28.05.2006
28.05.2006
07.00 Uhr Ich erwache ausgeschlafen und strecke mich redlichst. Bevor ich den Tag mit der wichtigen Morgengymnastik beginne, drücke ich schnell auf den "ON" Knopf meines leistungsstarken Radios und lausche dem schönen Lied "Come on Over" (löblich: Komm herüber) der bekannten amerikanischen Landmusiksängerin Scheneia Twain. Beschwingt von den stimmungsvollen Klängen recke und strecke ich mich redlichst und absolviere sogar den Hampelmann - wer rastet der rostet.
07.30 Uhr Düdeldü - nachdem ich meinen Hausschuh in die Garten geschleudert und die ekelerregenden Ajaja Vögel aus dem Schwimmbecken vertrieben habe, entspanne ich mich bei einem erquickenden Vollbad und lausche mit dem Weltempfänger den Nachrichten aus der fernen Heimat. Unter anderem berichtet der Radiosprecher, dass unser schöner Bundesarbeitsminister Franz Müntefering wieder einmal mit dem Gedanken spielt, einen neuen Vorstoss in der Kapitalismusdebatte zu wagen - das hat gerade noch gefehlt. Laut einstimmigen Pressemeldungen hat sich der beliebte Gutmensch in den letzten Tagen negativ über weltweit agierende Firmen geäussert und erklärt, dass er es als seine Pflicht ansieht, vor einer "ungehemmten Macht der Märkte zu warmen". Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitiert sogar aus einem Manuskript und teilt in der aktuellen Sonntagsausgabe mit, dass der Vizekanzler demnächst eine Grundsatzrede halten wird, um das vereinte Europa zum Kampf gegen die globalisierten Märkte aufzurufen. HEUREKA - angeblich soll Müntefering auch davon gesprochen haben, dass die "Weltwirtschaft keine Rücksicht auf eine nationalstaatlich verfasste Politik nehme und potentiell ungehemmt und ohne soziale Regeln agiere" - diesen Unsinn muss man gehört haben. Anstatt ewig gestrige Thesen zu verbreiten und den links- sowie rechtsradikalen Parteien in Deutschland immer mehr Zulauf zu verschaffen, sollte sich Herr Müntefering mit elementaren Dingen beschäftigen und die Weichen für einen wirtschaftlichen Aufschwung stellen. Schliesslich weiss jedes Kind, dass nur sozial ist, was auch Arbeit schafft.
08.15 Uhr Nachdem ich meinen nagelneuen Smoking aus der bekannten "PERRY ELLIS" Schneiderei angezogen habe, gehe ich in die Küche und nehme bequem am Frühstückstisch platz. Ich lasse mir geröstete Weissbrotscheiben (unlöblich: Toast) sowie gesunde Maisflocken mit Milch schmecken und greife nebenbei zum Telefon, um bei Herrn Wang anzurufen. Mein Nachbar meldet sich nach dem ersten Klingeln und teilt mir mit, dass die Hochzeit von Frau Goldsmith und Herrn Porello schon um 10.00 Uhr auf der Terrasse der "Southern Club" Wirtschaft im Vinyards Community Park stattfindet - wie aufregend. Selbstverständlich ist Herr Wang so freundlich und verspricht, mich in zirka dreissig Minuten abzuholen.
08.30 Uhr Da ich noch etwas Zeit habe, begebe ich mich ein zweites Mal ins Bad und steile mein Haar redlichst mit etwas BRISK Haarschmiere - schliesslich will ich bei den Feierlichkeiten ganz besonders schick aussehen.
09.00 Uhr Just als ich es mir am Schwimmbecken bequem mache, um wegen der grossen Hitze ein grosses Glas Coca Cola zu trinken, springt Herr Wang mit Schwung über den Gartenzaun und sagt, dass wir langsam aufbrechen sollten - diesen Stress hält nicht einmal der stärkste Rentner aus. Missgelaunt folge ich meinem guten Freund und treffe kurze Zeit später im nahegelegenen Vinyards Community Park ein. Obwohl die Trauungszeremonie erst in einer halben Stunde anfängt, haben sich schon Dutzende Männer in schwarzen Anzügen sowie stark geschminkte Frauen mit hochgesteckten Frisuren auf der Sonnenterrasse der Gaststätte eingefunden. Angeregt halte ich mit den Leuten Kleingespräche (unlöblich: Smalltalk) und stelle fest, dass fast alle Gäste italienische Nachnamen tragen und der Familie des Verlobten angehören - wie merkwürdig.
09.30 Uhr Als ich mir gerade einen spritzigen Schaumwein der Marke "Crystal" zu Gemüte führe und mit einem aus New York stammenden Immobilienmakler namens Vince Sacrimoni über die Grundstückspreise in Florida plaudere, stösst mich Herr Wang dezent in die Seite und macht mich darauf aufmerksam, dass sich zwei Männer mit Sonnenbrillen am Gartenzaun postiert haben und unentwegt fotografieren. HEUREKA - neugierig wie ich nun mal bin, erkundige ich mich bei einem der Fotografen nach dem Grund und höre ganz nebenbei, dass die Männer vom FBI sind und verdächtige Mafiagrössen ablichten - nun wird mir einiges klar. Um wirklich ganz sicher zu gehen, überprüfe ich die Ausweise der Herren und kehre dann kopfschüttelnd zu den anderen Gästen zurück.
09.45 Uhr Verärgert unterrichte ich Herrn Wang von der Neuigkeit und fordere ihn auf, mit mir umgehend dieses Fest zu verlassen. Leider will mein Bekannter von all dem nichts wissen und deutet freudig auf Scherriff Bradfort, der gerade biertrinkend aus der Gaststätte zu uns stösst. HEUREKA - da ich ein redlicher Mensch bin und mit Verbrechen aller Art nichts zu tun haben will, unterrichte ich auch dem Gesetzeshüter von meinem Gespräch und mache ihm klar, dass er sofort alle Hochzeitsgäste verhaften sollte. Anstatt sofort die Handschellen zu zücken, blickt der Scherriff grimmig drein und fordert mich auf, die ganze Mafiageschichte zu vergessen und stattdessen das Fest in vollen Zügen zu geniessen - schliesslich handelt es sich hier um Angelegenheiten der Bundespolizei.
10.00 Uhr Pünktlich auf die Minute kommt ein löblicher Pfarrer daher und ruft die Besucher auf, mit auf das bestuhlte Areal neben der Gaststätte zu kommen. Gemeinsam mit Scherriff Bradfort und Herrn Wang nehmen ich auf einem klapprigen Plastikstuhl in der siebten Reihe platz und halten Ausschau nach dem Brautpaar.
10.15 Uhr Nach kurzer Wartezeit ertönt endlich Musik aus den Lautsprechern und Herr Porello und Frau Goldsmith schreiten mit den Trauzeugen und unter dem Applaus der Gäste nach vorne. Als sich die Beiden endlich vor dem Pfarrer eingefunden haben, ermahnt uns der fromme Mann zur Ruhe und hält eine ergreifende Ansprache - wie eindrucksvoll. Just als Herr Porello seiner Angetrauten den Ring an den Finger steckt und ihr ewige Treue schwört, kann sich der Scherriff ein Lachen nicht verkneifen und macht mich darauf aufmerksam, dass sich Herr Porello schon jetzt eine junge Freundin in Fort Myers hält - wie schrecklich. Missgelaunt verfolge ich die Trauung und wünsche mich insgeheim in den Waldweg zurück. Wenn ich vorher gewusst hätte, dass ich es hier mit Kriminellen, Mafiosi und Ehebrechern zu tun bekomme, wäre ich gleich nach meinem vielumjubelten Auftritt in Dallas nach Hause geflogen - nun habe ich den Salat.
11.00 Uhr Endlich habe ich den Hauptteil der Veranstaltung hinter mich gebracht. Ich springe schwitzend und von Rückenschmerzen geplagt von meinem unbequemen Sitz und gebe meinen Freunden zu verstehen, dass wir uns angesichts der vielen Kriminellen jetzt zurückziehen und uns ein Bier im Lowbank Drive genehmigen sollten. Herr Wang schüttelt abermals den Kopf und kündigt an, dass uns gleich ein reichhaltigen Büfett in der Gaststätte erwartet - wie interessant.
11.15 Uhr Bevor wir in das Gasthaus schreiten, schüttle ich die Hände des Brautpaares und wünsche eine glückliche Ehe. Frau Goldsmith freut sich sehr mich zu sehen und teilt mir zwinkernd mit, dass ich sie bei der anschliessenden Feierlichkeit ruhig zu einem Tänzchen auffordern darf. HEUREKA - natürlich greife ich sofort an meinen Rücken und gebe vor, wegen eines Bandscheibenvorfalls leider nicht lange stehen zu können. Frau Goldsmith wird schnell einsichtig und ruft die Gemeinde auf, mit in den feierlich dekorierten Speisesaal zu kommen - das wurde auch langsam Zeit.
12.00 Uhr Während Herr Porello eine kurze Rede hält und Frau Goldsmith nebenbei Geschenke und Geldumschläge entgegen nimmt, lasse ich mich gemeinsam mit meinen Freunden an einem Tisch nieder und deute nörgelnd auf meine Uhr - hoffentlich eröffnet der Herr des Hauses bald das Büfett.
12.30 Uhr Nach langem Hin und Her ist es endlich so weit. Ich stürze als einer der ersten an die reichhaltig gedeckte Tafel und lade mir italienische Vorspeisen, Nudelsalat, herausgebratene Schnitzel und mehrere Scheiben Langbrot auf den Teller. Herr Bradfort tut es mir natürlich gleich und schafft es sogar, drei T-Knochen Steaks übereinander zu stapeln - wie schön. Als wir zu unserem Tisch zurückkehren, leisten uns zwei schwergewichtige Italiener Gesellschaft und berichten, dass sie aus Newark, New Jersey stammen und in der staatlichen Müllbranche aktiv sind - wie interessant. Natürlich frage ich ganz genau nach und erkundige mich, ob man mit dem Abfall anderer Leute seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Einer der freundlichen Herren zuckt jedoch nur mit den Schultern und sagt, dass er eigentlich nur im Büro sitzt und sich mit Kreuzworträtseln und Pfeilwerfen (unlöblich: Dart) die Zeit vertreibt - wie unlöblich.
13.30 Uhr Just als eine Musikkapelle alte Schlager wie zum Beispiel "Big Girls Don't Cry" (löblich: Grosse Mädchen weinen nicht), "Can't Take My Eyes Off Of You" (löblich: Kann meine Augen nicht von Dir nehmen) oder "Volare" zum Besten gibt, schlendere ich entspannt durch den Saal und statte dem Brautpaar am Haupttisch einen kurzen Besuch ab. Herr Porello ist ganz besonders freundlich und bittet mich, neben ihm platz zu nehmen. Selbstverständlich komme ich der Bitte sofort nach und frage, wohin die Hochzeitsreise denn gehen soll. Der frischvermählte Herr zögert nicht lange und berichtet, dass er im Juli für drei Wochen nach Neapel reisen und gemeinsam mit seiner Frischangetrauten den Vesuv besuchen wird - wie aufregend. Da die Beiden ausserdem eine kleine Rundreise durch Europa planen, gebe ich wertvolle Ratschläge und erzähle, dass z.B. auch das schöne Wien immer eine Reise wert ist.
14.30 Uhr Als Nachspeise werden nun auch noch Kaffee und Kuchen serviert - wo soll das noch hinführen. Da mein Hosenbund nach dem deftigen Mittagessen bedrohlich spannt, öffne ich heimlich den Knopf und lasse mir dann ein grosses Stück Tiramisu sowie eine Tasse Schaumkaffee kredenzen - schmeckt wirklich nicht schlecht. Nebenbei halte ich weiter Kleingespräche mit anderen Gästen und erfahre von einem Schnurrbartträger, dass er während der Fussball Weltmeisterschaft nach Deutschland kommen und das Spiel der USA gegen Italien besuchen will - wie unlöblich. Obwohl ich den Herren auf die schrecklichen Auswirkungen dieser Veranstaltung aufmerksam mache, will er nicht auf mich hören und meint lapidar, dass er sich das Spiel zwischen der alten- und der neuen Heimat auf keinen Fall entgehen lassen wird - das soll mir auch Recht sein.
15.30 Uhr Langsam aber sicher geht die schöne Feier zu Ende - wie schade. Ich wünsche dem Brautpaar noch einmal viel Glück und verlasse dann unter dem Geknipse der FBI Beamten die schöne Gaststätte. Gemeinsam mit Herrn Wang kehre ich in mein schönes Eigenheim zurück und hole als erstes zwei Flaschen Löwenbräu Weissbier aus dem Eiskasten. Wir stossen redlichst an und lassen die Erlebnisse des Tages noch einmal Revue passieren. Nebenbei mache ich meinen Nachbarn darauf aufmerksam, dass ich bald meine Koffer packen und dem Rentnerparadies Lebewohl sagen muss - wie traurig. Leider steht schon in drei Tagen der Rückflug ins kalte und graue Deutschland auf dem Programm - mir bleibt auch gar nichts erspart.
16.30 Uhr Nachdem sich Herr Wang verabschiedet hat, nehme ich entspannt am Heimrechner platz und widme mich der wichtigen Anschnurarbeit. HEUREKA - im Briefkasten finde ich wieder jede Menge elektronische Post vor. Ich lese alle Briefe ganz genau durch und beantworte dann die Anfragen nach bestem Wissen und Gewissen. Unter anderem schreibt Herr Paul B. aus Hoyerswerda, dass seine Tochter Jenny (18) eine Reise gebucht hat und im August zum sogenannten Ballermann nach Mallorca fliegen wird. HEUREKA - natürlich lege ich dem armen Mann meine Anschnurreportage zum Thema "Urlaub" ans Herz und teile ihm ausserdem mit, dass er seiner Tochter mehrere Wochen Hausarrest verpassen sollte - als Erziehungsberechtigter darf man sich nicht alles bieten lassen.
17.30 Uhr Mausdrückend gehe ich von der Leine und beende die anstrengende Anschnurarbeit. Bevor ich das Abendessen einnehme, schlüpfe ich in meine moderne Badehose und hüpfe mit Anlauf in das Schwimmbecken - das tut so richtig gut. Ich ziehe einige Bahnen durch das angenehm kühle Wasser und tauche sogar zum Grund des Beckens - das soll mir erst mal einer nachmachen.
18.30 Uhr Frisch geduscht nehme ich im Sportanzug von ADIDAS auf der Terrasse platz und lasse mir eine kalte Wurstplatte mit Brot und lustigen amerikanischen Gewürzgurken munden - schmeckt gar nicht schlecht. Nebenbei werfe ich einen Blick in die Fernsehzeitung und erfahre, dass heute Abend ein ganz besonders spannender Spielfilm namens "In the Heat of the Night" (löblich: In der Hitze der Nacht) ausgestrahlt wird. HEUREKA - da ich Polizeifilme ganz besonders gerne mag, darf ich mir dieses Fernsehschmankerl natürlich nicht entgehen lassen.
19.30 Uhr Nachdem ich die Küche auf Vordermann gebracht habe, nehme ich kartoffeltschipsverzehrend und colatrinkend vor dem Fernseher platz und freue mich auf den heutigen Fernsehabend. Als erstes verfolge ich gespannt die Nachrichten auf CNN und schalte dann auf den Programmplatz von TCM um.
20.00 Uhr Pünktlich auf die Minute beginnt der spannende Film. Ich verfolge gespannt die herzzerreissende Geschichte eines schwarzen Bürgers in einer Kleinstadt im Süden der USA und kann gar nicht glauben, wie Schwarze hier zu Lande noch vor dreissig Jahren behandelt wurden.
22.00 Uhr Nachdem sich die Geschichte zum Guten gewendet hat, schalte ich das moderne Farbfernsehgerät aus und unternehme einen Rundgang durchs Eigenheim. Nachdem ich alle Fenster und Türen sicher verschlossen habe, gehe ich zufrieden ins Bett und schmökere noch etwas in meinem spannenden Agatha Christie Roman. Gute Nacht.
FBI Agenten fotografieren die Hochzeitsgäste:
Derweilen verzehre ich ein wohlschmeckendes Tiramisu:
Frau Goldsmith heiratet:
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Bericht: Löbliche Haarfrisuren:
http://pfaffenberg.permuda.net/haare.html
Bericht: Die Fussball Weltmeisterschaft:
http://pfaffenberg.permuda.net/wm2006.html
Bericht: Der löbliche Urlaub:
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Auch in der Ferne lese ich die elektronische Post ...
http://pfaffenberg.permuda.net/ebriefe.html
... und kümmere mich um Sorgen und Probleme von Erziehungsberechtigten:
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verfasst
von Reinhard Pfaffenberg am 28.05.2006
©
Reinhard Pfaffenberg |
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