Reinhard Pfaffenbergs löbliches Tagebuch Archiv

 

 

25.01.2012

07.30 Uhr Ich öffne die Augen und habe gar keine Orientierung. Erst als ich auf den Balkon des "InterContinental Presidente Resort" trete, fällt mir ein, dass ich mich seit gestern Nachmittag in Cancún aufhalte - wie aufregend. Ich blicke in Richtung des Hotelschwimmbeckens und werde Zeuge, wie gut ein Dutzend übergewichtiger Frauen im kühlen Nass die Morgengymnastik absolvieren. Kopfschüttelnd kehre ich in die gute Stube zurück und nehme ein Vollbad mit Schaum.
08.00 Uhr Während des Badevergnügens tippe ich Edelberts Nummer ins NOKIA Handtelefon und ärgere mich, weil das Schnurlostelefon keine Verbindung aufbauen kann - das ist wieder typisch. An diesem Beispiel sieht man anschaulich, dass Mexiko ein Entwicklungsland ist und den Vereinigten Staaten von Amerika kaum das Wasser reichen kann. Trotz aller Widrigkeiten lasse ich mir die gute Laune nicht verderben und greife zur Seife, um mich ordentlich zu waschen.
08.45 Uhr Kurz vor dem Neunuhrläuten schlüpfe ich in modische Freizeitkleidung und statte Edelbert im Nachbarzimmer einen Besuch ab. Ich tippe auf meine goldene ROLEX und gebe zu Protokoll, dass es langsam Zeit wird, das Vier-Sterne-Hotel zu verlassen und die Maya Ruinen im Süden zu erkunden. Prof. Kuhn stimmt zu und entgegnet, dass wir uns zuvor im hauseigenen Frühstücksraum stärken sollten. Ich nicke eifrig und fordere meinen Bekannten auf, endlich in die Gänge zu kommen. Der schaue Mann gähnt ausgiebig und meint, dass er mich gegen 10 Uhr im Restaurant treffen wird - das ist wieder typisch.
09.00 Uhr Um mir nicht noch länger die Beine in den Bauch stehen zu müssen, klopfe ich an Frau Pontecorvos Türe und stelle erleichtert fest, dass sich die Gute bereits in Schale geworfen hat. Um der kleinen Frau eine Freude zu bereiten, lade ich sie kurzerhand zu einem erquickenden Strandspaziergang ein. Meine Nachbarin ist hellauf begeistert und folgt mir quasselnd zum Aufzug.
09.15 Uhr Wenig später verlassen wir die weitläufige Hotelanlage und saugen die frische Luft tief in unsere Lungen ein. Ich deute beeindruckt auf das azurblaue Wasser und informiere, dass in 500 Meilen Entfernung unser Zuhause liegt. Frau Pontecorvo seufzt in einer Tour und sagt, es bis Kuba auch nur ein Katzensprung ist. Bei dieser Gelegenheit schwärmt meine Bekannte in den höchsten Tönen und unterbreitet, dass es ein Jugendtraum ist, den 150 Meilen im Nordwesten liegenden Inselstaat zu besuchen und durch die Altstadt von Havanna zu schlendern - papperlapapp. Ich lache laut auf und erinnere an die Tatsache, dass es amerikanischen Staatsbürgern nur in Ausnahmefällen erlaubt ist, ins kommunistische Kuba einzureisen.
10.00 Uhr Nachdem wir Muscheln aufgesammelt und Sonne getankt haben, laufen wir zum Hotel und treffen Edelbert kaffeeschlürfend im Frühstücksraum an. Wir setzen uns dazu und ordern bei einer rassigen Kellnerin namens Lupita zwei grosse Frühstücke (unlöblich: Grande Desayuno), bestehend aus gebutterten Weissbrotscheiben (unlöblich: Toast), köstlichem Grillfleisch und einer undefinierbaren braunen Tunke. Frau Pontecorvo greift zu Messer und Gabel und sagt, dass es sich hierbei um eine deftige "Mole" (löblich: Sauce) handelt, die in Mexiko zu fast allen Speisen serviert wird - schmeckt gar nicht schlecht.
10.30 Uhr Während ich meine ausgetrocknete Kehle mit kräftigem Bohnentrunk öle, bringt Edelbert unseren geplanten Ausflug zu den El Rey Ruinen zur Sprache. Der Professor kratzt sich am Ohr und behauptet, dass es bequemer wäre, nicht im Hotelbus, sondern mit einem Taxi zur Sehenswürdigkeit zu fahren. Ich zeige mich schnell einverstanden und gebe vor, dass ich die Spendierhosen angezogen habe und die Kraftdroschke bezahlen werde.
11.00 Uhr Nachdem wir aufgegessen und der Bedienung ein stattliches Trinkgeld zugesteckt haben, eilen wir zum Ausgang und hüpfen ausgelassen in einen verrosteten TOYOTA. Der braungebrannte Fahrer (33) heisst uns herzlich Willkommen und erläutert, dass er sich im Stadtzentrum bestens auskennt und uns die günstigsten Einkaufsmöglichkeiten zeigen könnte. Wir lehnen dankend ab und fordern den Heini auf, die Maya Ruinen im Süden anzusteuern. Der Mexikaner schnalzt mit der Zunge und prescht mit quietschenden Reifen vom Gelände.
11.15 Uhr Während der dreissigminütigen Taxifahrt entlang der sogenannten "Zona Hoteleria" haben wir das Vergnügen, ohrenbetäubender Radiomusik zu lauschen und unzählige Hotelanlagen zu sehen. Der Schoffeur plappert unterdessen ohne Unterlass und setzt uns darüber in Kenntnis, dass im Januar viele Touristen nach Cancún kommen, um ausgelassen zu feiern - das soll uns auch Recht sein.
11.45 Uhr Endlich sind wir am Ziel und ich sehe mich genötigt, dem Halsabschneider 15 Dollars in die Hand zu drücken - wie unlöblich. Nörgelnd folge ich meinen Bekannten zu einem Steinhaufen und lerne anhand einer Infotafel, dass El Rey bereits ab etwas 300 nach Christus von den Mayas besiedelt war. Obgleich Forscher keine Reste von Wohngebäuden gefunden haben, geht man davon aus, dass dieser Ort ein wichtiger Umschlagsplatz für Waren aller Art war - wie aufregend.
12.30 Uhr Als die Sonne ihren Höchststand erreicht hat, spazieren wir zu einem Tempel und lesen, dass die Religion in der Kultur des indigenen Volkes einen grossen Stellenwert eingenommen hat. Edelbert versorgt uns mit Fakten und berichtet, dass Maya Priester die Sterne beobachtet und Kalender erstellt haben, um Vorhersagen für die Zukunft zu treffen. Ich schlage in die gleiche Kerbe und entgegne, dass die Hochkultur trotz ihres immensen Wissens im frühen 19. Jahrhundert zu Grunde gegangen ist. Edelbert belehrt mich jedoch eines Besseren und rechnet vor, dass heutzutage immer noch zirka 6 Millionen Mayas auf der Yucatán Halbinsel sowie in Belize, Guatemala und Honduras leben.
13.15 Uhr Im weiteren Verlauf unseres lehrreichen Rundganges stehen wir plötzlich vor einem Observatorium und erhalten die Auskunft, dass der legendäre Maya Kalender am 21. Dezember 2012 endet. Am besagten Tag soll die Gottheit Golon Yotke (löblich: Gott der Totenwelt) auf die Erde kommen und das Ende der menschlichen Zivilisation einläuten. HEUREKA - diesen Unsinn muss man gehört haben.
14.00 Uhr Nachdem wir alles gesehen haben, laufen wir zur Touristeninformation und nehmen diverse Schaubilder in Augenschein. Unter anderem erfahre ich, dass Menschenopfer in der Religion der Mayas durchaus üblich waren. Wenn man den Aufzeichnungen Glauben schenken kann, wurden nicht nur Kriegsgefangene, sondern auch Mitglieder des eigenen Stammes geköpft, gesteinigt oder sogar lebendig begraben - wie schrecklich.
14.30 Uhr Zu guter Letzt erwerben wir Postkarten und machen es uns zur Aufgabe, Urlaubsgrüsse an Freunde und Verwandte zu verfassen. Obwohl ich finanziell keineswegs auf Rosen gebettet bin, kaufe ich fünf Briefmarken und lasse meiner Mieterin Sandra, Admiral a.D. Bürstenbinder, meinem Bruder und den Kindern sowie Familie Crane schöne Ansichtskarten zukommen - da kommt Freude auf.
15.00 Uhr Als der Stundenzeiger meiner wertvollen Armbanduhr auf Drei zugeht, kehren wir völlig verschwitzt zum Bus- und Taxiparkplatz zurück. Um keinen Sonnenstich zu riskieren, steigen wir in eine klimatisierte Kraftdroschke ein und geben dem Fahrer zu verstehen, dass wir hungrig sind und im Zentrum ein einladendes Restaurant besuchen wollen. Der bärtige Heini kommt dem Auftrag prompt nach und bringt uns in einer nervenaufreibenden Hochgeschwindigkeitsfahrt ins Zentrum.
15.15 Uhr Ich tippe währenddessen Sandras Nummer ins Handtelefon ein und freue mich, nach dem dritten Tuten mit dem Mädchen sprechen zu können. Natürlich bringe ich meinen Kurzurlaub ins Spiel und lasse die Maid wissen, dass ich mich seit gestern Nachmittag auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán aufhalte. Sandra staunt nicht schlecht und sagt, dass sie sich solche Luxusreisen beim besten Willen nicht leisten kann. Ich winke demonstrativ ab und gebe vor, lediglich 470 zuzüglich 200 Dollars Einzelzimmerzuschlag bezahlt zu haben. Darüber hinaus lasse ich meinen Abstecher zu den Maya Ruinen Revue passieren und kündige an, dass ich gleich eine reichhaltige Mahlzeit verdrücken werde.
15.45 Uhr Um weitere zwanzig Dollars erleichtert, laufen wir durch die engen Gassen Cancúns und fassen den Entschluss, in ein Restaurant namens "La Habichuela" einzukehren. Wir lassen uns entspannt an einem einladenden Tisch nieder und bestellen bei einem zuvorkommenden Ober "Shrimp Steaks" (löblich: Garnelenschnitzel) mit buntem Gemüseteller und süss/saurer Kokosnusssauce. Dazu gibt es hausgemachtes Knoblauchbrot sowie süffiges Corona.
16.15 Uhr Während wir uns den Gaumenfreuden hingeben, plappert Frau Pontecorvo wie ein Wasserfall und sagt, dass wir morgen unbedingt das örtliche "Hard Rock Cafe" besuchen und ausserdem einen Rundgang durch das weltbekannte "La Isla Shopping Village" (löblich: Insel Einkaufsdorf) unternehmen müssen. Die Dame überschlägt sich vor Freude und beteuert, dass man in besagtem Kaufhaus besonders günstige Kleidung und Schuhe kaufen kann – wie aufregend.
16.45 Uhr Nach dem Bezahlvorgang vertreten wir uns die Füsse und gehen auf Schusters Rappen durch die gepflegte Innenstadt, die mit unzähligen Denkmälern und Springbrunnen aufwartet. Ausserdem kommen wir an zwielichtigen Diskotheken vorbei, aus denen schon jetzt aggressive Hipf Hüpf Musik dröhnt. Ich halte mir entnervt die Ohren zu und erkläre Edelbert, dass es die mexikanische Jugend ziemlich bunt treibt. Prof. Kuhn vertritt die gleiche Meinung und winkt ein Taxi herbei, das uns in Windeseile zum InterContinental Hotel zurückbringt.
17.30 Uhr Im Hotel angekommen, suchen wir die hauseigene Gaststätte auf der Sonnenterrasse auf und beschliessen den nervenaufreibenden Tag bei lustigen Langgetränken (unlöblich: Longdrinks) und vitaminreichen Burritos. Bei dieser Gelegenheit plaudere ich mit meinen Bekannten und vermute, dass mich Hund Dixon ganz sicher vermissen wird. Frau Pontecorvo wirkt beruhigend auf mich ein und sagt, dass es dem Vierbeiner bei Familie Crane an nichts fehlen wird.
18.00 Uhr Um auf Nummer sicher zu gehen, rufe ich kurzerhand in Südflorida an und höre, dass die ehemalige Olympiateilnehmerin am Nachmittag einen ausgedehnten Spaziergang unternommen hat und auch im PETCO Hundegeschäft war. Frau Crane kommt aus dem Lachen gar nicht mehr heraus und berichtet, dass mein Haustier just im Moment mit einem nagelneuen Spielzeug im Garten umhertollt - wie schön.
19.00 Uhr Um Morgen topfit zu sein, leeren wir die Gläser und brechen zu einem kleinen Spaziergang auf. Bei annähernd 82°F (28°C) folgen wir dem Boardwalk (löblich: Strandweg) gen Süden und erfreuen uns am Rauschen des Wassers - was kann es schöneres geben.
19.30 Uhr Danach ziehe ich mich auf mein Zimmer zurück und gönne mir auf dem Balkon eine eiskalte braun'sche Röhre. Im Anschluss hänge ich die Strassenkleidung über eine Stuhllehne und lasse bei einer Dusche die Seele baumeln.
20.00 Uhr Zur besten Sendezeit lege ich mich ins Bett, um mir auf dem Spartenkanal NETFLIX eine Doppelfolge der Ganovenserie "Lilyhammer" anzuschauen. Die amerikanische Produktion erzählt aus dem Leben des Frank Tagliano, der in das Zeugenschutzprogramm eintritt, nachdem er gegen einen New Yorker Mafiaboss ausgesagt hat. Zu allem Überfluss wird der ehemalige Mafiosi nach Norwegen ausgeflogen und sieht sich gezwungen, im verschneiten Lillehammer ein neues Leben zu beginnen - da kommt Freude auf.
21.15 Uhr Nachdem ich mich auf FOX NEWS über die aktuellen Geschehnisse in der Welt schlau gemacht habe, reguliere ich die Klimaanlage und schlafe bald ein. Gute Nacht.

 

verfasst von Reinhard Pfaffenberg am 25.01.2012
© Reinhard Pfaffenberg