der besagten Sender, dass der Marktanteil der ARD trotz Quotenbringer
wie Volksmusiksendungen und Sportübertragungen nur noch 13,4 Prozent beträgt -
das ist ja allerhand. Noch schlechter fallen nach Angaben der Wochenzeitung die
Anteile des ZDF aus. Der Sender rechnet nach aktuellen Erhebungen nur noch mit
einem Wert von geschätzten 12,8%. Dieses Beispiel zeigt anschaulich auf, dass
immer weniger Bundesbürger die durch Zwangsgebühren finanzierten Kanäle
einschalten und sich dem fragwürdigen "Qualitätsprogramm" widmen.
Zieht man die Zahlen der konkurrierenden Privatsender heran, erkennt sogar jedes
Kind, dass die Menschen in Deutschland viel lieber RTL oder SAT1 ihr Vertrauen
schenken und kaum mehr gewillt sind, zwielichtigen Polit-Formaten wie
"Frontal 24", "Monitor" oder "Fakt" beizuwohnen.
Zu allem Überfluss hat sich vor wenigen Tagen mit Bernd Neumann ein
Kulturstaatsminister zu Wort gemeldet und noch höhere Gebühren für das ZDF
gefordert. Laut eines Berichts der "Süddeutschen Zeitung" soll der
Heini eine Umverteilung der Fernsehgebühren zu Gunsten des ZDF ins Gespräch
gebracht haben - das wird ja immer schöner. Anstatt dem Fernsehzuschauer immer
tiefer in die Geldbörse zu greifen, wären die Verantwortlichen besser beraten,
das GEZ-Geschäftsmodell schnellstens zu überdenken und die Gebühren auf ein
angemessenes Mass zu senken. In Zeiten, in denen über viel zu hohe
Menetschergehälter debattiert wird, sollten auch die überheblichen Intendanten
des öffentlich rechtlichen Fernsehens ihren Beitrag leisten und ihre Gürtel
etwas enger schnallen.
07.45 Uhr Stinksauer beende ich das Badevergnügen und werfe mich sauber in
Schale. Nachdem ich in eine frisch gewaschene WRANGLER Tschiens sowie einen
modernen Pullover geschlüpft bin, eile ich nach unten und sehe, dass David (2)
auch schon auf den Beinen ist und im Wohnzimmer mit einer Holzeisenbahn spielt -
wie schön. Selbstverständlich nehme ich den Kleinen unverzüglich auf den Arm
und geselle mich zu Amanda,
James, Georg und Maria an den reich gedeckten Frühstückstisch. Während
meine Schwägerin eine Tasse mit köstlichem Bohnentrunk auffüllt und mir ein
französisches Hörnchen (unlöblich: Croissant) anbietet, lacht Amanda in einer
Tour und kündigt grossspurig an, gleich zum Weihnachtsschopping aufbrechen zu
wollen - wie aufregend. Georg stimmt prompt zu und sagt, dass er sich heute
ebenfalls auf den Weg machen wird, um für Maria einen funkelnden Ring oder
andere Juwelen zu kaufen - gleich schlägt es Dreizehn. Da Weihnachten
bekanntlich das Fest der Liebe und nicht des Geldes ist, erteile ich diesen Ankündigungen
eine Absage und stelle unmissverständlich klar, dass ich nicht gewillt bin,
diesen Konsumwahn weiter mitzumachen. Maria stimmt zu und sagt, dass die
Menschen endlich aufhören müssen, aus dem drittwichtigsten Fest des
Kirchenjahres ein knallbuntes Konsumspektakel zu veranstalten - dieser Aussage
kann ich nichts mehr hinzufügen. Zufrieden greife ich zu meinem Champagnerglas
und gebe mit erhobenem Zeigefinger zu Protokoll, dass wir uns Marias Ansprache
zu Herzen nehmen und nicht über die Stränge schlagen sollten.
08.30 Uhr Just als ich mir etwas Trüffelpastete aus dem fernen Frankreich auf
eine geröstete Weissbrotscheibe (unlöblich: Toast) streiche und kraftvoll
zubeisse, klingelt es laut und ganz besonders aggressiv an der Türe. Zu meiner
Freude stattet uns James bester Freund, Herr Sam Dietz, einen kleinen Besuch ab
und lässt es sich nicht nehmen, sich zu uns an die Tafel zu setzen. Während
sich der Bube eine stinkende Zigarette anzündet, erkundige ich mich nach dem
Rechten und höre, dass Herr Dietz nur gekommen ist, um James zu den Proben für
das Konzert am Mittwoch abzuholen. Als ich mir weiterführende Informationen
erbete, überreicht mit der Gute ein Flugblatt (unlöblich: Flyer) und erzählt,
dass die Combo "Northstar" (unlöblich: Nordstern) am 26. Dezember mit
international anerkannten Musikanten in der "Ryan Cobbs Halle" im
Stadtteil Woodbridge auftreten wird. James geht sogar noch weiter und weist uns
darauf hin, dass seine Bande bei dieser Benefizveranstaltung als Vorgruppe für
"Blitzen Trapper" und "Blue Rodeo" herhalten muss - wie
aufregend. Obwohl ich nur Bahnhof verstehe, klopfe ich James anerkennend auf die
Schulter und versichere ihm, dass er bald Millionen Dollars verdienen wird und
sich ein schickes Strandhaus in Miami leisten kann.
09.30 Uhr Nachdem die fleissigen Leuten das Haus verlassen haben und in Herrn
Dietz Ford Mustang gestiegen sind, geselle ich mich mit Georg und David ins
Wohnzimmer und blättere im "Toronto Star" (löblich: Toronto Stern).
Während ich die bunte Seite überfliege, stosse ich plötzlich auf eine
halbseitige Hochglanzanzeige und lese, dass das renommierte "Eaton
Center" während dieser Woche mit einem Weihnachtssonderverkauf lockt.
Als ich meinem Bruder die Reklame unter die Nase halte, klatscht er in die Hände
und schlägt vor, den angebrochenen Tag dazu zu nutzen, letzte Einkäufe
zu tätigen - das ist gar keine schlechte Idee.
10.00 Uhr Da Amanda in der Zwischenzeit ebenfalls verschwunden ist und Maria
Weihnachtsvorbereitungen trifft, entschliessen wir uns spontan, David auf
unseren Ausflug mitzunehmen - das wird ein Spass. Gutgelaunt besteigen wir das
Lincoln Towncar (löblich: Stadtwagen) und machen uns daran, mit durchdrehenden
Reifen auf der Yongestreet in Richtung Süden zu preschen. Während John Denver
sein schönes Lied "Rocky Mountain High" (löblich: Felsige Berge
Hoch) zum Besten gibt, vertreiben wir uns die Zeit mit einem Kleingespräch (unlöblich:
Smalltalk) und kommen unter anderem auf Laura zu sprechen. Georg erzählt stolz,
dass seine Tochter vor kurzem eine Fortbildung absolviert hat und jetzt sogar
als Geschichtslehrerin fungieren darf - das ist wirklich super trouper.
Ferner höre ich, dass uns das Kind am Weihnachtsmorgen mit Sohn Paul (3) und
Lebensgefährten William einen Besuch abstatten wird - wie schön.
10.45 Uhr Nach einer kurzweiligen Fahrt treffen wir endlich im Stadtzentrum ein
und können den Wagen sicher in einem Parkhaus in unmittelbarer Nähe des
weltbekannten "Eaton Centers" abstellen - das klappt wieder wie am
Schnürchen. Um nicht noch mehr Zeit zu vertrödeln, nehme ich den laut
plappernden David huckepack und folge Georg mit schnellen Schritten in eines der
grössten Einkaufszentren, das der nordamerikanische Kontinent zu bieten hat. Während
mein Grossneffe aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommt und mir unentwegt auf
den Kopf trommelt, schaue ich mich verwundert um und komme zu dem Ergebnis, dass
sich in diesem vierstöckigen Gebäude Tausende Menschen tummeln - wie
aufregend.
11.00 Uhr Als erstes führt mich mein Bruder in eine Juwelierhandlung namens
"BIRKS" und lässt es sich nicht nehmen, sich von einem hochnäsigen
Verkäufer einige Halsketten und Armbänder aus Gold zeigen zu lassen. Obwohl
ich auf Marias Ansprache während des Frühstücks verweise, zuckt mein Bruder
nur mit den Schultern und meint, dass sich eine Frau über ein kostspieliges
Schmuckstück trotzdem freuen wird.
11.30 Uhr Nach langem Hin und Her fällt Georg eine Entscheidung und bezahlt ein
knapp 2.000 DOLLAR teures Weissgoldarmband mit seiner unlöblichen
Kreditkarte. Danach laufen wir tütenbepackt in den "Walt Disney
Store" (löblich: Walt Disney Geschäft) und werden Zeuge, wie David ganz
aus dem Häuschen gerät und sich zu Weihnachten nichts sehnlicher als ein
ferngesteuertes Plastikauto wünscht. Misstrauisch beäuge ich die Ware und
nehme ein Spielzeug namens "McQueen Remote Control Car" (löblich: McKönigin
Fernsteuer Auto) genauer in Augenschein. Der Bube bekommt umgehend leuchtende
Augen und sagt, dass dieses Fahrzeug aus dem Disneyfilm "Cars" (löblich:
Autos) stammen muss - wie unlöblich.
12.00 Uhr Um dem Kleinen eine Freude zu bereiten, übergebe ich ihn in die Obhut
seines Opas und eile in einem unbeobachteten Augenblick zur Kasse, um das
Spielzeug mit einer druckfrischen 100 DOLLAR Note zu bezahlen. Die freundliche
Kassiererin bedankt sich recht herzlich für den Einkauf und steckt mir als
kleines Dankeschön ein Freiexemplar des Disneyfilms "Dumbo - der fliegende
Elefant" in die Plastiktüte - wie freundlich.
12.30 Uhr Da mir nach dem Stress des Vormittags der Magen knurrt, entscheiden
wir uns, in eine einladende "Starbucks" Kaffeeteria einzukehren und
uns einen Bohnentrunk sowie lustige Schmalzkringel zu gönnen. Bei
stimmungsvoller Weihnachtsmusikberieselung setzen wir uns an einen schönen
Tisch und lassen uns zwei Becher mit köstlichem "White Chocolate
Frappuccino® blended crème" (löblich: italienischer Kremkaffee mit
weisser Schokolade) sowie mehreren Schokoladendonuts munden - das schmeckt nicht
schlecht. Natürlich lasse ich den kleinen David ebenfalls kosten und erkläre
ihm, dass ein Heissgetränk bei eisigen Aussentemperaturen nicht schaden kann.
13.00 Uhr Düdeldü - frisch gestärkt machen wir uns wieder auf den Weg und
besuchen als nächstes einen gut sortierten Musikladen namens "HMV".
Da James ausschliesslich amerikanische Land- sowie Felsenmusik hört, lasse ich
die Klassikabteilung links liegen und geselle mich zu den lederjackentragenden
Rockern, um ein geeignetes Präsent für meinen löblichen Neffen auszusuchen.
Georg steht mir dabei tatkräftig zur Seite und meint, dass sich der Junge über
eine Keith Urban Platte bestimmt freuen würde. Da ich heute die Spendierhosen
anhabe, greife ich auch noch zur Rascal Flatts Neuveröffentlichung "Still
Feels Good" (löblich: Fühlt sich immer noch gut an) und begleiche die
gesalzene Rechnung über 28,98 Dollars kurzerhand mit mehreren bunten Scheinen -
wenn das so weitergeht, muss ich spätestens im Januar ins Armenhaus umziehen.
14.00 Uhr Um nicht dem Konsumwahn zu verfallen, kehren wir entnervt zu unserem
Wagen zurück und haben grösste Schwierigkeiten, aus dem überfüllten Parkhaus
auszufahren. Als wir uns nach einigen Minuten auf der Strasse wieder finden,
stehen wir in einem kilometerlangen Stau - das darf doch wohl nicht wahr sein. Nörgelnd
deute ich auf die vielen Falschparker und mache Georg wild gestikulierend klar,
dass ich wegen dieser Zustände Bayern verlassen habe. Erst nach mehrmaligem
Hupen bewegt sich die Blechlawine vorwärts und wir können auf der Yonge
Strasse in Richtung stadtauswärts weiterfahren. Während der Heimfahrt folgen
wir dem Radioprogramm eines örtlichen Musiksenders und haben das zweifelhafte
Vergnügen, dem Weihnachtslied "Last Christmas" (löblich: Letztes
Weihnachten) der englischen Radaucombo "Wham" lauschen zu dürfen.
Georg kommt aus dem Schimpfen auch nicht mehr heraus und sagt, dass die
Verantwortlichen des Senders ganz vergessen haben, dass es neben "Last
Christmas" auch noch andere Weihnachtslieder gibt - wie wahr.
14.30 Uhr Zurück im beschaulichen Wohngebiet, steuert mein Bruder gekonnt ein
kleines Geschäft namens "Cayne's Super Houseware" (löblich: Cayne's
Super Haushaltswaren) in der Doncaster Avenue an und erzählt, dass er hier auch
noch ein klitzekleines Geschenk für Maria abholen muss. Da David (2) im Reich
der Träume ist und genüsslich an seinem Daumen lutscht, bleibe ich im Fahrzeug
sitzen und begebe mich frequenzraddrehend auf die Suche nach einem
stimmungsvollen Radiosender. Zu allem Überfluss stosse ich nach wenigen
Augenblicken auf ein Programm aus der Hauptstadt, das es sich zur Aufgabe
gemacht hat, das ganze Land mit nervtötender Polkamusik zu beschallen - das ist
ja kaum auszuhalten. Um keinen Gehörschaden davonzutragen, stelle ich kopfschüttelnd
den Landmusiksender "CICX" aus Midland ein und fröne dem neuen Kenny
Chesney Weltschlag "Don't Blink" (löblich: Blinke nicht) - da kommt
Freude auf.
15.00 Uhr Als es leicht zu scheinen beginnt, kommt Georg aus dem Geschäft
gelaufen und hievt einen schweren Karton in den Kofferraum. Als ich mich nach
dem Inhalt erkundige, teilt mir mein Bruder mit, dass er seine Ehefrau am
Weihnachtsmorgen nicht nur mit dem Weissgoldarmband, sondern auch noch mit einer
Saeco Espressomaschine überraschen wird - das ist echt der Hammer.
15.15 Uhr Zuhause angekommen, hänge ich meinen modischen Lodenmantel an die
Garderobe und setze mich zu meiner teetrinkenden Schwägerin in die Küche. Wie
nicht anders zu erwarten, möchte die Gute sofort wissen, wo wir in den letzten
Stunden waren. Um mich nicht wieder zu verplappern, zucke ich demonstrativ mit
den Schultern und gebe vor, dass wir lediglich durch die Innenstadt gekrust sind
und uns eine schmackhafte Brotzeit in einer Starbucks Filiale geleistet haben.
15.45 Uhr Während Maria einen Weihnachtsstollen ins Backrohr schiebt und Georg
skeptische Blicke zuwirft, ziehe ich mich erschöpft auf mein Zimmer zurück und
lege mich aufs Ohr. Schon wenig später schlummere ich ein und träume von
meinen Haustieren und
dem bescheidenen Heim im
Waldweg 11 - wie schön.
16.45 Uhr Ich erwache ausgeschlafen und erkenne beim Blick auf meine wertvolle
ROLEX, dass meine Schwägerin in Kürze zum Abendessen rufen wird. Gutgelaunt
laufe ich nach unten und finde die ganze Familie kaffeetrinkend im Wohnzimmer
versammelt. Als ich James zur Rede stelle, erfahre ich, dass er seinen
Probeauftritt bereits hinter sich gebracht hat und jetzt drei Tage Urlaub machen
kann - das ist wirklich phantastisch. Um die Wartezeit bis zum Abendessen
sinnvoll zu gestalten, ziehe ich mich mitsamt einer gefüllten Kaffeetasse in
Georgs Arbeitszimmer zurück und stelle gekonnt die Internetzverbindung her.
Dank modernster Datenfernübertragung ist es mir auch in Kanada möglich,
Zugriff auf meine Internetzpräsenz zu erhalten und den elektronischen
Postkasten abzurufen - wie aufregend. Wie gewohnt kümmere ich mich um die
wichtige Anschnurarbeit und beantworte Fragen,
die meinen Heimseitenbesuchern auf den Nägeln brennen. Unter anderem berichtet
Frau Hildegard D. aus Rostock, dass ihre Tochter Chantal (16) das Weihnachtsfest
mit Freunden in einem Tanzlokal
verbringen möchte - wie unlöblich. Um den Familienfrieden nicht zu gefährden,
rate ich der Dame zu weitreichenden Konsequenzen und stelle klar, dass man der
frechen Maid nicht alles erlauben kann. Um ein klares Zeichen zu setzen, fordere
ich die Mutter ausserdem auf, dem Kind kein Weihnachtsgeschenk zu überreichen
und ihm stattdessen das Taschengeld
für mehrere Monate zu streichen.
17.30 Uhr Nachdem ich eine Depesche an Herrn
Wang ins Rentnerparadies gesendet und die neuesten Einträge im
elektronischen Gästebuch überprüft habe, gehe ich von der Leine und kehre zu
meinen Liebsten in die Küche zurück. Während ich mir zungeschnalzend ein
Labatt Blau Bier aus dem Eiskasten hole, verkündet Maria, dass es heute Abend
etwas ganz besonderes zu Essen gibt - wie schön. Natürlich spähe ich sofort
in die Töpfe auf dem Herd und sehe, dass meine Schwägerin Züricher
Geschnetzeltes mit Bandnudeln zubereitet hat - schon beim Anblick der feinen
Speise läuft mir das Wasser im Munde zusammen.
18.00 Uhr Endlich ist es soweit und wir können uns an den Esstisch setzen und
saubere Portionen im Empfang nehmen. Natürlich lange ich kräftig zu und lobe
meine Schwägerin für ihre Kochkünste. Während wir uns die Köstlichkeit
redlichst munden lassen, kommt mein Bruder auf unseren Ausflug in die Wildnis zu
sprechen und erzählt, dass er heute Nachmittag mit dem Hüttenbesitzer
telefoniert hat und in Erfahrung bringen konnte, dass am Lake Simcoe während
der letzten Tage ein halber Meter Neuschnee gefallen ist - wie aufregend.
Ausserdem meint Georg, dass er seine Flinte mitnehmen und die Gelegenheit beim
Schopf packen wird, um ein Reh oder vielleicht sogar einen Hasen zu schiessen -
wie unlöblich. In meiner Funktion als Tierfreund erteile ich dieser Schnapsidee
eine sofortige Absage und stelle klar, dass ich unter keinen Umständen gewillt
bin, einem löblichen Wildtier eine Ladung Schrot zu verpassen - wo kämen wir
denn da hin.
18.45 Uhr Nachdem wir die Abfahrt in die Wildnis auf den kommenden Freitag
festgelegt haben, lege ich das Besteck zur Seite und lehne mich zurück. Mein
Bruder kann ebenfalls kaum mehr die Gabel halten und sagt, dass nach diesem
Festessen ein vitaminreicher Whiskey nicht fehlen darf - dazu sage ich nicht
nein.
19.00 Uhr Während Amanda ihrer Schwiegermutter in der Küche zur Hand geht und
den Abwasch erledigt, nehme ich in Gesellschaft von James und Georg im
Wohnzimmer platz und lasse mir einen 12 Jahre alten Schnaps aus der kanadischen
"Black Velvet" (löblich: Schwarzer Samt) Destille schmecken - das tut
richtig gut. Zufrieden nehmen wir vor dem Fernseher platz und läuten den gemütlichen
Teil des Abends mit den Nachrichten auf CNN ein. Nachdem wir uns über das
politische Geschehen informiert haben, klappt Georg seinen modernen Laptop auf
und sagt, dass ich mir unbedingt das neue Weihnachtsvideo aus dem Weissen Haus
ansehen muss - wie aufregend.
19.30 Uhr Da sich Maria und Amanda in der Zwischenzeit zu uns
gesetzt haben, verfrachtet mein Bruder kurzerhand eine funkelnde DVD Scheibe in
das Abspielgerät und erklärt, dass wir uns den Abend mit dem schönen Western
"September Dawn" (löblich: September Sonnenuntergang) versüssen
sollten - das kann mir nur Recht sein. Während der Whiskey in Strömen fliesst
und wir uns an selbstgebackenen Plätzchen laben, verfolgen wir gespannt die
Geschichte einiger Siedler, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts im Land der
Mormonen niederlassen und ein neues Leben beginnen wollen. Während die
fanatischen Mormonen zu den Waffen greifen und die armen Siedler an ihrem
Vorhaben hindern wollen, verliebt sich ein junger Mormone zu allem Überfluss
auch noch in die hübsche Tochter des Siedler-Pastors - wie aufregend. Während
der Streifen zu seinem dramatischen Finale hinsteuert, berichtet Georg, dass
dieser Film die wahren Begebenheiten des sagenumwobenen "Mountain Meadows
Massakers" vom 11. September 1857 thematisiert, bei dem angeblich knapp 140
Menschen auf brutalste Weise ermordet wurden. Gott sei Dank liegt dieses dunkle
Kapitel der amerikanischen Geschichte schon lange Zeit zurück und wurde
redlichst aufgearbeitet.
21.30 Uhr Nach 120 spannenden Minuten drückt Georg auf den "OFF" (löblich:
AUS) Knopf der neumodernen Fernbedienung und erklärt den Fernsehabend für
beendet - wie schön. Laut gähnend stehe ich auf und gebe meinen Liebsten zu
verstehen, dass ich mich nun zurückziehen und ins Bett gehen werde.
22.00 Uhr Nachdem ich mein Whiskeyglas in die Spülmaschine gestellt und eine
heisse Dusche genossen habe, gehe ich zufrieden ins Gästezimmer und schlafe
schon bald ein. Gute Nacht.