20.04.2012
07.30 Uhr Ich werde durch das Fiepen meines Haustieres
geweckt und stelle mit Schrecken fest, dass der Hund den Vorhang
angeknabbert hat. Um von der Hotelverwaltung nicht zur Rechenschaft
gezogen zu werden, stehe ich augenblicklich auf und schiebe einen Sessel
vor den zerfetzten Vorhang. Nebenbei erhebe ich mahnend den Zeigefinger
und erkläre dem Vierbeiner, dass ich bei weiteren Verfehlungen hart
durchgreifen und ihn ins Tierasyl abschieden werde.
08.00 Uhr Während Dixon schmollt, entspanne ich mich bei einem
Vollbad mit Schaum. Zudem tippe ich Frau Pontecorvos Nummer ins NOKIA
Handtelefon
und freue mich, der Dame einen schönen guten Morgen wünschen zu können.
Meine Nachbarin kommt aus dem Plappern gar nicht mehr heraus und möchte
wissen, ob es mir in Atlanta gefällt. Ich nicke eifrig und stelle klar,
dass ich gleich das "Dogwood Festival" besuchen und mich von den
Strapazen der Anfahrt erholen werde. Meine Bekannte ist begeistert und
sagt, dass sie sich in Jacksonville ebenfalls wohl fühlt
- wie schön.
09.00 Uhr Nach der Morgenwäsche ziehe ich eine WRANGLER Tschiens
sowie ein modisches Hawaiihemd mit Papageienaufdruck an. Anschliessend
verlasse ich das super Hotelzimmer und klopfe an Edelberts Türe nebenan.
Der schlaue Mann öffnet prompt die Pforte und sagt, dass er schon
Hunger hat und das wichtigste Mahl des Tages im hoteleigenen
Frühstücksgasthaus einnehmen möchte. Ich schlage in die gleiche Kerbe
und betätige umgehend den Aufzugknopf.
09.30 Uhr Wenig später betreten wir das gutbesuchte "Sear
Restaurant" und bedienen uns am Büfett. Obgleich ich vom Abendessen
immer noch gesättigt bin, fülle ich meinen Teller mit frischen Früchten,
warmen Croissants (löblich: französischen Hörnchen), Käse und
geräuchertem Schinken auf. Edelbert nimmt mit einer stattlichen Portion
Grits Vorlieb und berichtet, dass diese Pampe aus geschrotetem Mais
gekocht und mit Zucker verfeinert wird. Ich zuckt mit den Schultern und
gebe Dixon eine Scheibe Schinken sowie etwas Cheddarkäse ab.
10.15 Uhr Redlichst gestärkt verlassen wir das 4 Sterne Haus an
der Peachtree Center Avenue und entschliessen uns, das erstbeste Taxi
herbeizuwinken und den Droschkenführer zu bitten, uns zum
"Piedmont Park"
zu kutschieren. Der Turbanträger lässt den Wählhebel der
Automatikschaltung gekonnt in der "D" Stellung einrasten und erkundigt
sich, ob wir das alljährlich stattfindende
"Dogwood Festival"
besuchen wollen. Ich stimme zu und antworte, dass wir aus dem fernen
Naples stammen und die lange Anreise auf uns genommen haben, um der
Kunst zu frönen. Der Schoffeur versorgt uns mit Infos und erzählt, dass
morgen Abend auf der "Main Stage" (löblich: Hauptbühne) die über die
Grenzen Amerikas hinaus bekannte Sängerin
Roberta Flack
aufspielen wird - wie aufregend. Wie jedes Kind weiss, feierte die aus
North Carolina stammende Musikerin mit "Killing Me Softly" (löblich:
Ermorde mich sanft) im Jahre 1974 einen grossen Welterfolg.
10.45 Uhr Nach einer dreissigminütigen Fahrt treffen wir am Ziel
ein und finden unzählige Verkaufsstände, Bühnen und Imbissbuden vor.
Mit Hund Dixon im Schlepptau spazieren wir über das menschenüberlaufende
Areal und erwerben für wenig Geld lustige Zuckerstangen sowie zwei
Becher hausgemachten Zitroneneistee - das schmeckt.
11.15 Uhr Da keine Wolke am Himmel steht, ziehen wir es vor, uns
unweit der "International Stage" (löblich: Internationale Bühne) ein
schattiges Plätzchen zu suchen und einem Ballartisten zuzuschauen, der
es sich zur Aufgabe macht, einen Tennisball auf der Nasenspitze zu
jonglieren. Weil ich heute zu Scherzen aufgelegt bin, lasse ich Dixon
von der Leine und animiere ihn, die gelbe Kugel zu apportieren. Der Rüde
lässt sich nicht zweimal bitte und sprintet bellend über die Wiese, um
wenig später den Tennisball vor meine Füsse zu legen - da kommt Freude
auf.
12.00 Uhr Just als wir an einem Verkaufsstand vorstellig werden
und zwei Portionen Jambalaya mit Rindfleischeinlage ordern, werden wir
plötzlich Zeugen, wie eine Schar Kinder auf die "International Stage"
stürmt und ein Lied anstimmt. Wir lassen uns unter einem blühenden
Kirschbaum nieder und haben während der Brotzeit das Vergnügen,
amerikanische Volkslieder zu hören. Der Chor der "Rosebud Elementary
School" (löblich: Rosebud Grundschule) gibt unter anderem "Johnny Get
Your Gun" (löblich: Johnny bekomm deine Waffe), "Dixie" und das aus der
Feder des Predigers Charles Albert Tindley stammende Protestlied "We
Shall Overcome" (löblich: Wir werden es überwinden) zum Besten - wie
schön.
12.45 Uhr Nach der stimmungsvollen Darbietung vertreten wir uns
die Beine und schlendern durch einen Kleidermarkt. Edelbert nimmt
farbenfrohe T-Hemden in Augenschein und sagt, dass hier ausschliesslich
Klamotten für junge Menschen feilgeboten werden. Ich rolle demonstrativ
mit den Augen und lade meinen Begleiter zu einem vitaminreichen "Hot
Dog" (löblich: heissen Hund) mit Sauerkraut ein.
Selbstverständlich mache ich auch Dixon eine kleine Freude und fordere
den Verkäufer auf, dem Mischling ebenfalls eine Wurst zu kredenzen.
13.30 Uhr Nachdem wir alles gesehen haben, verlassen wir den
Park und krusen zur zwei Meilen entfernten Auburn Avenue. Edelbert hält
wissenswerte Fakten bereit und berichtet, dass Martin Luther King in
dieser Gegend gewirkt und auch gelebt hat. Der dunkelhäutige Fahrer
stimmt Edelberts Aussagen zu und setzt uns kurzerhand vor einem Gebäude
mit der Hausnummer 501 ab. Unter anderem erfahren wir, dass der
Bürgerrechtler hier am 15. Januar 1929 das Licht der Welt erblickt hat -
das ist super. Beeindruckt zücke ich meine NIKON Digitalkamera und
lasse es mir nicht nehmen, einige Photografien anzufertigen. Edelbert
folgt meinem Beispiel und lotst mich im Anschluss zum
"Martin Luther King Jr. Recreation Center" (löblich: Martin Luther King Junior Erholungszentrum).
14.30 Uhr Obgleich ich mich angesichts des schwülwarmen Klimas
gar nicht wohl fühle, folge ich dem Professor ins sogenannte "King
Center" und bin überrascht, im Innenhof die Grabstätte des Predigers
bestaunen zu können. Dabei lernen wir anhand einer bronzenen Infotafel,
dass der gute Mann am 4. April 1968 um genau 18.01 Uhr auf dem Balkon
des "Lorraine Motels" vom mehrfach vorbestraften James Earl Ray
niedergeschossen wurde - wie schrecklich.
15.00 Uhr Weil Herr King viel bewegt und sich stets für die
Gleichberechtigung
eingesetzt hat, gehen wir zu guter Letzt in die "Ebenezer
Baptist Church" (löblich: Ebenezer Baptisten Kirche), um ein Gebet zu
sprechen und etwas Kleingeld in eine Spendendose zu werfen.
15.45 Uhr Danach folgen wir der Auburn Avenue in Richtung Westen
und fassen den Entschluss, auf ein Taxi zu verzichten und zu Fuss zum
Hotel zu laufen. Hund Dixon ist kaum zu bändigen und freut sich, an
jedem Blumenkübel sein Beinchen heben zu können. Während des
Spaziergangs halte ich mit Edelbert Kleingespräche (unlöblich:
Smalltalk) und merke an, dass wir morgen das Coca Cola Museum und den
Botanischen Garten besichtigen könnten. Der Professor ist einverstanden
und meint, dass es prima wäre, Abends auf dem "Dogwood Festival" schöner
Musik zu lauschen - das soll mir Recht sein.
16.15 Uhr Auf halber Strecke kommen wir an "Agatha's - A Taste
of Mystery - Restaurant" (löblich: Agathas - Ein mysteriöser Geschmack
Wirtschaft) vorbei und sehen, wie ein blutverschmierter Ganove
Leichenteile aus dem Lokal schleppt. Ich schlage entsetzt die Hände über
dem Kopf zusammen und unke, dass der Meuchelmörder über uns herfallen
wird. Edelbert beschwichtigt mich und macht mich auf den Umstand
aufmerksam, dass die Leichenteile aus Plastik gefertigt wurden und im
"Agatha's" am Abend Kriminalstücke aufgeführt werden - wie unlöblich.
17.00 Uhr Völlig erschöpft treffen wir im luxuriösen Marriott
Hotel ein und fahren mit dem Aufzug nach oben. Edelbert gähnt ausgiebig
und sagt, dass er sich nun umziehen und mich in eineinhalb Stunden ins
200 Meter entfernte
"Hard Rock Cafe"
einladen wird. Ich lecke mir die Lippen und erwidere, dass ein gesunder
"Red, White& Blue Burger" (löblich: Rot, Weiss und Blau Burger)
nicht schaden kann. Prof. Kuhn zwinkert mir zufrieden zu und erinnert
daran, dass wir uns gegen halb Sieben an der Hotelrezeption treffen
werden - wie schön.
17.30 Uhr Um am Abend eine gute Figur abzugeben, schlüpfe ich
aus den verschwitzten Kleidern und dusche mich ab. Anschliessend setze
ich mich schnaufend aufs Bett und trinke eine eiskalte Diät Cola aus der
Minibar.
Zudem wirke ich beruhigend auf Dixon ein und lasse ihn wissen, dass es
für ihn schlauer wäre, nicht ins Hard Rock Cafe mitzukommen. Der Rüde
legt jedoch seinen Kopf schief und zögert nicht, sich wie ein Derwisch
zu drehen und zur Türe zu laufen
- wie unlöblich.
18.15 Uhr Nachdem ich mich entspannt habe, leine ich den
störrischen Rüden an und fahre mit dem Aufzug nach unten. Meine
Reisebegleitung lässt nicht lange auf sich warten und kann es kaum noch
erwarten, ein reichhaltiges Abendessen einzunehmen.
19.00 Uhr Gutgelaunt kehren wir ins Hartfelsen Cafe ein und
haben das grosse Glück, einen Fenstertisch ergattern zu können. Weil ich
sehr hungrig bin, fackle ich nicht lange und animiere eine rassige
Kellnerin (31) mit barocken Formen, mir ein Budweiser sowie einen "Red,
White& Blue Burger" zu servieren. Edelbert entscheidet sich
ebenfalls für ein köstliches Fleischgericht und sagt, dass es immer
wieder Spass macht, in einem Hard Rock Cafe zu sitzen. Ich gebe mich
jedoch skeptisch und entgegne, dass ich mich mit der ohrenbetäubenden
Hartfelsenmusik gar nicht anfreunden kann.
20.00 Uhr Nach der feinen Brotzeit bestellen wir weitere Biere
und begutachten die Ausstellungsstücke an den Wänden. Unter anderem
sehen wir ein rotes Abendkleid, das einst von der 73jährigen Rockröhre
Tina Turner bei einem Konzert in Washington DC getragen wurde.
20.30 Uhr Da mir langsam die Augen zufallen, begleichen wir die
Rechnung in Bar und unternehmen einen erquickenden Spaziergang entlang
des John Portman Boulevards. Nebenher unterhalte ich mich mit dem
Professor und höre, dass wir morgen Ansichtskarten kaufen und
Urlaubsgrüsse an Verwandte und Freunde absenden sollten.
21.15 Uhr Kurz nach dem Neunuhrläuten bin ich wieder im
Hotelzimmer und schalte die Glotze ein. Während ich das Licht lösche und
mir die Zähne putze, hüpft Dixon ins Bett und rollt sich auf den
Rücken. Ich seufze laut und komme schnell zu dem Schluss, dass ich mir
das Bett wohl oder übel mit dem Vierbeiner teilen muss. Missmutig drücke
ich mich durch die Fernsehprogramme und bleibe letztendlich auf CNN
hängen, wo über den Präsidentschaftswahlkampf berichtet wird.
21.45 Uhr Als eine Werbeschau der mexikanischen Fluglinie
"AEROMAR" über den Flachbildschirm flimmert, schalte ich ab und wünsche
Dixon angenehme Träume. Gute Nacht.
verfasst
von Reinhard Pfaffenberg am 20.04.2012
©
Reinhard Pfaffenberg |
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